Seilbahn-Projekt Schierke hofft auf neuen Glanz
Dem Tourismus-Projekt am Winterberg im Harz droht aber das Aus, weil die Politik weiter über Fichtenwälder streitet.
Schierke l Werner Vesterling ist mit seinen 77 Jahren noch recht fit, Wandertouren machen dem früheren Präsidenten der Handwerkskammer Magdeburg nicht viel aus. Und weil er die Harzer Bergwelt so schätzt, hat der Schierker bereits vor einiger Zeit eine Bürgerinitiative gegründet, die den geplanten Seilbahn-Bau politisch unterstützen will. „Die Bahn hoch zum Winterberg ist für unsere wirtschaftliche Entwicklung unwahrscheinlich wichtig, wir wollen schließlich mehr Touristen hierher locken“, betont Vesterling.
Insofern schmerzt ihn der erbitterte politische Streit um die Seilbahn um so mehr: „Ich bin sehr traurig, dass uns Schierkern wieder so viele Schwierigkeiten gemacht werden.“ Dem Projekt droht das Aus, weil die Landesregierung seit Monaten um die Frage ringt, ob sich der Seilbahn-Bau mit Naturschutz-Regeln vereinbaren lässt.
Insbesondere das von den Grünen geführte Umweltministerium ist der Ansicht, dass die Seilbahn „schützenswerte Moorwälder“ beeinträchtigen würde. Vesterling hält die Bedenken für ungerechtfertigt, glaubt vielmehr, dass die Grünen das Projekt aus politischen Gründen verhindern wollen. „Wieder mal soll über unsere Köpfe hinweg entschieden werden“, schimpft er.
Um Vesterlings Ärger nachzuvollziehen, hilft ein Blick in die Geschichte Schierkes. Der Harz-Ort, der heute etwas mehr als 700 Einwohner zählt, war einst eine Art Wintersport-Mekka. Bereits um 1900 sollen Urlauber vom „St. Moritz des Nordens“ gesprochen haben. Um den Ort herum gab es nach Angaben der Ortschronistin Ingrid Hintze mehr als ein Dutzend Sportanlagen, darunter Rodelbahnen, Schanzen und Pisten.
Am Winterberg, auf den die Seilbahn künftig führen soll, gab es seinerzeit kaum Moorwälder, sondern angelegte Fichtenwälder für die Holzindustrie. Andernorts weideten Kühe und im Winter konnten Skifahrer über einen Slalomhang ins Tal sausen. Mit dem Bau der Mauer 1961 fiel Schierke jedoch ins Sperrgebiet. Wintersport und Tourismus gingen dadurch massiv zurück, weil nur noch wenige Bürger die Erlaubnis erhielten, den Ort zu besuchen. Eine weitere Folge: Die Sportanlagen verfielen über die Jahre.
Auch der Winterberg verwilderte. Gräben, die von den Bauern zur Entwässerung der Berghänge angelegt wurden, verschlammten. Zwischen den Fichtenwäldern sammelte sich ebenfalls hier und dort Wasser, es entstand nach und nach eine sumpfige Berglandschaft.
Mit der Wiedervereinigung 1990 schöpfte der Harz-Ort Schierke erstmals neue Hoffnung, an alte Zeiten als Tourismus-Mekka anknüpfen zu können. Erste Diskussionen um neue Sportanlagen flammten auf. Doch Mitte der 1990er Jahre wurden die Berge rund um Schierke dem Nationalpark Harz zugeschlagen. Und nicht nur das: Seinerzeit forderte die EU von ihren Mitgliedsländern, Gebiete zu benennen, die unter europäischen Naturschutz gestellt werden sollten. Die Landesregierung Sachsen-Anhalts meldete den bereits vorhandenen Nationalpark Harz nach Brüssel. Für Werner Vesterling ist das noch heute ein Skandal. Denn Betroffene wie die Bewohner von Schierke seien nicht gefragt worden, schimpft er.
1998 legte Schierke deshalb Klage gegen die Entscheidung ein und erreichte einen Teilerfolg. Der Landtag beschloss, den Winterberg aus dem Nationalpark herauszulösen, um den Schierkern wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Für die 70 Hektar große Fläche am Winterberg erhielt der Nationalpark Harz 2001 einen üppigen Ausgleich: Ganze 3000 Hektar Wald bei Ilsenburg wurden dem Park zugeschlagen.
Ende 2001 stellte sich allerdings heraus, dass der Winterberg weiterhin Teil des Fauna-Flora-Habitat-Gebiets (FFH) der EU bleiben muss – wegen der sumpfigen Wälder, die sich zu DDR-Zeiten entwickelt hatten. Der damalige Umweltminister Konrad Keller (SPD) betonte aber Ende 2001 in einem Schreiben, dass der FFH-Status nicht automatisch einer wirtschaftlichen Entwicklung entgegenstehe.
Der Traum von einer Seilbahn lebte also – zumindest aus Sicht der Schierker. Zwar fand sich zunächst kein Seilbahn-Investor, doch andere Projekte wurden in Angriff genommen. Für 11,9 Millionen Euro erhielt der Ort neue Straßen und Brücken, damit Gäste eine komfortablere Anfahrt haben. 2014 wurde zudem für 12,8 Millionen Euro ein neues Parkhaus eröffnet. Und gleich in der Nachbarschaft entsteht derzeit die Feuersteinarena – ein 8,4 Millionen Euro teurer Multifunktionsbau, etwa für Eisläufer im Winter. Arena und Parkhaus hatten die Planer natürlich bewusst am Fuße des Winterbergs vorgesehen. Touristen sollten es nicht weit haben, wenn eines Tages die Seilbahn realisiert werden würde.
Für eine solche ergriff die Stadt Wernigerode mit einer Machbarkeitsstudie im Jahr 2014 einen erneuten Anlauf. An die Untersuchung kann sich der Projektleiter vonseiten der Stadt, Andreas Meling, heute noch gut erinnern. „Schon die erste Studie kam zu der Erkenntnis, dass für den Seilbahn-Bau beim Land eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden müsste, weil die Bahn durch FFH-Gebiet führen würde“, berichtet er. Dennoch habe die Stadt mit Gerhard Bürger einen Investor gewinnen können.
Mit Bürger an Bord gingen die Planungen schneller voran, 2015 konnte der Investor Grundzüge des Projekts dem damaligen Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) vorstellen. Ein Brief aus dem Ministerium, der von Aeikens‘ Büroleiter seinerzeit hierzu verschickt worden sein soll, erhitzt dieser Tage vor allem die Gemüter grüner Politiker. Laut Mitteldeutscher Zeitung (MZ) sei damals schon festgestellt worden, dass eine Seilbahn wegen den Mooren „geringe Chancen auf Realisierung“ hätte.
Doch gegenüber der Volksstimme erklärt Aeikens, der heute als Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet, er habe keine grundsätzliche Absage erteilt. „In meiner Zeit als Umweltminister habe ich nicht nur gesagt, was nicht geht – ich habe bei allen Projekten stets versucht, Lösungswege aufzuzeigen.“
Der politische Streit um die Seilbahn eskalierte auf Landesebene aber auch erst 2017. Nachdem der Investor das Projekt vorgestellt hatte, beauftragte er 2016 ein Planungsbüro, um detaillierte Karten vom Winterberg erstellen zu lassen. Um zu vermeiden, dass die Bahn gegen Umweltrecht verstößt, setzten sich die Planer des Investors mit Fachleuten des Landesamts für Umweltschutz, das dem Umweltministerium angegliedert ist, an einen Tisch. Sie verabredeten genaue Kriterien für die notwendigen Untersuchungen.
Auch nach dem Regierungswechsel, nach der Übernahme des Umweltministeriums durch Grünen-Politikerin Claudia Dalbert, verliefen die Abstimmungen zunächst geräuschlos. Im Oktober 2016 gab es zwischen den Fachleuten des Investors und des Landes ein weiteres Treffen. Erst zum Jahresende kippte die Stimmung.
Zunächst kam das Planungsbüro des Investors zu der Erkenntnis, dass die ursprünglich geplante Trasse wohl nicht genehmigungsfähig sein würde. Hauptursache: Die Trasse wäre zu nah an einem Moor im FFH-Gebiet vorbeigelaufen. Der Investor entschied daraufhin, vom Büro eine Alternativ-Trasse ausarbeiten zu lassen, die mit Umweltrecht zu vereinbaren wäre. Die aktualisierten Pläne sollten vom Umweltressort erneut bewertet werden.
Doch über Monate geschah nichts. Im März erklärten die Grünen zur Überraschung ihrer Koalitionspartner, sie seien gegen neue Ski-Gebiete im Harz. Denn diese seien aufgrund der Erderwärmung weder ökonomisch noch ökologisch tragfähig. Bei CDU und SPD schrillten daraufhin die Alarmglocken, das Projekt solle nicht an überzogenen Ansichten scheitern. Zudem wäre die Bahn auch was für Wanderer im Sommer.
Ende April ließ Claudia Dalbert dann wissen, auch die Alternativ-Trasse verstoße gegen Umweltrecht. Begründung: Die Moore seien größer, als vom Planungsbüro des Investors angegeben. Und zudem seien die Moore, die sich außerhalb des FFH-Gebietes befinden, mit den gleichen Umweltschutz-Standards zu behandeln wie die innerhalb – eine selbst für Fachleute völlig neue Argumentation. Sowohl beim Investor, als auch bei CDU und SPD verfestigte sich daraufhin der Verdacht, hier sei getrickst worden.
Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) entschied daraufhin, mit seinen Ministern den Winterberg zu besuchen. In den Gesprächen dort kam unter anderem heraus: Dalberts Fachleute haben mit anderen Kriterien Prüfungen am Berg vorgenommen als die Planer des Investors, obwohl sich beide Seiten ein Jahr zuvor auf Kriterien geeinigt hatten. Dennoch erklärte Dalbert, ihre Experten hätten „mit hoher Präzision und Wissenschaftlichkeit“ gearbeitet und nicht getrickst. Doch Zweifel bleiben: Selbst die Referatsebene des Umweltressorts hat die mit dem Investor verabredeten Kriterien zuvor als „sachgerecht“ eingestuft, ein Schreiben hierzu liegt der Volksstimme vor.
Für Klarheit soll nun ein externer Gutachter sorgen. Werner Vesterling hofft, dass die Bahn doch noch kommt. „Die Brockenbahn allein reicht auf Dauer nicht, um Touristen nach Schierke zu locken.“