Erstes Mobiltelefon war ein schwarzer Kasten und wog genau elf Kilogramm "Handys" aus der DDR kamen in Mexiko groß raus
Die DDR verfügte über eigene Mobilfunktechnik. Doch für Einheimische galt: Kein Anschluss unter dieser Nummer. In Mexiko jedoch statteten Ost-Berliner Tüftler einen Gouverneur mit einem elf Kilo schweren Handy aus.
Luckenwalde/Berlin (dpa) l 25, 26, 29: Das sind DDR-Traumzentimeter-Maße, die zu einem schwarzen Telefonkasten gehören, der satte elf Kilogramm auf die Waage bringt. Stolz präsentiert der Luckenwalder Bernd Schmidl vom privaten Radiotechnik-Museum der Stadt den Apparat aus dem Jahr 1979 - das erste funktionierende Handy der DDR. "Das ist doch wirklich unglaublich. Bei uns gab es noch nicht einmal ausreichend Festnetztelefone und dann hatten wir Mobilfunktechnik", sagt der 63-jährige Museumsbetreiber.
Vorsichtig holt er das Telefon aus einem Regal in seinem Museumskeller. Liebevoll staubt er es ab, stellt es auf einen Tisch und zieht aus dem Schrank einen Aktenordner mit der Bedienungsanleitung heraus. "Die genaue Bezeichnung lautet UHF/VHF-Radiotelefoniesystem, kurz Urtes."
Vor 13 Jahren sei ihm der Kasten angeboten worden. Es sei allgemein bekannt gewesen, dass er zusammen mit seiner Frau Radiotechnik aus DDR-Zeiten sammelt. "Mehr als 5000 Einzelexponate habe ich mittlerweile zusammen. Das Spektrum reicht vom Volksempfänger über Stern-Kassettenrekorder bis eben zum DDR-Mobiltelefon", berichtet Schmidl. Für rund 300 D-Mark hat er den Apparat dann gekauft.
Anfangs wusste Schmidl gar nicht, was er sich da zugelegt hat. Er dachte an Stasi-Geheimtechnik. Dann fand er heraus, dass der Kasten vom VEB Funkwerk Köpenick gebaut worden war. Per Zufall ist er an die Telefonnummer von Konstrukteur Gottfried Schuppang gekommen und hat ihn getroffen. "Nichts mit Geheimtechnik", berichtet der heute 85-Jährige. "Das ist unsere Blaumeise, unser Mobiltelefon für Mexiko."
Das elf Kilo schwere Handy ist eine Spezialanfertigung für einen Gouverneur einer mexikanischen Provinz, der auch im Auto und in seinem Ferienhaus erreichbar sein wollte, erzählt Schuppang. Sammler Schmidl hat große Augen bekommen. "Funktelefone aus der DDR - das ist kein Scherz, auch wenn alles mit einer kleinen Hochstapelei angefangen hat", berichtet Schuppang.
Tolles Angebot: Arbeiten in Acapulco
Mexiko wollte Ende der 1970er Jahre das Land fernmeldetechnisch auf den neusten Stand bringen. "Zunächst haben unsere Kollegen den Auftrag zur Errichtung eines modernen Seefunkzentrums nahe der Hauptstadt Mexiko-City erhalten." Das sei nicht dramatisch gewesen, sozusagen Alltagsgeschäft für DDR-Techniker.
Pikant sei es erst geworden, als DDR-Ministeriumsvertreter auch Telefonverbindungen für die Landseite versprochen hatten. "Die Mexikaner wollten aber keine Leitungen, sondern Funklösungen", schildert der 85-Jährige. "Über so eine Technik verfügte die DDR damals aber gar nicht. Nur die Amerikaner von Motorola und zwei europäische Firmen hatten schon mit Kleinstfunknetzen experimentiert und erste Lösungen auf dem Markt."
Dennoch habe die DDR den Zuschlag erhalten. Die Funkwerker sollten im Bundesstaat Guerero ein Pilotnetz aufbauen. "Wir hatten 18 Monate Zeit", so der Nachrichteningenieur. Schuppang flog nach Mexiko, schaute sich alles an, malte etwas aufs Papier und legte es den Lateinamerikanern vor. "Die Technik gab es bei uns noch nicht. Insoweit war es Hochstapelei." Er habe seinen Kollegen und sich die Entwicklung jedoch zugetraut.
Zurück in Berlin ging es an die Arbeit. Den besten Entwicklern winkte ein mehrwöchiger Arbeitsaufenthalt in Acapulco. Das habe ungeahnte Kräfte freigesetzt. Nach nur 17 Monaten funktionierte die Technik. Im Frühjahr 1981 ging es nach Mexiko. In der Provinz Guerero wurde pro Dorf ein Telefon installiert. Mit einem zehn Watt leistungsstarken Sender konnten Distanzen zur Basisstation in über 40 Kilometer Entfernung gesendet werden. Von dort aus wurden die Gespräche per Richtfunk ins öffentliche Telefonnetz übertragen. Das Netz war auf maximal 120 Teilnehmer ausgelegt.
Am 12. September 1981 nahm DDR-Staatschef Erich Honecker in Mexiko das Netz in Betrieb. "Es war ein voller Erfolg", so Schuppang. Zwei weitere Netze wurden im Anschluss noch aufgebaut. Auch nach Algerien, Madagaskar und in den Jemen wurde das analoge Mobilfunknetz exportiert. Mit Aufkommen der Satellitentechnik war dann Schluss.
"Das ist ja unglaublich", sagt Joseph Hoppe vom Deutschen Technikmuseum in Berlin. "Mir war bisher hiervon gar nichts bekannt. 1979 steckte Motorola mit ihrem C-Netz auch noch in den Kinderschuhen", so Hoppe weiter. Er will der Sache jetzt auf den Grund gehen. Der letzte technische Beweis der "Blaumeisen"-Technik ist in Europa nur noch in Luckenwalde bei Bernd Schmidl zu bewundern.