Telemedizin Kaum Videosprechstunden in Sachsen-Anhalt
Schlechtes Internet auf dem Land sorgt für Probleme bei der Telemedizin. Welche Chancen und Risiken die Ärzteschaft sieht.
Magdeburg l Seit gut einem Jahr ist eine „Fernbehandlung“ durch einen Arzt möglich. Mit der Aufhebung des Verbotes waren auch in Sachsen-Anhalt große Hoffnungen verbunden. Bietet sich doch durch die Telemedizin ein Weg, trotz Fachkräftemangels und geringer werdender Einwohnerdichte vor allen in den ländlichen Regionen eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Doch genutzt wird die „Videosprechstunde“ so gut wie gar nicht. Das ergab eine Volksstimme-Umfrage bei den Krankenkassen.
Bei der AOK Sachsen-Anhalt, mit einem Marktanteil von 38 Prozent die größte Krankenkasse im Land, wurden laut Sprecher Sascha Kirmeß „nicht einmal eine Handvoll“ Videosprechstunden abgerechnet. Auch Ersatzkassen wie die Barmer konstatieren eine „verschwindend geringe Zahl“. Sprecher Christopher Kissmann erklärte: „Im letzten Quartal gab es tatsächlich nicht eine einzige Videosprechstunde.“
Dabei scheint die Organisation relativ einfach: Der Arzt wählt einen zertifizierten Videodienstanbieter aus, der für einen reibungslosen und vor allem sicheren Ablauf der Videosprechstunde sorgt. Arzt und Patient benötigen im Wesentlichen einen Bildschirm mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung. Mehr ist nicht erforderlich, heißt es.
Doch die Praxis sieht anders aus. Der Haken ist die Internetverbindung, wie Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, weiß: „Die technischen Standards sind die Schattenseiten der Telemedizin. Denn natürlich ist ein stabiles, leistungsstarkes Netz dafür notwendig. Und wenn das – gerade auf dem platten Land – nicht gegeben ist, braucht man auch nicht über die Nutzung von Videosprechstunden reden.“
Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, vermutet zudem ein wirtschaftliches Problem: „Es ist ein großer Aufwand für die Praxis, solche sicheren und zertifizierten Kommunikationen aufzubauen.“ Der finanzielle Anreiz sei trotz Nachbesserung im Sommer (nunmehr wird eine Videosprechstunde mit 9,52 Euro abgerechnet) gering. Dazu komme, so John „die nicht vorhandene Arztzeit, die für eine Videosprechstunde notwendig ist“.
Die Krankenkassen warben indes beim 9. Gesundheitspolitischen Symposium in Magdeburg für einen zügigeren Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Insbesondere im Bereich der Telemedizin müsse in Sachsen-Anhalt mehr passieren, so Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der Barmer. „Sie kann ein Schlüssel dafür sein, die medizinische Versorgung auf dem Land zu erhalten und sogar zu verbessern.“ Die Ärzte, Krankenhäuser und die Landespolitik müssten ihre Anstrengungen zur Etablierung entsprechender Angebote erhöhen. In der zum persönlichen Arztkontakt ergänzenden Videosprechstunde sieht Wiedemann „eine neue Möglichkeiten in der hausärztlichen Versorgung“. Um Medikationsfragen zu klären, müsse ein Patient nicht mehr extra in die Praxis kommen. „Das geht auch mit dem Tablet von zu Hause aus.“
Die Ärzteschaft sieht indes in der neuen Berufsordnung der Kammern, die auch ausschließliche Fernbehandlungen gestatten, Chancen und Risiken. John, selbst praktizierender Hausarzt, hält die Telemedizin für überbewertet. „Sie kann eine sinnvolle Unterstützung für Ärzte werden, aber nicht alle unsere Probleme wie den Ärztemangel lösen.“ Die Videosprechstunde könne helfen, die Zahl der Hausbesuche von Ärzten zu reduzieren, den persönlichen Kontakt ersetzen könne sie aber nicht.
Simone Heinemann-Meerz, Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, erklärt mit einem kritischen Blick auf eine Therapiesteuerung durch anonyme Callcenter: „Die Fernbehandlung sollte als Teil des Sicherstellungsauftrages den versorgenden Praxen vorbehalten bleiben.“ Sie regte eine kritische Bestandsaufnahme an, „wie wir unsere Patienten mit digitaler Unterstützung weiterhin analog – also persönlich – behandeln können“.