Interview "Glück ist für mich...?!" - Zwei Glücksexperten aus Sachsen-Anhalt verraten ihre Formeln für den Weg aus der Krise
Beide sind sich einig: Deutschland könnte einen Glücksminister guttun. Die Podcasterin Maria Anna Schwarzberg aus Magdeburg und Dr. René Proyer, Professor für positive Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sprechen im exklusiven Interview über das Glücklich- und Unglücklichsein.
Magdeburg/Salzwedel - Eine riesige Kugel Schokoeis schlecken, die liebevolle Umarmung des Partners entgegennehmen oder dem ruhigem Meeresrauschen lauschen: Jeder definiert das Quäntchen Glück für sein Leben individuell. Die Bedeutung dessen und wie das eigene "ICH" glücklich wird, haben sicherlich die meisten Menschen während der Corona-Pandemie erneut hinterfragt.
Was glauben Sie, was einen Menschen glücklich macht? Rund 79 Prozent der von Statista-Befragten glauben, dass eine Partnerschaft einen Menschen glücklich macht. Bei der Frage nach den richtigen Glücksfaktoren haben Gesundheit, Freundschaft und Frieden ebenso einen hohen Stellenwert. Wir wollten wissen: Was ist Glück und Unglück für Sachsen-Anhalter. Wonach streben die Menschen hierzulande?
Im exklusivem Interview verraten uns die Podcasterin Maria Anna Schwarzberg aus Magdeburg und Dr. René Proyer, Professor für positive Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Glücklich- und Unglücklichsein. Sie geben Tipps und Ratschläge, wie das Streben nach Wohlbefinden funktionieren kann. Zwei Geschichten - zwei Glücksformeln.
Maria Anna Schwarzberg
Im Alter von 25 Jahren bekommt Maria Anna Schwarzberg einen Burnout und geht in Therapie. Drei Jahre zuvor studierte sie Public Management und arbeitete nach dem Studium im Opferschutz für die Stadt Hamburg. Dann die Notbremse. Vieles hat sich seither verändert. Nach einer Auszeit machte sie sich als Journalistin selbstständig und arbeitet heute als Autorin und Verlegerin.
Die "Proud to be Sensibelchen"-Podcasterin, gebürtig aus Salzwedel, ist zum Sprachrohr für Hochsensible geworden. Allein der Instagram-Kanal der 31-jährigen Mutter verfolgen rund 22.000 Follower. Ihr Podcast hat etwa 40.000 Abonnenten. Im Digitalen hat Schwarzberg ihr Glück gefunden.
Professor Dr. René Proyer
Die Hinterfragung und Analyse des menschlichen Wohlbefindens gehören zu seinem Alltag. Dr. René Proyer hat den Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie am Psychologischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
So richtig unglücklich war der Hallenser das letzte Mal beim Tod seines Vaters vor sechs Jahren. Der Familienvater ist jeden Tag glücklich, wenn er mit seiner kleinen Tochter lachen kann. Für das eigene Glück rät Proyer seinen Studenten stets "verspielt" zu bleiben.
Frau Schwarzberg und Prof. Dr. René Proyer, zu Beginn eine scheinbar simple, aber wahrscheinlich doch komplexe Frage: Was bedeuten für Sie Glück und Unglück - gibt es überhaupt eine Definition dafür?
Maria Anna Schwarzberg: "Glück ist für mich, das Leben bewusst, selbstbestimmt und achtsam zu leben und dieses Privileg zu erkennen. Unglück wäre für mich persönlich etwas, das mir zustößt, das ich nicht kontrollieren kann und mich von meinem Glück abhält. Ich bin also für eine Vielzahl an Definitionen, das wäre meine."
Prof. Dr. René Proyer: "Glück ist ein mehrdeutiger Begriff; wir haben ja auch Formulierungen wie „Glück gehabt“ oder Ähnliches in der deutschen Sprache. Ich ziehe den Begriff des Wohlbefindens vor; das subjektive Wohlbefinden versteht man als die Kombination aus hoher Lebenszufriedenheit (einer kognitiven Bewertung der eigenen Lebensumstände) und dem Erleben von mehr positiven als negativen Gefühlen (das ist die emotionale Komponente des Wohlbefindens).
Zugegeben, das ist sperriger als „Glück“, aber in der Wissenschaft ist die begriffliche Präzision wichtiger und man verwendet viel Zeit und Energie, um genauer zu verstehen, was Lebenszufriedenheit und positive Gefühle genau ausmacht."
Wenn Sie auf Ihre eigene Lebenslinie zurückblicken. Bei welcher Gelegenheit waren Sie das letzte Mal glücklich und unglücklich?
Prof. Dr. René Proyer: "Ich bin jeden Tag glücklich, wenn ich mit meiner kleinen Tochter lachen kann. Darüber hinaus war das Gefühl dabei, einen Impftermin bekommen zu haben, schon auch sehr gut! So richtig unglücklich war ich das letzte Mal beim Tod meines Vaters (2015)."
"Glück finde ich überall, wenn ich nur innehalte und hinsehe."
Maria Anna Schwarzberg
Maria Anna Schwarzberg: "Unglücklich bin ich gerade noch öfter, als mir lieb ist. Die Pandemie mit ihren Beschränkungen und der Angst vor einer Ansteckung oder Übertragung auf andere hat mich mental durchlässig gemacht. Kleinigkeiten bringen mich aus der Balance, dazu stehen bei uns im Privaten gerade große Entscheidungen und Veränderungen an.
Ich bräuchte gerade mehr Ruhe und Beständigkeit, aber die muss ich mir erst wieder in den Alltag holen. Mein Glück ziehe ich aktuell also mehr aus Momenten und immer wieder der Entscheidung für mich. Sei es nur die Tasse Tee mit Aussicht auf den Regen, der Spaziergang mit dem Hund am Abend - ohne Smartphone. Glück finde ich überall, wenn ich nur innehalte und hinsehe."
Laut der amerikanischen Psychologin Sonja Lyubomisky ist für unser Glücksempfinden zu 50 Prozent unsere Grundeinstellung verantwortlich, zu zehn Prozent sind es die Lebensumstände und zu erstaunlichen 40 Prozent können wir selbst Einfluss darauf nehmen. Wie stehen sie zu dieser Erkenntnis - hängt unser Wohlbefinden meist wirklich von unserem Mindset ab?
Prof. Dr. René Proyer: "Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass diese Zahlen eher der Veranschaulichung dienen und man das nicht so genau (und vor allem nicht für alle Menschen) in Zahlenwerten ausdrücken kann.
Auch in unserer eigenen Forschung können wir aber zeigen, dass man durch einfache Übungen das eigene Wohlbefinden zumindest für einen gewissen Zeitraum (wir untersuchen, typischerweise Zeiträume von bis zu 6 Monaten in placebo-kontrollierten Designs) steigern kann. Man kann also schon aktiv etwas zu seinem Wohlbefinden beitragen."
"Man kann also schon aktiv etwas zu seinem Wohlbefinden beitragen."
Prof. Dr. René Proyer:
Maria Anna Schwarzberg: "Das sehe ich zwiegespalten. Ja, wir selbst müssen uns unsere Privilegien vor Augen führen, Dankbarkeit lernen und uns damit auseinandersetzen, wie wir leben, wer wir sein wollen, und können daraus viel Positives ziehen und so Glück empfinden, aber: Wir starten eben nicht alle am selben Punkt.
Diese Frage an eine Person zu richten, die alleinerziehend die Kinder, den Haushalt und den schlecht bezahlten Job jongliert (ohne ein stereotypes Bild erzeugen zu wollen), die eine körperliche oder psychische Krankheit durchzustehen, die das Leben auf die Straße verschlagen hat oder an Millionen von Menschen, die keinen Zugang zu ausreichend Nahrung, Wasser, einer Gesundheitsversorgung, einem sicheren Zuhause, also den grundlegenden Pfeilern eines westlichen Lebens haben, würde uns vor Augen führen, wie sehr strukturelle Probleme eben auf einzelne übertragen werden, indem man sagt: Du musst nur positiv denken!
Für viele Menschen mag das funktionieren, aber eben nur für die, denen es nicht an Grundlegendem fehlt. Ist das gegeben und die Psyche gesund, ist es tatsächlich auch eine bewusste Arbeit, glücklich zu sein."
Haben Sie ein Mantra oder eine gewisse Technik, um sich einen Glücksmoment im Alltag zu verschaffen?
Maria Anna Schwarzberg: "Ich frage mich selbst, für welche drei Dinge ich dankbar bin. Da fällt mir immer etwas ein. Gerade: Meine Gesundheit, den Hund zu meinen Füßen, mein Lieblingsessen gleich zum Mittag. Beruflich und privat interessieren mich Geschichten von Menschen. Diese zu hören oder in Büchern zu lesen, erinnert mich kontinuierlich an die Vielschichtigkeit des Lebens, wie schön es ist und wie sehr ich mein eigenes schätze."
Prof. Dr. René Proyer: "Aus der eigenen Forschung kann ich Folgendes empfehlen: Über den Test "Charakterstärken" von der Universität Zürich (nicht kommerziell, frei verfügbar und mit direkter Rückmeldung) kann man einen Fragebogen zu seinen sog. Charakterstärken bearbeiten (das sind moralisch positiv bewertete Eigenschaften).
Danach bekommt man eine Rückmeldung darüber, welche Stärken bei einem besonders hoch ausgeprägt sind. Wir und auch andere Forschungsgruppen konnten zeigen, dass das bewusste Einsetzen dieser Stärken auf eine neue Art und Weise im Alltag einzusetzen dazu führen kann, das eigene Wohlbefinden zu steigern.
Ansonsten ist es schon auch nützlich, aktiv zu versuchen, sich an den „kleinen Dingen“ zu erfreuen; am Abend also kurz innezuhalten und zu überlegen, was hat mir heute wirklich Freude bereitet, wo habe ich Humor erlebt und/oder etwas Spielerisches gemacht, beobachtet oder auch nur einen verspielten Gedanken gehabt. Darüber zu reflektieren empfinden viele Menschen als bereichernd."
Das asiatische Königreich Bhutan besitzt einen Glücksminister - würde Deutschland eine solche Position guttun? Sollte nicht jedes Land einen Glücksminister anstellen?
Maria Anna Schwarzberg: "Ja!"
Prof. Dr. René Proyer: "Ob, dass ein Ministerium sein muss oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen; dass es nützlich sein kann, dass man sich auch auf übergeordneter Ebene darüber Gedanken machen kann, wie man das Wohlbefinden von vielen Menschen verbessern kann, halte ich aber schon für sehr sinnvoll. Oft sind es ja schon kleine Dinge, die einem den Alltag erleichtern können!"
Manche Menschen sind unglücklich, weil Ihnen das Geld fehlt. Andere wirken glücklicher, obwohl sie viel weniger haben. Macht uns mehr oder weniger Konsum glücklich?
Prof. Dr. René Proyer: "Ich finde es schwierig, hier über „uns“ zu sprechen, da die Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind. Gerade in Zeiten der Pandemie haben ja viele Menschen existenzielle Sorgen. Häufig wird argumentiert, dass sobald ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit gegeben ist, zusätzliche finanzielle Mittel wenig ausmachen für das Wohlbefinden.
Das wird aber auch kritisch diskutiert. Wahrscheinlich muss man hier auch Facetten des Wohlbefindens ansehen: Eher hedonistische Aspekte wird man durch Konsum besser befriedigen können als solche, wo es um Sinnfindung geht.
"Das ist aber der Ratschlag, den der Herr Professor (leider!) selber zu selten befolgt!"
Prof. Dr. René Proyer
Aber ich will hier nicht zu abgehoben klingen: Sich einfach mal ein Eis kaufen wird (wahrscheinlich!) nicht zur Sinnfindung beitragen, aber eben (hoffentlich!) positive Gefühle hervorrufen … gut, dann sollte man aber auch ein bisschen Sport machen—das ist aber der Ratschlag, den der Herr Professor (leider!) selber zu selten befolgt!"
Maria Anna Schwarzberg: "Ich bin in meinem Leben oft überrascht worden, wie viel positiver die Einstellung von Menschen ist, die nicht alles haben. Geld, Überfluss und Erwartungen zu erfüllen, wirkt letztlich nur gut dargestellt für andere attraktiv. Ich selbst bin bis zu meinem Burnout Materiellem, Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten nachgejagt, in der Hoffnung, damit glücklich zu werden. Mit einem recht harten Aufprall musste ich lernen, dass das nicht der Weg zum Glück ist."
Sie sind vor allem Expertin für Hochsensibilität, aufgrund eigener Erfahrung: Was bedeutet Hochsensibilität? Ist es schwieriger für hochsensible Menschen glücklich zu werden?
Maria Anna Schwarzberg: "Das glaube ich nicht. Letztlich bedeutet hochsensibel zu sein, dass das eine von vielen Eigenschaften ist, die mich ausmacht. Sie lässt mich mehr und intensiver wahrnehmen, sie fordert in der Verarbeitung all dieser Reize ein anderes Maß an Ruhe als bei nicht hochsensiblen Menschen, aber sie macht mich nicht mehr oder weniger glücklich."
"Die Pandemie hat gerade an unsere Studierenden extreme Herausforderungen gestellt."
Prof. Dr. René Proyer
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ausbildung und Glück? Können Sie als Professor für Positive Psychologie das Wohlbefinden Ihrer Studenten aus den Augen lesen? Welche Tipps haben Sie Ihnen mitgegeben, um über das vergangene Corona-Jahr motiviert zu bleiben?
Prof. Dr. René Proyer: "Auch, wenn ich mich mit Positiver Psychologie beschäftige, ich bin ja Professor für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie, fürchte ich, dass die beiden Gebiete von den Studierenden so mittelmäßig als Lebenszufriedenheit und positive Emotionen fördernd erlebt werden; ich versuche aber natürlich meine Begeisterung für die beiden Gebiete auch weiterzugeben.
Die Pandemie hat gerade an unsere Studierenden extreme Herausforderungen gestellt. Denken Sie daran, dass es Studierende gibt, die bislang fast ausschließlich vor dem Computer gesessen haben und viele klassische Aspekte des Studierendenlebens noch gar nicht erleben konnten. Wir bemühen uns zwar durch engagierte Lehre und enge Betreuung einiges zu kompensieren, aber wir hoffen natürlich möglichst schnell zur Präsenzlehre zurückkehren zu können."
Welche Rolle spielen digitale Einflüsse in unserem Wohlbefinden - sollten wir lieber Katzenvideos anschauen, statt schlechte Nachrichten aus der Welt?
Prof. Dr. René Proyer: "Wir sollten das alles in ausgewogener Form machen. Ich denke, dass gerade digitale Medien eine große Chance darstellen, eben auch einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden leisten zu können.
Wir beschäftigen uns an meiner Abteilung auch mit der Analyse linguistischer Marker für bestimmte Persönlichkeitsmerkmale; also: kann man von der Art und Weise, wie man schreibt, auf grundlegende Merkmale der Person rückschließen, auch wenn man sonst keine Information über die Person hat?
Und da gibt es schon gravierende Unterschiede darin, ob man viele positive oder negative Emotionsworte verwendet. Zu untersuchen, ob es sich negativ auf das Wohlbefinden auswirkt, wenn man viel Zeit in Foren oder Gruppen verbringt, die mehrheitlich mit negativen als positiven Emotionsworten kommunizieren, ist wahrscheinlich eine nützliche Forschungsfrage für die Zukunft."
Maria Anna Schwarzberg: "Das würde helfen, aber noch mehr, die digitalen Geräte öfter abzuschalten und sich mit dem ganz realen Leben zu beschäftigen. Sich nicht (richtig!) zu informieren ist letztlich keine gute Idee. Eine leichte Version erleben wir gerade durch die Verbreitung von Fake News.
"Ich persönlich nutze keine Medien zwischen 21 und 8 Uhr."
Maria Anna Schwarzberg
Ich denke, es ist wichtiger, Zeiten und die Medien, die wir dann konsumieren, bewusst abzustecken. So passiert es seltener, dass wir vergessen haben, warum wir eigentlich zum Handy gegriffen haben oder dass wir in verletzlichen Momenten von schockierenden Inhalten überrascht werden.
Ich persönlich nutze keine Medien zwischen 21 und 8 Uhr, Nachrichten höre/schaue/lese ich bewusst, soziale Medien nutze ich zur Inspiration und zeitlich begrenzt. Damit fahre ich meistens ganz gut, aber meine Anzeige für die Bildschirmzeit hat definitiv noch Potenzial nach unten."
Wie lautet Ihre Glücksformel für ein erfülltes Leben, die Sie unseren Volksstimme-Lesern mitgeben möchten?
Prof. Dr. René Proyer: "Es ist nützlich, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu sein; der Fragebogen, den ich oben erwähnt habe, kann dabei hilfreich sein. Es braucht aber auch eine Balance aus verschiedenen Dingen, hedonistischer ebenso wie das Suchen nach gelingenden Beziehungen und dem Sinn im eigenen Leben und das Genießen von Erfolgen. Für mich persönlich ist noch eines wichtig: auch im Erwachsenenalter seinen Sinn für Verspieltheit zu pflegen."
Maria Anna Schwarzberg: "Mach dich auf die Suche nach deiner eigenen!"