Nahverkehr Sachsen-Anhalt Bahnunternehmen Abellio droht mit Insolvenz
Die Niederlande erhöhen den Druck auf Ministerpräsident Haseloff, ihrem angeschlagenen Bahnunternehmen Abellio aus der Patsche zu helfen.
Magdeburg - Abellio, Tochter der niederländischen Staatsbahn, hat in Sachsen-Anhalt einen Marktanteil von 46 Prozent. Für die Fahrten auf den Regionalzug-Strecken erhält Abellio vom Land jährlich gut 135 Millionen Euro. Zuletzt gewann das Unternehmen die Ausschreibung zum großen Diesel-Nordnetz. Der Vertrag läuft bis 2032. Mit einen äußerst günstigen Angebot schlugen die Niederländer den Platzhirsch DB Regio aus dem Rennen. Doch wie sich bald zeigte, hatte sich Abellio verkalkuliert. Vor allem die Lohnkosten kletterten deutlich schneller als erwartet. Daher fordert Abellio einen Nachschlag, der sich auf 100 Millionen Euro summiert. Das Land lehnt dies ab, weil dann Wettbewerber wie die im Bieterverfahren unterlegene Deutsche Bahn klagen könnten.
Seit September 2020 ziehen sich die Verhandlungen hin, im Mai schien Licht am Ende des Tunnels: Abellio und das Land wollten den Vertrag zum Nordnetz einvernehmlich zum Dezember 2024 und damit acht Jahre vor der Frist auflösen.
Doch das geht dem Finanzministerium in Amsterdam offenbar nicht schnell genug, zumal die Tochter Abellio auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen und Baden-Württemberg Regionalzüge fährt und dort ebenfalls finanziell aufs schiefe Gleis geraten ist. Die Niederlande will jetzt Geld sehen. Finanzminister Wopke Hoekstra schrieb an die Ministerpräsidenten: „Ich möchte Sie bitten, Ihre Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs der unvorhergesehenen Kostensteigerungen zu lenken.“ Und drohte: „Diese Angelegenheit ist dringend, da Abellio ohne Ausgleich der Mehrkosten nicht überlebensfähig ist.“
Geld her oder pleite
Die deutschen Chefs der Abellio Tochter schoben ein Ultimatum hinterher. Sie teilten Sachsen-Anhalts Nahverkehrsgesellschaft Nasa unmissverständlich mit: Entweder fließt das Geld bis Ende Juni oder es würde ein Schutzschirmverfahren eröffnet. Dies bedeutet: Insolvenz.
Träte dieser Fall ein, würde es für Sachsen-Anhalt hektisch und teuer. Abellio würde aus Gründen der Daseinsvorsorge verpflichtet, für eine Übergangszeit die bestellten Züge zu fahren – das Unternehmen würde dann aber die realen Kosten berechnen, die deutlich höher liegen dürften als die vertraglich vereinbarten. Zugleich müsste das Land das Netz neu ausschreiben. Da das Verfahren bis zum Zuschlag einige Jahre dauert, müsste das Land für die Zwischenzeit andere Bahnunternehmen gewinnen, die schnell einspringen. Solch eine Nothilfe würde sich ein Unternehmen vermutlich gut und damit teuer vergüten lassen.
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat auf den Brief des niederländischen Finanzministers noch nicht geantwortet. Zunächst soll Verkehrsministers Thomas Webel (CDU) bis Freitag eine Stellungnahme abgeben. Diese formuliert im Wesentlichen die landeseigene Nahverkehrsgesellschaft Nasa, da sie bei den Verhandlungen federführend ist.
Der Drohbrief aus Amsterdam hat die Verkehrsmanager einigermaßen entsetzt. „Uns hat das Vorgehen sehr überrascht“, sagte Geschäftsführer Peter Panitz der Volksstimme. „Wir dachten, dass wir auf einem guten Weg sind.“ Panitz forderte Abellio auf, weiter zu verhandeln. Denn eines bleibt klar: Nachzahlungen wird es nicht geben. Denn dies zöge vergaberechtliche oder auch beihilferechtliche Verfahren nach sich.
Die Regierung hat Rückendeckung in der Koalition. „Was die niederländische Staatsbahn macht, ist eine Riesensauerei“, sagt SPD-Verkehrspolitiker Falko Grube. Das Land wäre wegen der vielen Baustellen allenfalls zur Kulanz bereit. Normalerweise mindert das Land die Zahlungen, wenn es zu Verspätungen, Ausfällen und Ersatzverkehren kommt. Auf solche Abzüge würde man verzichten, wenn sie baustellenbedingt begründet sind.
Ultimatum abgelehnt
Auch das reiche Baden-Württemberg lehnt Nachschläge ab. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verweist in seinem Brief an den niederländischen Finanzminister auf das Bieterverfahren: „Abellio wusste somit sehr genau, zu welchen Konditionen Leistungen erbracht werden.“ Über unerwartete Kosten könne man verhandeln. Aber ultimative Forderungen „muss ich... entschieden zurückweisen“.