Rundfunkbeitrag Der Kampf der ARD um das gallische Dorf
Im Landtag von Sachsen-Anhalt kommt es im Dezember zu einer denkwürdigen Abstimmung. Alles hängt nun von der CDU ab.
Magdeburg l Wenn von Sachsen-Anhalt die Rede ist, fällt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in diesen Tagen schon mal das Wort vom „gallischen Dorf“. Seit Monaten geben sich Vertreter von ARD, ZDF und Deutschlandradio die Klinke in die Hand, besuchen Fraktionen im Magdeburger Landtag; sprechen mit Abgeordneten über die Notwendigkeit der geplanten Anhebung des Rundfunkbeitrags.
Auch am morgigen Freitag wird das wieder so sein. Im Medienausschuss des Landtags werden die Intendanten von ARD, MDR, ZDF und Deutschlandradio zur Anhörung erwartet. Ob sie dort den erwünschten Durchbruch erzielen, ist aber mindestens fraglich.
Einen Monat vor der entscheidenden Abstimmung des Landtags über die Erhöhung des Beitrags von 17,50 Euro auf 18,36 Euro pro Monat und Haushalt zeichnet sich vielmehr ab, dass Sachsen-Anhalt mit Nein stimmen könnte.
Es wäre ein Novum: Das mit 2,2 Millionen Einwohnern relativ kleine Bundesland würde die von der unabhängigen Experten-Kommission KEF empfohlene erstmalige Beitragserhöhung seit zwölf Jahren im Alleingang stoppen.
Denn: Damit die Erhöhung kommen kann, müssen alle 16 Länderparlamente einem von den Länderchefs im Sommer ratifizierten Staatsvertrag zustimmen. Markus Kurze, parlamentarischer Geschäftsführer und medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, weiß das. Und er weiß, dass in diesen Tagen viele Augen gerade auf seine Fraktion blicken.
So wie Sachsen-Anhalt unter den Ländern wird die Union im Plenum im Dezember das Zünglein an der Waage sein. Während die Partner der Kenia-Koalition, SPD und Grüne, sich festgelegt haben, die Erhöhung mittragen wollen, ist die CDU, wie die oppositionelle AfD, dagegen – wenn auch aus anderen Motiven. Allein die Stimmen von CDU und AfD würden für eine Ablehnung reichen (51 von 87 Stimmen).
Daran ändert auch nichts, dass die Linke ihre zunächst abwartende Haltung am Dienstag aufgegeben hat und der Erhöhung nun ebenfalls zustimmen will.
So wie die Intendanten wiederholt auch Kurze auf Anfrage geduldig seine Argumente gegen die Anhebung des Pflichtbeitrags: Die Union stehe zu den Öffentlich-Rechtlichen. Aber: „ARD und Co. sind zu groß und zu teuer geworden“, sagt er. Hat er recht?
● Kritikpunkt 1 – zu viele Sender : „Uns fragen viele Bürger, brauchen wir wirklich über 20 Fernseh- und 74 öffentliche Radioprogramme, um eine Grundversorgung zu erfüllen?“, fragt Kurze etwa.
Die ARD teilt dazu mit: Aktuell betrieben die Öffentlich-Rechtlichen 13 TV- und 64 Hörfunksender. Nicht eingerechnet seien mit dem ZDF zusammenarbeitende TV-Sender, wie Phoenix und Arte. Das wären zwar immer noch weniger Sender, als von Kurze behauptet. An der Grundaussage ändere das aber nichts, sagt der Medienpolitiker.
Tatsächlich hat die Zahl der Sender seit 1970 beträchtlich zugenommen: In der damaligen BRD gab es noch 10 TV- und 27 Hörfunkprogramme, plus Deutsche Welle, Rias und Deutschlandfunk. Bis zum Jahr 2000 stieg die Zahl auf 12 TV- beziehungsweise 62 Radioproprogramme, plus Nebensender. Heute bieten ARD, ZDF & Co. auch zahlreiche Spartenprogramme an, wie One, ARD Alpha oder das Online-Medienangebot „funk“ für junges Publikum.
Dazu muss man allerdings wissen: „Die Sender der ARD sind bei der Anzahl ihrer Programme an die gesetzlichen Vorgaben der Länder gebunden“, sagt ARD-Sprecherin Svenja Siegert. Beispiel Fernsehen: Alle Programme werden ausdrücklich im Medienstaatsvertrag aufgezählt. Bei den Radioprogrammn verbietet es der Staatsvertrag ausdrücklich, bundesweite, gemeinsame Angebote einzurichten.
Kurze bestreitet die Verantwortung der Politik nicht: In Verträgen mit den Rundfunkanstalten habe diese zu lange selbst zum übermäßigen Wachstum beigetragen, sagte er. „In Zeiten eines immer häufiger nichtlinearen Medienkonsums müssen wir aber umso mehr ernsthafter über Auftrag und Strukturen diskutieren, so wie von der KEF seit langem gefordert.“
● Kritikpunkt 2 – Zu wenig Präsenz im Osten: Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung seien die Öffentlich-Rechtlichen zudem zu wenig im Osten präsent, lautet ein weiteres Argument der CDU-Fraktion im Landtag.
Von 50 ARD-Gemeinschaftseinrichtungen lägen mit dem Kinderkanal (Kika) in Erfurt und dem ARD-Hauptstadtstudio (Berlin) nur zwei nennenswerte in den neuen Ländern – mit Folgen für die Berichterstattung: „Es fehlt nach wie vor oft die Binnenperspektive auf den Osten“, sagt Medienpolitiker Kurze.
Die ARD räumte Handlungsbedarf wiederholt ein. So kündigte Chef Tom Buhrow schon zu Beginn seiner Amtszeit an, die ARD ostdeutscher machen zu wollen. Ein medial diskutierter Teil-Umzug der prestigeträchtigen Serien- und Filmtochter Degeto von Frankfurt/Main nach Leipzig kam allerdings nicht zustande. Stattdessen soll nun eine digitale ARD-Kulturplattform im MDR-Gebiet – wohl in Halle – entstehen. Zudem wurden die Tagesthemen verlängert. Fünf Minuten Sendezeit widmen sich nun explizit den Regionen – auch Ostdeutschland.
Zu den Zahlen: Laut ARD liegen aktuell 6 von 50 Gemeinschaftseinrichtungen im Osten. Neben dem Kinderkanal und dem ARD-Hauptstadtstudio sind darunter aber vor allem technische Einrichtungen, wie ARD-Text und ARD-Digital sowie ein Standort des Deutschen Rundfunkarchivs in Potsdam.
● Kritikpunkt 3 – zu hohe Gehälter: Die CDU im Landtag drängt seit langem auf Einsparungen der Öffentlich-Rechtlichen vor allem bei den Gehältern. „Es ist schon schwierig zu vermitteln, warum Intendanten wie Herr Buhrow viel mehr verdienen müssen als der Bundespräsident“, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zu Jahresbeginn der Wochenzeitung „Die Zeit“. Einer Auflistung der ARD zufolge verdiente der ARD-Chef zuletzt 395.000 Euro im Jahr, der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, immer noch 388.000 Euro und MDR-Intendantin Karola Wille 275.000 Euro.
Die Bezüge von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betrugen 2019 laut dessen Webseite 249 000 Euro plus Aufwandsgeld in Höhe von 78 000 (insgesamt 327 000 Euro). „Bei allem Respekt vor der Arbeit der Intendanten, ein solches Lohnniveau ist keinem Beitragszahler erklärbar“, sagte Markus Kurze dazu.
Die Öffentlich-Rechtlichen verweisen darauf, beim Thema Einsparungen nicht untätig geblieben zu sein. Bereits im vergangenen Herbst kündigten sie ein umfangreiches Sparpaket an. Inhalt: Die ARD will bis 2028 rund 950 Millionen Euro sparen, beim ZDF sind es 270 Millionen Euro, beim Deutschlandradio 70 Millionen Euro. Die Summen sollen durch Kooperationen, effizientere Produktion oder einheitliche IT-Infrastruktur zusammenkommen.
Manchen Ländern gingen die Sparvorschläge allerdings nicht weit genug. Auch die Kommission KEF verlangt weitere Einsparungen – etwa bei Programm und Personalkonzept. In Kenntnis der weiter unveränderten Mehrheiten in Fraktion und Landtag drängte Sachsen-Anhalts Landeschef Haseloff im Frühling in zwei Briefen an die Intendaten von ARD, ZDF und Deutschlandradio auf Nachbesserungen bei den Sparbemühungen der Sender sowie auf eine ARD-Gemeinschaftseinrichtung für den Osten.
Bei den Rundfunkanstalten kam das gar nicht gut an. Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), sprach von einer „Grenzüberschreitung“. Die angekommene Botschaft der Verknüpfung von rundfunkpolitischen Forderungen mit der Abstimmung über die Rundfunkbeitragshöhe sei verfassungsrechtlich bedenklich, hieß es damals.
Zuletzt machte ARD-Chef Buhrow selbst allerdings das Schicksal der neuen ARD-Kulturplattform in Halle von einem Ja zur Beitragsanhebung abhängig.
Der MDR verweist derweil auf die Negativ-Folgen, die ein Nein zur Beitragserhöhung für die Senderlandschaft hätte: Bliebe es bei der Beitragshöhe von 17,50 Euro, müsste allein der MDR zwischen 2021 und 2024 rund 165 Millionen Euro sparen – die Öffentlich-Rechtlichen insgesamt 1,5 Milliarden Euro. „Deutliche Einschnitte im Programm lassen sich dann nicht mehr vermeiden“, sagte Sprecherin Julia Krittian. Die Summe entspreche dem Etat eines der drei MDR-Landesfunkhäuser im Zeitraum 2021 bis 2024. Selbst bei Anhebung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro müsse der MDR im zweistelligen Millionenbereich sparen.
Die Haltung der CDU im Land ändert das nicht. Sie sei seit zehn Jahren stringent, sagt Markus Kurze. „Wir haben uns 2016 im Koalitionsvertrag darauf verständigt und in einer Grundsatzdebatte 2018 im Parlament beschlossen, an der Beitragsstabilität festhalten zu wollen. Dazu stehen wir.“
Dass etwa der grüne Koalitionspartner dafür plädiert, auch die Teuerungsrate einzubeziehen, lässt Kurze nicht gelten. „Stabil heißt stabil“, sagte er. „Das ist wie beim Taschengeld.“ Da bekomme man bei einer vereinbarten Summe auch nicht plötzlich mehr.
ARD-Chef Buhrow hat unterdessen klargemacht, dass die Sendeanstalten bei einem Nein aus Sachsen-Anhalt kaum untätig bleiben würden. Im Falle dessen sei mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht zu rechnen, deutete Buhrow jüngst in einem Interview an.
Schrecken kann er Medienpolitiker Kurze damit nicht. Der 49-Jährige legte sich gegenüber der Volksstimme am Mittwoch fest: Die CDU im Landtag stehe beim Bürger im Wort und werde bei ihrem Nein bleiben. 2007 habe das Verfassungsgericht schon einmal geurteilt, dass Länder von der Empfehlung der KEF abweichen können, wenn eine Erhöhung die Beitragszahler aufgrund der wirtschaftlichen Situation unnötig belaste und schwer zu vermitteln sei.
„Angesichts der schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen durch die Corona-Krise wäre das jetzt ganz sicher der Fall.“