Magdeburger Promoter Ulf Steinforth boxt sich mit seinem Unternehmen nach ganz oben SES-Boxstall: Die Kraft, die aus dem Osten kommt
Magdeburg. Vor 13 Jahren als ein ziemlich gewagtes Unterfangen in Magdeburg gestartet, gehört der Boxstall SES mittlerweile zu den zehn führenden Unternehmen in der Welt. Sein Macher Ulf Steinforth (45) setzt aber weiter auf die Region.
Ulf Steinforth hat die Augen ein wenig zusammengekniffen und blickt raus aufs Meer. Die Wolken hängen an diesem Frühlingstag tief und grau über der Ostsee. Über den Strand von Dierhagen bläst ein heftiger Wind. Unten am Wasser mühen sich einige seiner Boxer redlich, attraktive Bilder für die angereisten Fotografen und Kameraleute zu zaubern. Lenkdrachen-Fliegen, Autoreifen-Ziehen durch schweren Sand, nachgestellte Lagerfeuer-Romantik inmitten bunter Strandkörbe.
Es ist Medientag bei SES, dem Magdeburger Profi-Boxstall. "Die Klitschkos machen so was ja auch", sagt Steinforth. Außerdem ist Boxen Show. Und Show braucht Bilder. Drachenbilder, Feuerbilder, Strandkorbbilder eben. "Boxen kann man super inszenieren", findet Steinforth. "Es geht immer um ein Gladiatorenduell."
Der Anblick von Stränden - das haben sie so an sich - lässt zuweilen aber auch die Gedanken auf Reise gehen, weckt Erinnerungen. "Weiß du noch", sagt der 45-Jährige plötzlich ein wenig melancholisch, "wie alles damals angefangen hat? Und wo stehen wir heute! Unglaublich!"
"Ich habe von Anfang an auf die Region gesetzt." - Ulf Steinforth
Ja, damals, im März 2000. Als er in seiner Heimatstadt Magdeburg, ein wenig verwegen schon, Sport Events Steinforth, kurz SES, als Unternehmen registrieren ließ. Und nicht so richtig wusste, wo die Reise eigentlich hingehen soll. Es war immerhin der erste Profi-Boxstall im Osten. Häme und Spott seiner West-Kollegen gab es seinerzeit umsonst - ein Amateur, dieser Steinforth, und ein Spielautomaten-Aufsteller obendrein. Das sage doch schon viel. Selbst sein bester Freund und Mentor Jean-Marcel Nartz, einer der profundesten Kenner der europäischen Faustkampf-Szene und einst Matchmaker bei den Branchen-Riesen Universum und Sauerland, warnte ihn: "Ulf, du wirst viel Geld verlieren." Es drohte vermintes Gelände.
Steinforth betrat es trotzdem. Erste Erfahrungen hatte er als Sponsor bei den Amateuren vom 1. BC Magdeburg gesammelt. Unter seiner Präsidentschaft räumte der BCM seinerzeit in Deutschland nahezu alles ab. Das gab Mut. Machte es auch übermütig?
An Einfällen jedenfalls hatte es dem Macher-Typ, der einst als Ringer ("Mit mäßigem Erfolg") angefangen hatte, ohnehin noch nie gemangelt. So etwa, als er sich in der DDR als Manager von Breakdance-Gruppen verdingte und sich damit bei den Oberen, fast automatisch, verdächtig machte. Oder kurz nach der Wende, als er der erste Spielautomaten-Aufsteller in der Stadt wurde. An den Dingern hängt er übrigens heute noch. Einige "Flipper" habe er sogar, erzählt er, mit dem Magier David Copperfield getauscht.
Doch längst hat das Box-Geschäft die "einarmigen Banditen" oben auf der Prioritätenliste abgelöst. SES steht heute als ein florierendes mittelständisches Unternehmen da, das knapp drei Dutzend Menschen - darunter 20 Faustkämpfer und fünf Trainer - Lohn und Brot gibt; hinzu kommen diverse Zeitkräfte. Der Umsatz bewegt sich inzwischen im unteren siebenstelligen Euro-Bereich.
Wenn Steinforth heute Zahlen wie diese nennt und von seinen Anfängen kurz nach der Jahrtausendwende erzählt, blickt er manchmal gedankenversunken an die Decke. So als könne er es selbst nicht recht glauben, was er da gerade sagt. Unvergessen die ersten Kampfabende, ob nun in Dessau, Ilsenburg, Aschersleben oder Köthen. Die Zuschauer saßen zuweilen auf harten Turnbänken, ohne Rückenlehnen. Oder jene Veranstaltung in Salzwedel, wo der Ring unter einer verblichenen Erntekrone in einer Reithalle aufgebaut worden war - auf holprigem Naturboden. Die Sportler mussten sich hinter improvisierten Zeltwänden umziehen. Das Publikum bestand zum großen Teil aus Bauern, die, teils noch in Arbeitskleidung, das Treiben im Seilgeviert doch ein wenig misstrauisch beäugten.
"Ich habe von Anfang an auf die Region gesetzt", unterstreicht Steinforth. "Daran hat sich, selbst wenn die Dimensionen inzwischen andere sind, nichts geändert. Und wenn es passen würde, würde ich auch heute wieder nach Salzwedel gehen, natürlich mit keiner TV-Veranstaltung."
In Magdeburg und der Region sieht der Unternehmer, wie er sagt, auch langfristig seine Zukunft. "Ich komme von hier und ich möchte mit meinen Mitteln etwas dazu beitragen, dass das Leben hier noch anziehender und attraktiver wird." Mittlerweile kann sich SES auf einen Pool von 60 Sponsoren stützen, die dem Boxstall zum Teil seit seiner Gründung die Stange halten.
Vor allem sportlich ging es in den letzten Jahren nahezu raketenhaft nach oben. Zusammen mit dem Berliner Sauerland-Team ist SES mittlerweile das führende Box-Unternehmen Deutschlands. Geht es allein nach der Zahl der aktuellen Weltmeister, hat Steinforth gegenüber seinem millionenschweren Rivalen aus der Hauptstadt sogar die Nase vorn. Neben Galionsfigur Robert Stieglitz, der sich gerade den Supermittelgewichts-Titel von Sauerland-Mann Arthur Abraham glanzvoll zurückholte, tragen Ramona Kühne, Christina Hammer und Melissa McMorrow die begehrten (nichtsdestotrotz strunzhässlichen) Gürtel. Robin Krasniqi und Francesco Pianeta haben gerade WM-Kämpfe absolviert; wenn auch verloren. Europameister Lucas Konecny und Ex-Weltmeister Jan Zaveck sind in den Weltranglisten nach wie vor auf Top-Positionen notiert.
"Der Name Ulf Steinforth steht für Ehrlichkeit." - Mentor und Freund Jean-Marcel Nartz
All das hat Steinforth ohne einen großen TV-Sender im Rücken geschafft. Eine zahlungskräftige Fernsehanstalt, die gilt in der Branche immer noch als eine Art Lebensversicherung. Steinforth hatte nur den Spartenkanal Sport1 - und von dem war, zumindest finanziell, nicht allzu viel zu erwarten. "Ja", räumt der SES-Chef heute ehrlich ein, "manchmal, wenn es finanziell wieder einmal sehr eng war, der Erfolg im Ring ausblieb, ich nächtelang gegrübelt habe, wie es weitergehen soll - ja, da habe ich mich schon mit dem Gedanken getragen, aufzuhören. Mich gefragt, warum machst du das eigentlich."
Doch dann bewies er etwas, was von seinen Jungs im Seilgeviert regelmäßig erwartet wird: Kampfgeist. Den Willen durchzuhalten. "Hinzu kam, ich hatte Verantwortung für meine Boxer, meine Angestellten, für deren Existenz. Da wirft man nicht einfach so alles hin."
Was nicht nur Freunde und seine Boxer an ihm schätzen, ist Steinforths Zuverlässigkeit und seine gerade Art. "Ulf steht für Ehrlichkeit", sagt der "Wessi" Nartz, der auch sein Trauzeuge ist. "Das ist selten in diesem Business. Hut ab, was er mit kleinem Budget erreicht hat."
"Wir sind heute nahezu unabhängig von TV-Geld", ergänzt Steinforth stolz. "Wir haben es immer geschafft, eine Existenzgrundlage durch unsere eigenen Sportler zu haben." Selbst wenn seine Stars wie Stieglitz und Pianeta inzwischen gutbezahlte Gastrollen bei ARD und RTL geben. SES handelt da ein wenig nach US-Vorbild: Es versucht, seine attraktiven Kämpfer gezielt bei einzelnen Groß-Sendern unterzubringen.
"Heute können wir uns vor Ansturm kaum retten." - Ulf Steinforth
Und noch etwas ist beim Unternehmer Steinforth allemal des Bemerkens wert: eine unheimliche Ideenfülle; die, nebenbei gesagt, sogar seine Mitarbeiter zuweilen ins Trudeln bringt. Wie damals, als er Konkurrent Sauerland mit dessen Box-Goliath Nikolaj Walujew (2,13 Meter) noch übertrumpfen wollte und einen eigenen Riesen aus dem Ruhrgebiet aus dem Zylinder zauberte. Der maß zwar tatsächlich 2,17 Meter - nur mit seinen Fäusten wusste er nicht allzu viel anzufangen. Oder der Versuch, aus einer der weltbesten Kugelstoßerinnen, der Magdeburgerin Nadine Kleinert, publicity-trächtig eine Profiboxerin zu machen. Den Südafrikaner Francois Botha, der einst gedopt Axel Schulz um den Schwergewichts-Weltmeistertitel betrogen hatte, ließ Steinforth in einer überdimensionalen Stretch-Limousine von Berlin über die Autobahn zum Kampf nach Magdeburg kutschieren.
Völlig anders lief die Geschichte mit Natascha Ragosina. Die Box-Zarin aus Moskau war nicht nur sportlich eine Klasse für sich im Ring, sie wusste auch, was sie der eigenen Promotion schuldig war. Und so zog sie denn im angeblich sündhaft teuren Zobel-Kampfmantel in die Hallen. Hinter den Kulissen wurde allerdings getuschelt, der Umhang sei ein Fake und stamme aus dem Fundus eines Berliner Theaters. Ein andernmal präsentierte sie sich in äußerst spärlichem Outfit. Der Boulevard jauchzte: "Nacktascha".
Es war auch eine Idee Steinforths, im Magdeburger Stadtteil Neu-Olvenstedt inmitten der Plattenbauten eine alte Sporthalle zum eigenen Gym für seine Weltklasse-Profis auszubauen und beim kleinen SV Lindenweiler eine eigene Amateur-Abteilung zu gründen. "Heute", freut er sich, "können wir uns vor Ansturm kaum retten."
Mit konstanter Regelmäßigkeit wird landauf, landab die Frage gestellt, wie es denn mit der Zukunft des Boxens in Deutschland bestellt ist, ob nicht schon in der Ferne der Klang der Totenglocken zu hören sei. Steinforth fechten derartige Diskussionen nicht an: "Das Boxen lebt. Es liegt nur an uns, den jahrtausendealten Kampf Mann gegen Mann attraktiv rüberzubringen. Wir müssen Helden produzieren", fordert er. "Dann ist der Markt da."
Und auf diesem Markt will er, der Magdeburger Junge, noch lange und möglichst weit oben mitmischen. "Ja", räumt er ein, "für mich hat das einen ungeheuren Reiz. Davon komme ich einfach nicht weg. Es ist fast wie eine Sucht."