Schreib-Wettbewerb "Goldene Feder" Einsatz für die Lebensretter: Elftklässler für diese Reportage ausgezeichnet
Nachwuchsjournalist Felix Seidel begleitete Rettungskräfte im Harz einen Tag lang. Für seine dabei entstandene Reportage wurde der Elftklässler mit dem Journalistenpreis "Goldene Feder" ausgezeichnet. Der Text zeigt, welche Arbeit die Helfer täglich leisten. Außerdem: Hintergründe zum Medienpreis sowie ein Interview mit Felix Seidel.

Durch die geschlossenen Fenster des Wohnzimmers fällt nur spärliches Licht. Ein süßlich-strenger Geruch vermischt sich mit der stickigen Luft im Raum, den Notfallsanitäterin Sandra Viereck und Notarzt Tino Breitfeld von der Rettungswache Wernigerode gerade betreten haben.
Auf dem Sofa liegt eine blasse, junge Frau. Sie wirkt erschöpft, hat Schwierigkeiten, die Augen offenzuhalten. Sofort beginnen die Lebensretter mit der Erstversorgung. Schnell stellen sie jedoch fest, dass der eigentliche Notruf fehlerhaft gewesen ist. Dort war von einer Kopfwunde die Rede, die die Frau aber tatsächlich nicht hat. Tino Breitfeld hat einen Verdacht.
Zwölf Millionen Einsätze im Jahr
In Deutschland sind gut 86.000 Menschen im Rettungsdienst beschäftigt. Im Jahr fahren sie um die zwölf Millionen Einsätze. Mit ihrer Arbeit helfen sie Patienten in Not.
Wertschätzung bekommen die Retter dafür nicht immer. Fehlende Rettungsgassen, aggressive Sprüche und sogar tätliche Angriffe sind keine Seltenheit. Die anspruchsvolle Hilfsarbeit der Einsatzkräfte wird dadurch noch erschwert.

Melder ruft zu Notfällen
Als sie zu der Frau im Dämmerzustand gerufen werden, sind Sandra Viereck und Tino Breitfeld schon einige Stunden im Bereitschaftsdienst. Es ist ein kalter Januarnachmittag, der Harz ist in ein feines Weiß getaucht. Als Sanitäterin darf Viereck Patienten versorgen, auch Medikamente geben. Sie unterstützt Notarzt Breitfeld, der die Behandlung des Patienten leitet.
Zu Einsätzen wird das Zweier-Team mit einem Melder gerufen, einem kartenspielgroßen Gerät, das durch einen lauten Piepton alarmiert. Während der Bereitschaft müssen ihn die Helfer immer bei sich tragen. Eine halbe Stunde nach Dienstbeginn macht sich dieser Melder bei Breitfeld und Viereck bemerkbar. „Junge Frau blutet am Kopf und hustet Blut“, so lautet die Einsatzmeldung.
Jacke überstreifen, der Notarztrucksack liegt schon im Auto bereit – los geht es. Mit Blaulicht und Martinshorn geht es durch die verschneiten Straßen von Wernigerode zum angegebenen Ziel, dem kleinen Ort Stapelburg.
Auf dem Weg werden dem Team weitere Informationen über Funk von der Einsatzzentrale mitgeteilt. So erfahren die beiden bereits im Voraus, dass es sich bei dem Haus um eine Ferienwohnung handelt, die aktuell von Personen bewohnt wird, die aus Osteuropa stammen.
Verständigung via Online-Übersetzer
Zehn Minuten später ist die angegebene Adresse erreicht. Ein Rettungswagen ist bereits vor Ort. Notfallsanitäterin Viereck schnappt sich den Rucksack und betritt das kleine Haus, in dem die Rettungssanitäter schon erste Hilfsmaßnahmen getroffen haben. Erschöpft liegt die Frau auf dem Sofa, sie ist eine junge Polin. Das wenige Licht wird von den grellen Jacken und Hosen der Retter reflektiert. Mit im Raum sind noch der Mann der jungen Frau sowie deren Schwester. Sie laufen hin und her. Sie wirken unruhig und aufgelöst.
Um sich zu verständigen, muss Notarzt Breitfeld seine Fragen in einen Online-Übersetzer sprechen. Schnell wird klar, dass der Notruf fehlerhaft gewesen ist, denn die Patientin hustet weder Blut noch hat sie eine Kopfwunde. Dennoch spulen die Retter das gewohnte Programm ab: Erst die Vitalfunktionen prüfen und dann ein EKG schreiben, mit dem Herzfrequenz und -rhythmus gemessen werden.
Beides ist jedoch im Normalbereich. Dann fallen allerdings neurologische Unregelmäßigkeiten auf. Die Pupillen der jungen Frau werden abwechselnd groß und klein. „Hat ihre Frau Drogen oder andere Substanzen genommen?“, fragt Notarzt Breitfeld den Mann. Der verneint das vehement, ebenso wie die Schwester.
Weiterversorgung im Harzklinikum
Die Lebensretter stehen vor einem Rätsel, das sie vor Ort allerdings nicht klären können. Deswegen transportieren sie die junge Frau in den Rettungswagen. Die Polin muss ins Krankenhaus. Ziel ist nun das Harzklinikum.
Während Tino Breitfeld bei der Patientin bleibt, fährt Sandra Viereck mit dem Einsatzwagen hinterher. Am Armaturenbrett des Wagens sind verschiedene Schalter angebracht, die sie immer wieder betätigt: „Damit ändere ich die Lautstärke des Martinshorns von einer Variante, die in der Stadt genutzt wird, zu einer, die durch eine höhere Lautstärke für Überlandfahrten besser geeignet ist“, erklärt sie.
„Immer häufiger kommt es aber auch vor, dass die Menschen mit ihren Autos gar keine Rettungsgasse bilden und einfach weiterfahren, obwohl wir nicht zu überhören und übersehen sind“, fährt Viereck fort. Das koste natürlich Zeit, die die Retter oft nicht haben. Heute jedoch halten die Autos vorbildlich am Straßenrand.
In der Notaufnahme angekommen, wird die Patientin den Klinikärzten übergeben. Tino Breitfeld ordnet einen Drogentest an. Für ihn und Sandra Viereck ist der Fall damit jedoch nicht beendet. Im Schwesternzimmer der Notaufnahme füllen sie noch das Einsatzprotokoll aus. Darin werden Befunde oder auch Medikamentengaben notiert.
Ungefähr eine Stunde nach dem Notruf können sie zurück zur Wache. Draußen ist es mittlerweile dunkel geworden, die letzten Sonnenstrahlen des Tages werfen ein gelb-orangefarbenes Licht auf die Häuserdächer. Die Garage der Wache ist gerade leer. Alle Rettungswagen sind unterwegs.
„Der Notarzt wird nicht immer automatisch alarmiert, sondern lediglich in akut lebensbedrohlichen Fällen“, erklärt Notarzt Breitfeld. Über den ganzen Landkreis Harz hinweg sind fünf Einsatzfahrzeuge stationiert, die rund um die Uhr bereitstehen. Die Rettungswache ist groß, geräumig und auf zwei Etagen verteilt. Im Obergeschoss gibt es einen großen Aufenthaltsbereich mit bequemen Sofas, einer Küche sowie mehrere Schlafräume für die Rettungssanitäter, die Nachtschicht haben.

Ruhiger Abend, lange Nacht
Sandra Viereck und Tino Breitfeld lehnen entspannt an der Wand, in der Hand ein warmer Kaffee. Solche kurzen Pausen sind wichtig. Allerdings kann es jederzeit wieder losgehen. „Gerade in der vergangenen Nacht hatte ich von drei bis fünf Uhr einen Einsatz“, berichtet Tino Breitfeld. Notfälle richten sich nicht nach Schlafenszeiten.
Die beiden erzählen, dass sie schon ziemlich früh wussten, dass sie zum Rettungsdienst wollen. Mitten in der Nacht aufzustehen, gehöre zu dem Job dazu. Wichtig sei ihnen, anderen Menschen helfen zu können. Doch das werde nicht immer gewürdigt. Sowohl Viereck als auch Breitfeld haben schon Erfahrungen mit Pöbeleien und Handgreiflichkeiten gemacht. Schockierende Ereignisse seien das gewesen.
Allerdings: Solche Vorkommnisse sind bei weitem nicht die Mehrzahl. Das zeigt auch die Pinnwand auf dem Flur der Wache, die voller Dankeskarten von Menschen ist, denen die Lebensretter geholfen haben.
Nach und nach kehren die Rettungssanitäter von ihren Einsätzen zurück, auf dem Flur und in der Küche wird es voll. Der Ton ist vertraut, es werden Scherze gemacht, man kennt sich. Im Aufenthaltsraum läuft der Fernseher. Ein Vorabendkrimi. Es ist ein eher ruhiger Tag.
Während Sandra Viereck am Abend nach Hause darf, endet die Schicht für Tino Breitfeld erst um sieben Uhr am nächsten Morgen. Oft wechseln sich Zwölf- und 24-Stunden-Dienste ab. Für den Notarzt wird es erneut eine ereignisreiche Nacht. Um 22 Uhr muss er zu einem Patienten mit ausgekugeltem Finger. Nachts um drei Uhr weckt ihn dann der Melder mit einem Oberschenkelbruch.
Was aus der Polin geworden ist, erfahren die engagierten Retter nicht mehr. Wichtiger ist für die beiden jedoch ohnehin, dass sie der jungen Frau so gut wie möglich geholfen haben.

Der Jugendpressepreis „Goldene Feder“ und die Preisträger aus Halberstadt
„Für mich ist es ein einmaliges Erlebnis gewesen, solch einen Einsatz hautnah miterleben zu dürfen“, sagt Felix Seidel. Der 17-jährige Schüler des Gymnasiums in Halberstadt mit einer Leidenschaft für das Schreiben, schwärmt noch heute von dem Abend, an dem er Notarzt und Notfallsanitäterin über die Schulter schauen konnte. Aufgeschrieben hat er seine Reportage für die Schülerzeitung „Das Martinshorn“.
Sowohl Seidel als auch „Das Martinshorn“ konnten beim Wettbewerb um den Jugendpressepreis „Goldene Feder“ im vergangenen Jahr Auszeichnungen für sich verbuchen. Die „Goldene Feder“ wird vom Verband junger Medienmacher Sachsen-Anhalt in Kooperation mit dem Bildungsministerium verliehen. In der Jury waren außerdem Mitarbeiterinnen der Mitteldeutschen Zeitung und der Volksstimme sowie des Mitteldeutschen Rundfunks und der Hochschule Magdeburg-Stendal vertreten.
„Das Martinshorn“ heimste den Ministeriumssonderpreis „Mein Engagement für meine Schule“ ein. Felix Seidel wurde für seine Lebensretter-Reportage mit dem Preis für den besten Nachwuchsjournalisten geehrt. Neben einem Preisgeld von 500 Euro erhielt Felix Seidel zudem die Zusage des Chefredakteurs Marc Rath, dass seine Reportage über Rettungskräfte im Harz in der MZ und der Volksstimme veröffentlicht wird.
Verbunden wurde dieses Angebot mit einem Besuch bei der Mitteldeutschen Zeitung, bei dem Felix Seidel in einem persönlichen Workshop weitere Tipps zur Optimierung seines Textes erhielt. „Wir freuen uns darüber, jungen Talenten einen Platz in unseren Zeitungen einzuräumen“, so Marc Rath. „Felix Seidel hat ein interessantes Thema mit hoher Relevanz für unsere Leserinnen und Leser aufgegriffen und eine spannende Reportage verfasst.“
Das Engagement im Wettbewerb um die „Goldene Feder“ ist für Mitteldeutsche Zeitung und Volksstimme nur ein Standbein der Nachwuchsförderung und der Unterstützung junger Menschen im Umgang mit Medien. Mit dem Projekt „Medienklasse“ und dem damit verknüpften Schreibwettbewerb setzen sich beide Titel dafür ein, in Sachsen-Anhalts Schulen die Lese-, Schreib- und Medienkompetenz zu stärken.

Nachwuchsjournalist Felix Seidel im Interview zu seiner Arbeit
Für Felix Seidel waren Wettbewerbe Anreize, seine Leidenschaft für das Schreiben weiterzuverfolgen. Im Interview erzählt er, was ihm am Schreiben gefällt, ob es für ihn eine Zukunft im Journalismus gibt und welche Tipps er für andere Jugendliche hat, die seine Leidenschaft teilen.
Wie bist du dazu gekommen, für die Schülerzeitung zu schreiben?
Felix Seidel: Ich wollte schon vor der Grundschule unbedingt schreiben lernen. Und lesen ist seitdem auch mein großes Hobby. In der Grundschule habe ich an einem Geschichtenschreibwettbewerb teilgenommen. Und 2023 hab ich dann bei der Schülerzeitung angefangen.
Was macht dir am Schreiben Freude?
Ich finde es toll, dass man dabei verschiedene Perspektiven einnehmen kann. Bei einer Reportage ist man zum Beispiel mittendrin im Geschehen. Und man begibt sich immer wieder in ganz neue Situationen, man wechselt vom Alltag in andere Welten, lernt Neues kennen und blickt über den Tellerrand.
Und was macht dir keine Freude?
Das Korrigieren, wenn ein Satz nicht passt. Für diesen eine bessere Formulierung zu finden, ist dann oft schwer. Auch aus der Flut an Informationen die wichtigen herauszufiltern, ist eine Herausforderung.
Möchtest du später einmal Journalist werden?
So vor zwei, drei Jahren wollte ich das schon. Aber ich glaube, das ist schon ein sehr hartes Business. Jetzt möchte ich gerne Lehramt studieren und Wissen vermitteln.
Was rätst du anderen Jugendlichen, die deine Leidenschaft für das Schreiben teilen?
Man sollte sich informieren über die Möglichkeiten, die es in der Region gibt. Bei mir war das unter anderem der Gleimhaus-Literaturpreis. Und auch an den Schulen gibt es viele Angebote wie Schülerzeitungen oder Schreibwerkstätten. Und man sollte Tipps und Kritik von anderen annehmen, um sich zu verbessern. Man sollte seinem Interesse auch wirklich nachgehen und an sich glauben, dass man es schafft. Man sollte versuchen, sich weiterzuentwickeln und auch ganz viel lesen.