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Angehende Erzieher klagen über "Prüfung nach Nase" / Gewerkschaft sieht Fehler im System Quereinsteiger fallen reihenweise durch

Von Andreas Stein 29.01.2013, 02:23

Immer mehr Sachsen-Anhalter wollen auf eigene oder Staatskosten auf den Erzieherberuf umsatteln. Die Hälfte der Quereinsteiger fällt jedoch durch die Abschlussprüfung. Betroffene erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Prüfer.

Halle/Magdeburg l Kerstin M. hatte endlich ihren Traumberuf gefunden: Erzieherin wollte die Hallenserin werden. Die Jobchancen stünden gut und Quereinsteiger seien ausdrücklich erwünscht, hatte ihr die Agentur für Arbeit versichert. Die 35-Jährige, die in Halle Geschichte studiert hatte, war jedoch zu alt für eine reguläre Ausbildung an einer Berufsbildenden Schule. Die Agentur für Arbeit finanzierte ihr deshalb einen Bildungsgutschein für das nötige einjährige Kita-Praktikum und zahlte 14000 Euro für einen Vorbereitungskurs an einer privaten Fachschule.

Als "Nichtschülerin" sollte sie die Prüfung zur staatlich anerkannten Erzieherin ablegen - eine Ausbildung, für die man sonst inklusive Sozialassistent fünf Jahre die Schulbank drücken muss. Doch wer bereits Realschulabschluss oder Fachhochschulreife in der Tasche hat, eine Berufsausbildung und ein Jahr praktische Arbeit in einer Kita nachweisen kann, darf per Nichtschülerprüfung "abkürzen". Immer mehr Sachsen-Anhalter wählen diese Möglichkeit als Quereinstieg - meldeten sich 2008 noch 38 Prüflinge beim Landesschulamt an, waren es im vergangenen Jahr bereits 90.

Ein Jahr lang paukten Kerstin M. und ihre 16 "Mitschüler" acht Stunden täglich den in den Rahmenrichtlinien des Landes vorgegebenen Stoff, lernten abends zu Hause weiter. "Wir haben alle gebüffelt wie verrückt, keiner hat das auf die leichte Schulter genommen", versichert sie. Dann traten die 17 Nichtschüler ohne Konsultation zur Prüfung in der Hallenser BBS "Helene Lange" an und mussten einen Prüfungsmarathon mit drei bis vier schriftlichen und bis zu 15 mündlichen Prüfungen absolvieren. 15 der 17 Nichtschüler fielen durch.

"Ich hatte das Gefühl, es ging nach Nase", sagt Kerstin M. der Volksstimme. Sie selbst habe nur bestanden, weil ihr eine Freundin von der BBS die Hefter geliehen habe. Die als Prüfer fungierenden BBS-Lehrer, so ihr Vorwurf, hätten nur exakt den von ihnen selbst unterrichteten Wortlaut hören wollen, nichts anderes. "Ohne Hefter hätte ich nicht bestanden", ist Kerstin M. überzeugt.

"Lehrer wollten nur exakten Wortlaut hören"

Ähnliche Vorwürfe erheben auch Mitarbeiter einer privaten Fachschule aus Magdeburg. Früh habe man im Interesse der eigenen Schüler den Kontakt zur örtlichen BBS "Dr. Otto Schlein" gesucht, um schulspezifische Lehr- und Prüfungsschwerpunkte zu erfahren. Aber man sei "total abgefrühstückt" worden, O-Ton: "Je höher die Durchfallquote, desto eher ist die Nichtschülerprüfung vom Markt", berichtet eine Mitarbeiterin. Nur sieben von 19 Teilnehmern des zurückliegenden Jahrgangs hätten letzlich bestanden. "Die Prüfungen macht keiner zum Spaß. Quereinsteiger sollten die gleichen Chancen haben wie die regulären Schüler", fordert die Mitarbeiterin.

Während 98 Prozent der regulären Schüler die Prüfung bestehen, fielen 2011 und 2012 die Hälfte der Nichtschüler durch, teilte das Kultusministerium mit. Beschwerden habe es deshalb aber noch nicht gegeben. Die hohe Durchfallquote erklärt man sich mit der unterschiedlichen Qualität der Vorbereitungskurse. Die Nichtschüler unterschätzten auch die Anforderungen, mutmaßt ein Sprecher.

Die Hallenser BBS-Schulleitung wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Ein BBS-Lehrer aus Magdeburg bestätigt jedoch die hohe Durchfallquote. Es werde immer ein Problem geben, wenn die eine Seite vorbereite und die andere prüfe, sagt er. Und weiter: "Das ist die schwerste Prüfung, die es gibt." Die Prüfer glaubten vielleicht nicht, dass die Nichtschüler den Stoff von drei Jahren selbst bewältigen könnten und zweifeln an deren Qualität, vermutet ein Hallenser Privatschulleiter.

"Reform der Ausbildung von Erziehern nötig"

Für die GEW liegt der Fehler im System. "Die Quereinsteiger haben keine Ahnung, was auf sie zukommt", sagt Gewerkschaftler Frank Wolters. Man dürfe aber auch die Prüfer nicht verdammen. Nötig seien effektivere Ausbildungsstrukturen und ständige Förderung der Nichtschüler - sowie überhaupt eine Reform der Erzieherausbildung. Die wurde bereits im Juni 2012 von der Landtagsfraktion B`90/Grüne beantragt. Doch bis dato wartet das Papier im Bildungsausschuss auf Wiedervorlage.

Historikerin Kerstin M. hat nach bestandener Prüfung sofort Arbeit beim Kita-Eigenbetrieb Halle gefunden - und begeistert die Kinder mit Geschichten über Ritter und Burgfräulein.