Poesie Der Jongleur von Wort und Bedeutung
Der 22-jährige Autor und Slam-Poet Aron Boks aus Wernigerode hat sich von der Magersucht frei geschrieben.
Wernigerode l Seine Erfolge als Autor und Poet sind beachtlich – und das mit 22 Jahren. Aron Boks hat bereits vier Bücher veröffentlicht, Texte in Anthologien und Literaturma-gazinen geschrieben und Artikel für die „taz am Wochenende“ verfasst. Schon mit 18 Jahren begann der gebürtige Wernigeröder, seine selbstgeschriebenen Texte vor Publikum vorzutragen, 2016 gewann er die Poetry-Slam-Stadtmeisterschaft Magdeburg und im selben Jahr die Landesmeisterschaft Sachsen-Anhalt in der U-20-Kategorie. Seitdem ist er mit seinem Programm auf zahlreichen Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs und moderiert Poetry Slams und Lesungen in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin.
Was fasziniert ihn am Poetry Slam? „Mich fasziniert das Format an sich. Die Lebendigkeit der Sprache, die innerhalb von ein paar Minuten aus dem Gedächtnis auf die Bühne katapultiert werden kann. Ich glaube, sie ist für einen, der schreibt, eine wunderbare Erinnerung daran, wie lebendig und wichtig Sprache ist“, sagt Boks. 2018 gründete er zusammen mit anderen Poetry Slammern die Berliner Lesebühne „Style“ und brachte ein Jahr später als Mitherausgeber die Berliner Slam-Text-Anthologie „Komma zum Punkt“ heraus.
Und auch als Autor bekommt Boks nun einen Preis: Am 22. August wird er in Quedlinburg für sein literarisches Debüt, seinen in vergangenen Jahr erschienenen Roman „Dieses Zimmer ist bereits besetzt“, mit dem Klopstock-Förderpreis ausgezeichnet. Der vom Land Sachsen-Anhalt ausgelobte und mit 3000 Euro dotierte Preis „wird an einen Nachwuchsautor vergeben, der sich mit einer herausragenden literarischen Debütveröffentlichung ausgewiesen hat, die bundesweit Beachtung gefunden hat“, heißt es in den Vergabebestimmungen.
Boks Debüt-Roman handelt von einem jungen Mann, der in den Tag hineinlebt, dann aber plötzlich eine Chance erhält: Der Kommissaranwärter soll verdeckt ermitteln - eine wahrscheinlich kriminelle Künstler-WG in einem besetzten Haus beschatten, dort leben. Doch mit der Zeit verschmilzt sein neues Umfeld mehr und mehr mit ihm und macht seine eigentliche Arbeit erheblich schwerer als gedacht. Er gerät in einen Zwiespalt. Der Literaturbeirat des Landes Sachsen-Anhalt urteilt über das Werk: „Im Fall von Aron Boks gilt die Formulierung der literarischen ‚Stimme‘ im doppelten Sinne – nicht nur als lesende Stimme, sondern auch, und in erster Linie, als zu hörende Stimme hat sich Aron Boks als interessanter Jongleur von Wort und Bedeutung einen Namen gemacht.“
Der quirlige junge Mann, in der beschaulichen Kleinstadt Wernigerode geboren und in Blankenburg aufgewachsen, zog 2016 ins ebenso quirlige Berlin und begann dort mit einem Studium der Germanistik, Geschichtswissenschaft und später der Publizistik. Warum Berlin? Die Stadt sei ein Sehnsuchtsort für ihn gewesen, sagt Boks. In seinem Text „Hoffentlich Berlin“ erzählt er, warum. Er habe endlich dem geordneten Leben in der Kleinstadt entfliehen wollen, in dem jeder jeden kennen würde. Berlin sei für ihn der Ausweg gewesen, so Boks weiter. „Weg von Äckern, weg von Harzkäse und deinem Geruch, lieber riechen von Tabak, Staub und Benzin und wenn ich sage hoffentlich Berlin dann meine ich irgendwo hin, ich mein selbst Spandau ist okay“, heißt es in seinem Text.
Dann aber nimmt sein Leben eine Wendung. 2017 wird Boks in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose: Anorexia nervosa, Magersucht. In seinem neuen Buch „Luft nach Unten. Wie ich mit meiner Magersucht zusammenkam und mit ihr lebte“ schildert er detailreich und beobachtungsstark von seinem Leben mit der Essstörung, einem Leben, das in einem immer engmaschiger gestrickten Netzwerk aus Lügen und Verstecken verläuft. Sein stetig sinkendes Gewicht macht ihn immer unsichtbarer. Zu seinen wichtigsten Begleitern werden die Waage, die Kalorientabelle und der Alkohol, der ihn sein Leiden – und sein Leben – vergessen lässt. Im Sommer 2017 ist er am Tiefpunkt angelangt.
Doch dann entscheidet sich der junge Mann für das Leben. Nach seinem Krankenhaus-Aufenthalt besucht er eine Tagesklinik, in der er, begleitet von einer Psychotherapie, den Weg aus der Magersucht herausfindet. Er wird mehrmals rückfällig, aber er schafft es schließlich doch, die „Essstörungsstimme“, dieses „gierige Monster“, allmählich zum Schweigen zu bringen. Die Bewältigung gleiche einer Schlacht, schreibt Boks in seinem Buch, „einem richtig hässlichen Mittelaltergemetzel, Mann gegen Mann und ziemlich langsam, dazu noch sehr hart und erschöpfend“. Er gewinnt die Schlacht.
Was hat ihn dazu getrieben, auf dieses Monster zu hören? In seinem Buch beschreibt er viele Antreiber, die Selbstoptimierung, den Wunsch, aufzufallen, sich überlegen zu fühlen und die Kontrolle über alles zu haben, aber auch den Selbst-ekel und die Selbstzerstörung. „Irgendwann gibt es nur noch ein Ziel: immer weniger, immer weiter nach unten. Mir passiert nichts, wieso gerade mir? Weniger – nur so funktioniert es“, schreibt Boks. Ein junger Mensch, der eigentlich Bilderbuchbedingungen genießen könnte, entscheidet sich für das Leiden, für die Begrenzung, gegen das Leben.
An seiner Vorgeschichte – groß geworden in einer Region, in der andere Urlaub machen, behütete Kindheit, eine gute Schulbildung, ein Studium und frühe Erfolge als Autor und Poet – kann es kaum liegen. Welche Ursache hat es dann für seine Sucht gegeben? Eine genaue Ursache könne er nicht benennen, es seien eher die Antreiber gewesen, die ihn dazu gebracht hätten, erzählt Boks, bei ihm vor allem die Skepsis dem eigenen Körper gegenüber. Der viel kritisierte Magerwahn der Modebranche und die zahlreichen Diätvorschläge seien dabei weniger wichtig für ihn gewesen. „Sicherlich hat das auch eine Rolle gespielt, aber von der Norm abzuwei-chen, ist für einen Mann eher kein Problem. Es ist wohl vielmehr der Wunsch, außergewöhnlich zu sein. Vielleicht ist es aber auch der Alltag, in dem ja ganz viel über Ernährung, Hunger, Sattsein gesprochen wird. Und wenn man anfällig für Essstörungen ist, können solche Gespräche zum Problem werden.“
Dass Boks ein „interessanter Jongleur von Wort und Bedeutung“ ist, wie der sachsen-anhaltische Literaturbeirat in seiner Bewertung des Romans „Dieses Zimmer ist bereits besetzt“ befand, zeigt auch sein neues Buch „Luft nach Unten“. Es führt dem Leser auf bewegende Weise vor Augen, wie die Selbstoptimierung sich wenden und zu einer großen Gefahr für junge Menschen werden kann. „Luft nach Unten“ sei kein Tagebuch und auch kein Protokoll, sagt Boks. „Ich habe es nach meiner schlimmsten Essstörungsphase aus meinen Erinnerungen heraus geschrieben, aber natürlich hat es auch beim Freimachen geholfen.
Es ist die Draufsicht auf ein Problem, das nicht nur mich betrifft. Das ist mir wichtig zu sagen“, so Boks weiter. Sein Buch erscheint Ende August im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag. Und wie geht es dem Wahl-Berliner Boks, wenn er heute Wernigerode besucht, kann er an der schönen Stadt im Harz vielleicht doch noch Gefallen finden? Ja, natürlich, sagt er, und wird sehr poetisch: „Wernigerode ist meine Herkunftsheimat, die ihre schützende Hand über mich legt, die mir zuhört und mich auch wieder gehen lässt.“