Eisenbahn-Renaissance Wie VIS Halberstadt historische Züge zu neuem Leben erweckt
Die Bahn-Experten der Firma VIS aus Halberstadt machen den legendären „DDR-ICE“ wieder flott. Warum ihre Arbeit in ganz Europa gefragt ist.
Halberstadt. - Alles begann vor 180 Jahren. Hier war 1843 die zentrale Werkstatt der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn. Heute dreht es sich hier mehr denn je um fast alles, was auf Gleisen unterwegs ist - in Deutschland und Europa.
VIS Halberstadt: Hidden Champion aus Sachsen-Anhalt hält Eisenbahnen in Schuss
Das Unternehmen Verkehrs- und Industriesysteme GmbH kennen die Halberstädter nur unter VIS. Eine Art Hidden Champion. Die können hier was, was nur noch wenige sonst können. Das Werksgelände liegt ein bisschen versteckt an der Ausfallstraße nach Magdeburg. Hallen und Gleise hinter verblassten Fassaden. 260 Mitarbeiter, Jahresumsatz 22 Millionen Euro. Vertriebschef Marco Schumann (50) zeigt der Volksstimme das VIS-Reich hinter dem Halberstädter Hauptbahnhof.
Eine Exkursion, die das Herz jedes Eisenbahnfreundes hüpfen lässt und eine Menge Überraschungen bereithält. Es riecht nach verbranntem Metall und Öl. Eine Flex kreischt, Schweißbrenner zischen. Im Hintergrund dudelt ein Baustellenradio. Männer in blauen Overalls, manche auch mit orangenen Warnwesten, flexen, schweißen, schrauben. Andere lackieren, messen, fluchen oder reißen einen Witz.
Historische Eisenbahn-Schätze bei VIS Halberstadt
In den riesigen Hallen warten jede Menge historische Bahn-Schätze auf ihr neues Leben made in Halberstadt. Sie werden gerade auf Herz und Nieren geprüft und wieder flott gemacht: Zwei Triebwagen aus den 50er Jahren, die den Harzer Schmalspurbahnen gehören. Ein Exemplar des legendären Dieseltriebzuges SVT 175, besser bekannt als „Karlex“ oder „Vindobona“. Eine Art früher ICE und internationales Aushängeschild der Deutschen Reichsbahn. Er verband seit den 60er Jahren Berlin mit Karlsbad, Malmö und Wien.
Gleich um die Ecke stehen noch mehrere angejahrte DDR-Personenzugwagen, die für Anbieter von Bahn-Nostalgiereisen wieder aufgehübscht werden. Und ein uralter Waggon aus der Schweiz, von dem aktuell nur das Gerippe zu sehen ist.
Service für das Diesel-Netz von Abellio
Das Brot & Butter-Geschäft im Betriebshof der VIS beginnt, wenn die Sonne untergeht: Die tägliche Wartung der Dieselflotte von Abellio. Das sind die Züge, die zwischen Magdeburg und Halle Richtung Harz sowie von Magdeburg nach Wolfsburg und Erfurt pendeln. Abends nach 19 Uhr trudeln die Dieseltriebwagen (in Fachkreisen LINT-Züge genannt) auf dem VIS-Gelände ein.
20 bis 23 der insgesamt 54 Fahrzeuge bekommen ihren Feinschliff für den Einsatz am nächsten Tag. Sie werden geputzt, betankt, Kleinigkeiten werden repariert. Spätestens nach acht Tagen war jeder der Triebzüge einmal in Halberstadt. Natürlich kriegen die Züge hier auch die nötigen Turnus-Reparaturen und größere Fristarbeiten – vergleichbar mit einem Tüv beim Pkw.
Das geht auch so weiter, wenn statt Abellio ab Ende 2024 die Bahn-Tochter „Start“ das Dieselnetz übernimmt.
Großauftrag aus der Schweiz
Bis 1991 wurden im damaligen RAW Halberstadt Personenzugwagen gebaut - das Know-how ist also hier verwurzelt. Und europaweit gefragt. Aktuell werden im Unternehmen 200 Schnellzugwagen der Schweizerischen Bundesbahnen komplett saniert.
Das geht so: In der riesigen Werkhalle werden die Waggons aufgebockt. Arbeiter reißen das komplette Innenleben, Sitze, Verkleidungen, Kabel, Decke und Fußböden raus - bis nur noch das nackte Blech übrig ist. Dann sorgfältig alles einmal rückwärts. Außen Karosserie reparieren, schweißen. Nähte wetterfest machen, alles komplett neu lackieren. Innen neuen Fußboden einbauen, Verkleidungen, Sitze. Lüftung, Kabel, Ladesteckdosen, Beleuchtung, WLAN, Toiletten.
Nebenan in etwa das gleiche Prozedere für Straßenbahnen. Im Moment stehen Exemplare vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar und aus München in der Halle.
Experten-Schmiede VIS Halberstadt
„Wir könnten hier in Halberstadt noch viel mehr Wagen und Bahnen wieder auf Vordermann bringen. Leider fehlen auch bei uns die erforderlichen Fachkräfte, um noch mehr Projekte bearbeiten zu können“, sagt VIS-Vertriebschef Marco Schumann. Obwohl das Unternehmen selbst ausbildet:
Industriemechaniker, Konstruktionsmechaniker, Elektriker, Lackierer, Lagerlogistiker und Industriekaufleute. Schumann: „Wir hoffen, dass wir auch in 180 Jahren noch erfolgreich im Verkehrsgeschäft mitmischen.“ Dass sie es trotz sich ständig ändernder Bedingungen draufhaben, haben die Halberstädter immer wieder bewiesen.