Reporter verbringt schlaflose Nacht in einer Zelle des Zentralen Polizeigewahrsams in Magdeburg Polizeizelle: Die große Klappe wird hier ganz klein
Magdeburg l Randalierer, Betrunkene, Schläger oder Räuber, für sie alle ist genug Platz in Sachsen-Anhalts größtem Zentralen Polizeigewahrsam. Die "Übernachtungsgäste" kommen aus allen Revieren im Norden des Landes und vom Zoll. Eine Nacht kostet hier übrigens ab 84 Euro, dafür ist alles inklusive.
Krachend fällt die schwere Eisentür ins Schloss. Der Schall in der kahlen Zelle hallt noch einige Sekunden nach. Dann wird es still. Draußen entfernen sich die Schritte der Polizeibeamten. Sie sprechen über bevorstehende Weihnachtseinkäufe.
Gefühlt sind es hier drin 30 Grad Celsius. Schwitzen mitten im Winter, im T-Shirt? Ich drücke den Klingelknopf. Kurze Zeit später öffnet sich die Luke. Ich habe eine große Klappe und frage, muss es denn so warm sein? Polizeikommissar Rainer Bölicke bleibt höflich: "Ja, damit unsere Gäste in der Nacht nicht frieren." Er reicht einen Plastikbecher Tee durch die Luke. Das gehört zum Service und ist im Preis inbegriffen. Aber dazu später.
"Wer Geld dabei hat, kann sich sogar Pizza bestellen." - Polizeihauptkommissar Andreas Hase
Sogar Frühstück, Mittag und Abendbrot sind im Angebot. "Es gibt Hühner-Reistopf. Auch ohne Schweinefleisch, falls jemand aus religiösen Gründen darauf verzichten will. Wer Geld dabei hat, kann sich sogar eine Pizza bestellen. Das kommt aber sehr selten vor", meint Bölickes Chef Polizeihauptkommissar Andreas Hase.
Die Klappe schließt sich wieder. Ich zähle die Fliesen und bin bei Nummer 346, als das Licht ausgeht. Nur spärlich dringt noch Licht durch das mit einer Art Loch-Blech gesicherte Fenster. Die Redewendung "gesiebte Luft atmen" trifft hier also wörtlich zu.
Im Flur wird es wieder etwas lauter. Ein Betrunkener lallt die beiden Polizisten voll. Stimmengewirr. Eine Tür fällt hörbar ins Schloss. Dann wird es wieder ruhig. Später stellt sich heraus, Beamte der Landesbereitschaftspolizei haben den als Alkoholiker eingestuften Mann aus Osterburg hergebracht. Zu seinem eigenen Schutz. Der diensthabende Richter gab bereits sein Einverständnis. Der Notarzt in der Altmark sah keine medizinische Notwendigkeit den Mann ins Krankenhaus einzuweisen. Also ging es nach Magdeburg. Nun sitzt oder vielmehr liegt er volltrunken ein paar Zellen weiter. Wenn er am nächsten Morgen aufwacht, wird er wohl einen dicken Kopf haben. Denn zum einen muss er sich Gedanken darüber machen, wie er die 90 Kilometer wieder nach Hause kommt. Zum anderen wird er für seinen Aufenthalt auch eine Rechnung bekommen.
"Das macht pro Nacht ab 84 Euro, je nachdem welche Transportkosten dazukommen", erklärt Polizeihauptkommissar Hase. Wer allerdings als Verdächtiger einer Straftat hier ist, muss aber nichts zahlen.
Noch bevor eine routinemäßig dazugerufene Ärztin die Gewahrsamstauglichkeit des Betrunkenen prüfen kann, hat einer der Beamten bereits den Notruf gewählt. Ihm wurde die Situation zu heikel. Der Rettungswagen kommt und nimmt den Mann am Ende doch mit ins Krankenhaus. Hase: "Seitdem im Jahr 2005 uns ein alkoholkranker Mann im Polizeigewahrsam an multiplem Organversagen verstorben ist, haben wir weniger solcher alkoholbedingter Einlieferungen." Die Rettungsdienste überlegen inzwischen zweimal, ob sie eine Einlieferung ins Krankenhaus ablehnen. Auch die Polizei hat aus den Vorfällen der letzten Jahre gelernt und zwei Ausnüchterungszellen mit Kameras ausgerüstet. Außerdem gibt es ein "Elektronisches Freiheitsentziehungsbuch", das extra vom Technischen Polizeiamt für den Gewahrsam entwickelt wurde. So können die Beamten keine Kontrollgänge vergessen und müssen durch Mausklick jeden Arbeitsschritt protokollieren. Ansonsten gibt es Alarm.
Das Licht geht in der Zelle an. Die Beamten sehen nach, ob ich noch still in meiner Ecke sitze. Dann herrscht wieder Ruhe. Das Licht geht aus.
Draußen herrscht erneut Betriebsamkeit. Ein Autodieb wird "eingeliefert". Er soll am Sudenburger Bahnhof gestellt worden sein. Wie jeder hier, muss auch er die lange Prozedur des "Eincheckens" über sich ergehen lassen. Zunächst werden nicht nur sämtliche Taschen, das Jackenfutter und die Hosen durchsucht. Polizeikommissar Rainer Bölicke und sein Kollege Polizeiobermeister Peter Wulkow notieren jeden einzelnen aufgefundenen Gegenstand ins Protokoll. Fein säuberlich werden anschließend alle Sachen in einer Effektentasche deponiert und versiegelt. "So muss das nicht alles wiederholt werden, wenn es anschließend zum Haftrichter geht", sagt Wulkow. Ansonsten erhält der junge Mann seine sichergestellten Gegenstände bei Entlassung gegen Quittung zurück.
"Es gibt diese schriftliche Belehrung auch in weiteren 40 Sprachen" -Polizeikommissar Rainer Bölicke
Dann erfolgen alle notwendigen Belehrungen. Dem mutmaßlichen Autodieb legen die Beamten eine schriftliche Belehrung mit seinen Rechten vor. Diese muss er unterschreiben und beide Polizisten entsprechend gegenzeichnen. Bölicke: "Wenn jemand nicht lesen kann, dann lesen wir ihm den Zettel vor. Es gibt diese Belehrung auch in 40 weiteren Sprachen." Gleich am Eingang hängt die Telefonnummer vom Strafverteidiger-Notdienst. Viele nutzen ihn auch.
Inzwischen geht in meiner Zelle das Licht wieder an. Erst jetzt fallen mir die hinterlassenen Sprüche meiner Vorgänger im harten Holz der Zellenbank auf. "Bea ich liebe dich", schreibt einer. Wer wohl die Bea ist? Hat der unbekannte Zeilenschreiber etwa Mist gebaut, weil er dem Mädchen imponieren wollte?
Ein anderer meint: "Ich will hier raus." Wie wahr. Ich klingle und melde mich über die Wechselsprechanlage. Kleinlaut beende ich den selbst gewählten Aufenthalt. Die Beamten schmunzeln. Bölicke erklärt: "Hier hat sich bisher jeder geerdet." Vom ausgeflippten Randalierer bis zum um sich schlagenden Betrunkenen.
In den letzten Jahren wurden diese aber immer weniger. Während es 1998 noch 3865 Zelleneinschlüsse waren, werden es dieses Jahr wohl 750 sein.