Schauspiel Magdeburg Demontage eines Lebensbilds
Die Premiere des Stücks „Nebenan“ von Daniel Kehlmann im Magdeburger Schauspielhaus lässt die thematische Brisanz vermissen.
Von Rolf-Dietmar Schmidt - „Nebenan“ – der Titel des gleichnamigen Schauspiels von Daniel Kehlmann, könnte ein Synonym für die Ost-West-Thematik sein, die derzeit hohe Wellen schlägt. Nebenan bedeutet nicht gemeinsam. Der daraus entstehende Spannungsbogen hält allerdings in der Inszenierung am Magdeburger Schauspielhaus nicht, was er verspricht.
Der Kulminationspunkt von „Nebenan“ ist eine typische Berliner Kneipe im einstigen Ostteil der Stadt. Die Antagonisten sind ein westdeutscher Filmstar und ein ostdeutscher Wendeverlierer. Allein diese Konstellation überspitzt schon ein hinlänglich oft genutztes Klischee. Zwischen den beiden Männern entsteht ein Gespräch, das eigentlich keines ist. Es entwickelt sich zu einem sprachlichen Rachefeldzug, der durch das Hinzufügen weiterer Klischees einen völlig anderen Charakter erhält und auch durch komische Momente nicht zur Komödie oder zum versprochenen „schwarzhumorigen Kammerspiel“ wird.
Doch „Nebenan“ bietet auch Sehenswertes. Und das ist der spürbare „Kampf“ der Schauspieler, fehlende Dramatik durch spielerischen Einsatz zu kompensieren. Sowohl Filmstar Daniel, gespielt von Anton Andreew, als auch der Wendeverlierer Bruno, im richtigen Leben Nico Link, geben alles, um die eher schwerfällige Handlung zu treiben. Nicht minder agil und spielfreudig sind Bettina Schneider als Wirtin und die besonders hervorzuhebende Carmen Steinert, die in insgesamt sieben Rollen schlüpft und in jeder mit typischer „Berliner Schnauze“ Authentizität vermittelt. Eine super Leistung.
Das sich entwickelnde Gespräch zwischen Filmstar und Wendeopfer verliert durch sich wiederholende inhaltliche Stereotypen schnell die durchaus interessante künstlerische Analyse einer drohenden gesellschaftlichen Spaltung.
Stattdessen wird daraus ein krimineller Rachefeldzug von Bruno, dessen Vater pikanterweise einst in der Wohnung lebte, die dann, zur Luxus-Loft saniert, von Filmstar Daniel genutzt wird. Brunos Vater wurde verdrängt und hat das vermutlich nicht verkraftet. Hinzu kommt ziemlich ohne Zusammenhang, dass Bruno nicht nur Wendeverlierer ist, sondern im berüchtigten Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen inhaftiert gewesen sei.
Hier wäre der Ansatz für die innere Dramatik des Geschehens gewesen. Stattdessen eröffnet Bruno jede Menge Papiere, Kontoauszüge, Briefe und andere Dokumente, die das extrem dünne Eis, auf dem der Schauspieler tanzt, offenbaren. Er gesteht sogar in Daniels Wohnung gewesen zu sein und Gespräche mit angehört zu haben. Mit jedem Teil seiner Offenbarungen demontiert er stückchenweise das Lebensbild des Filmstars, das der für die Außenwelt abgibt.
Es mag sein, dass der Autor Daniel Kehlmann hier eine Analogie zur Demontage des Lebensbildes des Westens beabsichtigt hat. In der Inszenierung wurde das nicht deutlich. Stattdessen war es fast eine Rechtfertigung der kriminellen Handlungen Brunos, eine Absolution der Rache für die Ungerechtigkeit als Folge der Wiedervereinigung.
Scheinbar dramatischer Höhepunkt ist der Versuch, mit aus der Wohnung des Filmstars gestohlener Porno-Aufzeichnungen, die er per Boten der Frau des Filmstars Daniel zukommen lässt, dessen Ehe zu zerstören. Gleichzeitig weist er die Untreue von Daniels Gattin nach. Doch selbst das verpufft in der Gleichgültigkeit, für die Wahrung des Scheins auch eine zerstörte Beziehung in Kauf zu nehmen. Ein Ost-West-Konflikt spielt da keine Rolle mehr, denn in dieser Hinsicht ist die Einheit längst vollzogen.
„Nebenan“ ist die erste Regiearbeit von Cornelia Maschner in Magdeburg. Sie kommt, wie Daniel Kehlmann aus München, was vielleicht die etwas biedere Art und Weise des Inszenierens erklärt, sofern es tatsächlich um eine Auseinandersetzung mit der Ost-West-Problematik gegangen sein sollte. Vielleicht trifft diese Kritik die Falsche, denn das Stück wirkt insgesamt wie ein wenig aus der Zeit gefallen. Die Entwicklung in dieser deutsch-deutschen Frage hat es überholt, der Blickwinkel auf nebenan hat sich verändert.
Grund zur Diskussion über das Stück gibt es aber genug, weshalb ein Besuch keineswegs umsonst sein dürfte.