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Für den Box-Weltmeister aus Magdeburg öffnen sich bislang verschlossene Türen - Arthur Abraham macht\'s möglich. Von Janette Beck Robert Stieglitz: Ein "Schattenboxer" im Rampenlicht

14.07.2012, 03:18

"Mega-Spektakel", "deutscher Box-Gipfel", "Kampf des Jahres" - vor dem Duell zwischen Weltmeister Robert Stieglitz und Herausforderer Arthur Abraham am 25. August wird mit Superlativen nicht gespart. Mit einem Schlag steht der Champion aus Magdeburg in jenem Rampenlicht, das ihm trotz boxerischer Klasse bisher nicht vergönnt war.

Magdeburg l Ist er das, oder ist er es nicht? Die hübsche Brünette und ihr Begleiter am Nachbartisch sind sich nicht sicher: Sieht so (normal) ein Box-Weltmeister aus? Einer, der mit der Kraft seiner zwei Fäuste jeden Gegner niederstreckt, der die Welt gesehen hat, ein Luxusleben führt und die großen Börsen kassiert?

Doch, er ist es, Robert Stieglitz - Magdeburgs Box-Champion der Herzen. Gerade vom dreiwöchigen Trainingslager in den Bergen Sloweniens zurückgekehrt, lässt er es sich gutgehen. Die Beine in einer Jeans unter dem Tisch lang ausgestreckt, löffelt er genüsslich einen Milch-Shake. Unter dem locker sitzenden T-Shirt sind die Muckis, die er an diesem Tag zweimal mit schweißtreibendem Training gestählt hat, nur zu erahnen. Wie schwer er im Moment für die anstehende siebte Titelverteidigung schuftet, steht dem Modellathleten ins Gesicht geschrieben. Er sieht müde und ein wenig ausgemergelt aus.

"Meine Karriere bekommt gerade den entscheidenden Kick"

Dennoch, beim Anblick des jungen SES-Boxers - der in Magdeburgs City völlig unbehelligt den Tag ausklingen lässt wie viele andere an diesem lauen Sommerabend auch - kommt man nicht umhin, einem ausgesprochenen Kenner der Szene Recht zu geben. Der Sportjournalist Hartmut Scherzer hatte kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" seinem Bericht über den Magdeburger Stieglitz und das mit Spannung erwartete deutsch-deutsche Prestigeduell mit Arthur Abraham die Überschrift gegeben: "Der unbekannte Weltmeister"

Doch das ist Robert Stieglitz wohl die längste Zeit gewesen - soviel steht schon jetzt fest, fünf Wochen vor dem Kampf in der O2 Arena in Berlin. Nicht nur in der Szene fiebert man der zu erwartenden Ringschlacht entgegen, und die PR-Termine und Anfragen häufen sich. Interviews und Homestory hier, Dreh für Werbezwecke (Stieglitz und Abraham als Musketiere) in den Babelsberger Filmstudios dort. Auch im Alltag des 31-Jährigen, der 2001 als Wolga-Deutscher nach Magdeburg gekommen war und seit 2009 den deutschen Pass besitzt, stehen die Zeichen auf go! Es geht nach vorn. Spürbar. Endlich. "Meine Karriere bekommt gerade den entscheidenden Kick. Wenn ich nur allein vom Bekanntheitsgrad ausgehe, habe ich in den letzten zwei Monaten einen größeren Schritt nach vorn gemacht als vielleicht in den letzten zehn Jahren zusammen."

Seitdem klar ist, dass Stieglitz gegen Abraham in den Ring tritt, ist eigentlich nichts mehr, wie es war. "Jeder, der sich für Boxen interessiert, weiß etwas mit dessen Namen anzufangen. Von Arthurs Popularität profitiere ich jetzt. Der Kampf ist inzwischen in aller Munde und mein Name dadurch automatisch auch", sagt der Champion, der seit 2001 im Geschäft ist und den im Sommer 2009 erkämpften WM-Gürtel immerhin schon sechsmal erfolgreich verteidigt hat.

So wundert er sich inzwischen auch nicht mehr, wenn ihm wildfremde Leute auf die Schulter klopfen und sagen: Du packst das, hau den Typen um, wir drücken dir die Daumen. "Auch dass man mich erkennt oder ich auf der Straße angesprochen und um Autogramme gebeten werde, kommt jetzt viel häufiger vor. Sogar außerhalb von Magdeburg. Vom Medien-Rummel mal ganz zu schweigen."

"Ich will mich nicht beschweren, denn wer A sagt, muss auch B sagen"

Das Ganze habe eine völlig andere, neue Dimension bekommen. Stieglitz, der jahrelang im Schatten boxte, tritt ins Rampenlicht. "Von der Ruhe, in der ich mich sonst auf einen Kampf oder selbst eine Titelverteidigung vorbereiten konnte, kann ich jetzt nur noch träumen. Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Ich will mich nicht beschweren, dazu habe ich zu lange darauf warten müssen, dass ich wahrgenommen werde und meine sportliche Leistung anerkannt und respektiert wird."

Der Name Abraham macht\'s möglich. Der Name des einstigen Mittelgewichts-Weltmeisters aus Armenien, der sich nach seiner Flucht vor der Armut unter deutscher Flagge von ganz unten nach ganz oben geboxt hat. Abraham, der mit dem Boxen Millionen verdient hat und ein gemachter Mann ist. Der Glanz und Glamour kennen und lieben gelernt hat. Der als "Schlumpf-Boxer" begann und inzwischen als "King Arthur" daherkommt. Abraham, der durch seinen Blut-Kampf 2006, als er gegen seinen Herausforderer Edison Miranda acht Runden mit einem doppelt gebrochenen Unterkiefer kämpfte und seinen Titel verteidigen konnte, zum Helden wurde.

Abraham also ist für Stieglitz das "Sesam-öffne-Dich" in eine Welt, die ihm selbst bisher nicht offen stand.

Aber das nicht etwa, weil dem SES-Profi die sportliche Klasse fehlt. Ganz im Gegenteil, Stieglitz ist technisch versiert und boxt einen attraktiven Stil. Er ist ein Kämpfer, kein Defensivboxer, ein Draufgänger und kein Langweiler. Und nicht von ungefähr ist der Supermittelgewichtler nach Max Schmeling, Ralf Rocchigiani und Marcus Beyer erst der vierte deutsche Faustkämpfer, der im Ausland Weltmeister wurde (2009/Budapest).

"Ich will und werde den Namen Abraham zerstören"

Das sportliche Gesamtpaket lässt Stieglitz nicht nur in den Augen seines Promoters Ulf Steinforth und Trainers Dirk Dzemski auf Augenhöhe mit einem Felix Sturm, einem Mikkel Kessler und erst recht mit den Brüdern Klitschko stehen. Auch die Konkurrenz weiß um die Klasse des verkannten Weltmeisters, lobt ihn hoch und macht dann doch einen Bogen um ihn. Zuletzt hagelte es kurzfristige Absagen.

Über die Gründe, warum Stieglitz trotz Klasse nicht in dem Rampenlicht steht, das ihm eigentlich gebührt, lässt sich trefflich philosophieren. So scheint es dem Boxer auf die Füße zu fallen, dass er einst seine sportliche Heimat bei dem ersten ostdeutschen Profiboxstall SES gesucht und gefunden hat. Und dass er trotz wachsender Erfolge geblieben ist. Obwohl oder gerade weil Manager Steinforth - momentan ohne finanzkräftigen TV-Haussender - in all den Jahren mächtig rudern musste, um Stieglitz und seinen Stallkollegen alle Möglichkeiten, sich boxerisch weiterzuentwickeln und zu profilieren, bieten zu können.

In dem "Familienbetrieb", in Magdeburg schlechthin, fühlt sich der Champion "einfach wohl und zu Hause". Das war ihm immer wichtiger als die Annehmlichkeiten, Popularität oder lukrative Sponsorenverträge, die einem winken, wenn man wie der Sauerland-Stall (ARD), Sturm (Sat.1) oder eben die Klitschkos (RTL) einen starken Sender hinter sich hat.

Ein weiteres Handicap könnte auch sein, dass Stieglitz "einfach zu artig, zu brav ist", wie es sein Manager Ulf Steinforth nett formuliert. Ein luxuriöser Lebensstil, Affären, Fehltritte in der Öffentlichkeit, Ausraster, verbale Entgleisungen ... Fehlanzeige. Selbst reißerisch aufgemachte Geschichten lassen sich mit dem bodenständigen "Jungen von nebenan" nur schwer machen. Geschweige denn, glaubhaft verkaufen.

Und so spielt sich beispielsweise auch der "Rosenkrieg" (Stieglitz), den er zweieinhalb Jahre nach der eingereichten Scheidung von Ehefrau Anna noch immer führt, im stillen Kämmerlein und nicht in der Öffentlichkeit ab. Eingeschlossen der Streit um das Besuchsrecht für Sohn Oskar (6).

Der Boxer, inzwischen liiert mit der Miss Sachsen-Anhalt 2010, Tatjana Genrich, sagt nur so viel: "Wäre ich ein armer Mann, dann wäre die Sache wahrscheinlich längst durch. Das Ganze ist wirklich nicht schön. Es belastet mich und kostet Nerven. Aber dennoch ist das Privatsache und geht keinen etwas an. Ich kann nur sagen, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe lange um diese Ehe gekämpft und diesen Kampf irgendwann aufgegeben, weil er keinen Sinn mehr gemacht hat."

Aufgeben im Ring, das ist für den Boxer Stieglitz dagegen unvorstellbar. Warum auch, sieht er doch jetzt "eine ganz reelle Chance", das zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Abraham steht ihm dabei im Wege, richtig. Und die meisten Experten gehen von einem "Fifty-Fifty-Kampf" aus. Aber der Gegner ist keiner, den der Champion fürchten muss. "Ich hoffe, das klingt nicht überheblich, wenn ich sage: Abraham ist zwar vom Namen her die größte Herausforderung meiner Karriere, und seine Nehmerqualitäten sowie seine überfallartigen Angriffe sind nicht zu unterschätzen. Dennoch, aus sportlicher Sicht waren ein Gutknecht oder ein Balczay ebenbürtige, wenn nicht sogar stärkere Gegner, und beide habe ich bezwungen."

Zuversicht und Selbstbewusstsein werden aber auch dadurch gestärkt, dass er Arthur kenne wie seine eigene Westentasche. "Wir haben zweimal miteinander Sparring gemacht. Ich weiß, was er kann und was nicht. Und ich weiß auch, was ich zu tun habe und dass ich mich auf meine Kondition verlassen kann."

Eine Kampfansage klingt irgendwie anders. Und das vielzitierte "Ballyhoo" erst recht. Aber das ist von Stieglitz, der beteuert, er werde sich "für nichts und niemanden auf der Welt verbiegen", ohnehin nicht zu erwarten. Um so erstaunlicher ist der Satz, mit dem er das Gespräch über Gott und die Box-Welt beendet: "Ich respektiere Arthur Abraham als Gegner, aber ich will und werde den Namen zerstören."

Spätestens wenn ihm genau das am 25. August (live ARD) auf der großen Showbühne gelungen ist, dann kennen ihn ein paar Millionen Boxfans mehr. Für den Anfang würde das dem "unbekannten Weltmeister" sicher reichen.