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Haseloff-Wahl Stille, Schockmoment und Seitenhieb

Reiner Haseloff (CDU) bleibt Sachsen-Anhalts Regierungschef. Der Tag seiner Wiederwahl dürfte für immer in seinem Gedächtnis bleiben.

25.04.2016, 23:01

Magdeburg l Durch die hohen Buntglasfenster fällt Sonnenlicht herein. Es ist ganz still in der Marienkapelle im Remter des Magdeburger Doms. Vier Kerzen brennen auf dem Altar. Die Bibel ist bei Jeremia aufgeschlagen.

Im 15. Kapitel heißt es: „Du wirst diesem Volk wie eine Mauer gegenüberstehen. Sie werden gegen dich anrennen, aber sie können dich nicht bezwingen. Denn ich stehe dir zur Seite, ich schütze dich, ich, der Herr.“

Eine Zusage für Reiner Haseloff? Wer weiß. Auf jeden Fall ist die ökumenische Morgenandacht der ideale Ort für ihn, nochmal tief Luft zu holen. Vor Reiner Haseloff liegt einer der spannendsten Tage seines Lebens.

Es ist eine kleine Runde. Nur acht Menschen – inklusive Pfarrer, Organist und Haseloffs Ehefrau Gabriele – sind gekommen. Oberkirchenrat Albrecht Steinhäuser richtet sehr persönliche Worte an den Ministerpräsidenten. Man wolle „den neuen Anfang unter Gottes Wort stellen und um sein Geleit bitten“, sagt er und schaut die Haseloffs lange an.

Der Regierungschef hört aufmerksam zu. Erst beim Orgelnachspiel schließt er die Augen und geht nochmal in sich. Die Stille danach kostet er kurz aus. Es ist ein kleiner heiliger Moment.

Nach dem Gottesdienst bringt Haseloff seine Ehefrau zur Staatskanzlei. Zum Abschied gibt es eine zärtliche Umarmung mit Kuss. Der Ministerpräsident fährt in den Landtag. CDU-Fraktionssitzung. Einschwören auf die Wahl.

Als Haseloff gegen drei viertel elf den Plenarsaal betritt, wird er sofort von Fotografen umzingelt. Das hat ein Ende, als die Landtagssitzung 15 Minuten später pünktlich beginnt. Der Wahlgang zieht sich hin. Jeder Abgeordnete wird einzeln aufgerufen und gibt in der Wahlkabine seine Stimme ab. Haseloff sitzt ruhig auf seinem Platz in der ersten Reihe. Zwischendurch flachst er kurz mit CDU-Mann Ulrich Thomas. Doch als es zum ersten Mal spannend wird, bei der Auszählung der Stimmen, wirkt er stoisch ruhig. Dann der Schockmoment. Drei Stimmen zu wenig. Ein Raunen geht durch das Parlament. Dann ist es plötzlich gespenstisch still. Doch diesmal kostet Haseloff die Stille nicht aus. Er wirkt nachdenklich. Wer könnten die Abweichler aus den eigenen Reihen sein?

Die CDU beantragt eine Unterbrechung der Sitzung. Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) verordnet 60 Minuten Pause. Der MDR beendet seine Liveübertragung und sendet eine Folge „In aller Freundschaft“.

Während viele Abgeordnete von SPD und Grünen die Zeit für das Mittagessen nutzen, trifft man sich bei der CDU erneut zur Fraktionssitzung. Spätestens jetzt sollen bitte alle auf die gemeinsame Linie einschwenken. Ein dritter Wahlgang soll dem Ministerpräsidenten erspart bleiben.

In der Pause interveniert sogar Barbie Stahlknecht, Ehefrau von Innenminister Holger Stahlknecht. Sie umarmt CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt. Ihre Worte haben es in sich. „Nun strengt euch mal an“, raunt sie Borgwardt zu.

12.35 Uhr, zweiter Wahlgang. Haseloff faltet seine Hände, nur ein Zeigefinger wippt nervös auf und ab. Als die Stimmen ausgezählt sind, darf er vor der Verkündung des Ergebnisses einen kurzen Blick auf den Zettel werfen. Haseloff nickt seiner Frau und den beiden Söhnen Clemens und Martin auf der Besuchertribüne zu. Das Ding ist durch.

Sein Blick bleibt dennoch ernst – auch, als das Wahlergebnis von der neuen schwarz-rot-grünen Koalition mit Beifall gewürdigt wird. 47 Ja-Stimmen – eine mehr, als die Koalition im Landtag hat. Das sollte gut tun nach der Schlappe im ersten Durchlauf.

Nach seiner Vereidigung taut Haseloff dann etwas auf. Es gibt ein Kusshändchen für Gabriele. Mit bewegter Stimme dankt er ihr für die jahrelange Unterstützung. Ohne sie hätte „ich das in den letzten Jahren nicht bewältigen können“, sagt er. Ansonsten genehmigt sich Haseloff noch einen Seitenhieb in Richtung AfD.

Diese Koalition werde „alles dafür tun, dass die Werte, für die wir stehen, gestärkt werden“, sagt Haseloff – ohne die AfD-Fraktion auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Botschaft lautet: Rechts von der CDU gibt es keine Toleranz. Selbst die Linke klatscht. Die AfD schweigt.

Danach geht es rüber in die Staatskanzlei. Haseloff ernennt seine Minister. Als die neue Mannschaft zurück in den Landtag kehrt, präsentieren die Kabinettsmitglieder stolz ihre Ernennungsurkunden. Haseloff organisiert in dieser Zeit die Details der Vereidigung mit Landtagspräsident Güssau. Auch für einen kurzen Plausch mit Katrin Budde (SPD) ist Zeit. Man lacht miteinander.

Auch als die Minister vereidigt werden, lächelt der Regierungschef weiter. Nur Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert (Grüne) und Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) verzichten beim Schwur auf die Worte „so wahr mir Gott helfe“ – alle anderen nehmen den Beistand gerne mit. Das dürfte Reiner Haseloff, dem bekennenden Christen, gefallen.

Wenig später ist es geschafft, die neue Regierung steht. Haseloff wirkt sehr gelöst. Endlich fällt der Druck, den der komplizierte Ausgang der Landtagswahl mit sich brachte, von ihm ab. Doch viel Zeit zum Genießen und für Glückwünsche bleibt nicht. Der Ministerpräsident muss schnell in die Maske, TV-Interviews stehen an.

Seine Familie wartet in der Landtagskantine, bis er fertig ist. Für das gemeinsame Abendessen in einem Steakhouse am Domplatz hat er gerade einmal eine Stunde Zeit. Dann geht es weiter zum nächsten Fernsehsender.