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Bildhauerei Magdeburger Atelier öffnet seine Pforten

Bildhauerin Cathleen Meier stellt ihre Werke aus Holz vor

07.04.2021, 15:40
Foto: Uli Lücke--Die Magdeburger Holzbildhauerin Cathlee Meier in ihrem Atelier.Cathleen Meier in ihrem Atelier. Latten klebt sie an- und aufeinander und lässt Menschen aus Holz entstehen. „Moria“ nennt sie ihre Figurengruppe.Foto: Uli Lücke
Foto: Uli Lücke--Die Magdeburger Holzbildhauerin Cathlee Meier in ihrem Atelier.Cathleen Meier in ihrem Atelier. Latten klebt sie an- und aufeinander und lässt Menschen aus Holz entstehen. „Moria“ nennt sie ihre Figurengruppe.Foto: Uli Lücke uli lücke

Grit Warnat

Wenn man das Atelier von Cathleen Meier betritt, fühlt man sich ein wenig beobachtet. Viele Augen sind auf einen gerichtet. Kinder, Männer, Frauen, traurig, lächelnd, besorgt schauend. Was da vor einem steht, sind Skulpturen, geformt aus Holz. Dass es lebendiges Material ist, wird einem hier besonders bewusst.

Es ist die Kunst der Magdeburgerin, aus Baumstämmen Menschen zu formen. Hinter dem alten Haus liegen die Späne, als ob ein Biber am Werke war. Dort draußen ist auch ihr Arbeitsplatz, wenn die Kettensäge angesetzt wird und das Holz erste Bearbeitung erfährt. Grobschlächtiges Arbeiten, könnte man meinen. Aber nur auf den ersten Blick. Die Mimik der Gesichter spricht dagegen.

Latten aus dem Sperrmüll

Auf Augenhöhe arbeitet Cathleen Meier an einer ihrer neuesten Figuren. Zur zweiten, es ist ein hochgewachsener Jüngling, muss sie sogar aufschauen. Sie habe (noch) größer arbeiten wollen als bisher, erzählt sie, um aus dem doch einengenden Format rauszukommen. Sie wollte dieses Mal nicht, dass ein Stamm die Größe vorgibt.

Die Bildhauerin braucht keine Kettensäge. Jetzt baut sie auf, fügt Holz zusammen. Es ist für Meier eine ganz neue Herangehensweise. Ein Gestell ist Grundlage, die Figur innen hohl. Latten klebt sie, dicht an dicht, und bearbeitet anschließend. Eiche, Esche, Birke. Nicht nur Dichte und Festigkeit des Holzes sind unterschiedlich, es ist auch anders gemasert und trägt verschiedene Farbe. Das bringt, ohne dass der Farbtopf bedient werden muss, Leben ins Kunstwerk.

Flüchtlingsbewegung in Kunst aufgegriffen

„Jede Latte hat es verdient, verwendet zu werden“, sagt die 50-Jährige. Dieses Sammeln von Material aus Sperrmüll, dieses Wiederverwenden von Holz, das Menschen an den Straßenrand gestellt haben, weil es nicht mehr gebraucht wird, gehört seit jeher zur Arbeitsweise der Künstlerin. Schon immer ist sie losgezogen und hat aus ausrangierten Schränken Einlegeböden gesichert. Einige ihrer Holzschnitte zeugen davon: Im Druck fehlt schon mal eine kleine Ecke – dort, wo das Brett einst eingepasst worden war. „Dieses Holz erzählt Geschichten, so wie ich.“

Jetzt schaut sie in zwei Gesichter mit großen Augen und Mundwinkeln, die nach unten gezogen sind. Entsetzen liest man daraus. „Moria“ nennt sie ihre dreiköpfig geplante Figurengruppe. Die Situation der Flüchtlinge, der Brand, das Kindesleid – all das packt Meier in ihre Arbeit. „Mich treibt diese Schande um“, sagt sie. „Ich kann nicht nur schöne Sachen fürs Wohnzimmer machen.“

Den Schwachen eine Stimme geben

Den Finger in die Wunde legen, Schwachen eine Stimme geben, ist ihr Credo. Auch persönliche Tiefen werden zu Kunst. Ihren Standpunkt, das spürt man sehr schnell im Gespräch, muss sie in ihren Arbeiten kundtun. Im Erzählen blickt sie weniger auf den Lockdown und verschobene Ausstellungen. Natürlich sei es finanziell schwierig, auch weil ihre Galerie in Berlin über Monate hinweg geschlossen war. Wenn sie redet, geht es vor allem um die Welt mit all der Ungerechtigkeit, der Gewalt, dem Klimawandel.

Cathleen Meier, die an der Burg Giebichenstein bei Professor Bernd Göbel studierte, hatte schon in ihrer Diplomarbeit das Hingucken und Nichtvergessen thematisiert. Die von ihr geschaffene 2,20 Meter große Betonfigur liegt in einer Einzelzelle im Bunker des ehemaligen Konzentrationslagers Lichtenburg Prettin. Heute ist es eine Gedenkstätte.

Liedermacher-Texte inspirieren

Im Atelier hängen einige ihrer Holzdrucke. Ein Kind lässt einen Drachen fliegen. Tränen kullern unter dem weiten Himmel. „Nichts ist gut in Afghanistan“, hatte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann 2010 festgestellt. Meier hat diese Worte ins Holz gearbeitet.

Sie hört mit Vorliebe den so jung gestorbenen „Gundi“ Gundermann oder Hans-Eckardt Wenzel. Dessen Songtext „Stacheldraht, Elektrozaun hält den Flüchtling in der Ferne, schneidet Löcher in die Sterne ...“ war Inspiration für mehrere Holzschnitte. Stacheldraht zieht sich bedrohlich-düster übers Blatt. „Ich sage ja, es ist nicht alles fürs Wohnzimmer“, meint sie. Sie schaut da nicht auf Käuferinteresse. Sie muss ihre Vision zu Papier bringen, ihren Traum von einer grenzenlosen Welt.

Mehr Zeit während des Corona-Lockddowns

Der Boden des Ateliers fängt die Späne auf. Ohren, Hände, Beine müssen in Form gebracht werden. Diese Latten-Methode, das Zusammenfügen und Kleben sei aufwendig, sagt Meier und spricht von einem langen Atem, den man brauche. Der Lockdown gab ihr die notwendige Zeit.

Ein dritter „Moria“-Mensch soll noch entstehen. Zudem wartet ein plastisches Objekt auf Vervollkommnung. Holz ist dafür zur Leinwand geworden. Kohle und Farbe sind aufgetragen und lassen Menschen Schreie ausstoßen. Man denkt wieder an das Flüchtlingslager in Griechenland, die Menschen und ihre Hoffnungen, die Schmerzen in der Welt. „Ich muss das machen“, sagt Cathleen Meier und greift zum Beil. Sie hat viel zu tun.