Wie Grundschulkinder mit der Rolle ihres Lebens umgehen Typisch Junge - typisch Mädchen?
Was ist typisch Junge und was ist typisch Mädchen? Diese Frage haben uns rund 150 Grundschulkinder aus ganz Sachsen-Anhalt beanwortet. Die Pädadogen Antje Maier und Bernd Mitsch haben Überraschendes in den Briefen entdeckt.
Magdeburg l Mädchen lieben Rosa und alles, was glitzert, Jungen mögen Autos und Fußball. Das ist typisch - aber ist das wirklich immer so? Die Frage "Wie denkt ihr über "typisch Junge" oder "typisch Mädchen?" hatte die Pusteblume, die Kinderseite der Volksstimme, ihren kleinen Leserinnen und Lesern vor einigen Wochen gestellt. Fast 150 Kinder im Alter von 8 bis 11 Jahren meldeten sich mit Briefen oder per Mail zu Wort.
Der Erzieher und Autor des Buches "Jungen in der Kita" Bernd Mitsch und die Diplompädagogin Antje Maier, Leiterin des Frauenzentrums Lilith in Halberstadt, haben sich einige der Briefe durchgelesen. Als Vorstandsmitglieder des Kompetenzzentrums geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt setzen sie sich viel mit der Identitätsentwicklung von Jungen und Mädchen auseinander. "Mädchen spielen mit Puppen und finden Rosa einfach toll", schreibt Lisette. Sie geht in die dritte Klasse, genau wie Luca. Er findet: "Wir Jungen sind Techniker. Wir schrauben und hämmern gerne mit Papa."
"Kinder haben ein starkes Bedürfnis, sich mit ihrer Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen", merkt Bernd Mitsch an. "Sie beobachten von klein auf, wie sich andere Jungen und Mädchen verhalten und orientieren sich an ihnen." Bereits im Kleinkindalter bekommen Kinder einen Eindruck davon, dass die Welt in männlich und weiblich eingeteilt ist, noch bevor sie den eigentlichen Unterschied selbst kennen. Kleidung, Farben, Spielsachen und Sprache zeigen dem Kind: Es muss wohl eine enorm wichtige Rolle spielen, ob man ein Junge oder ein Mädchen ist. "Ungefähr mit dem dritten Lebensjahr fangen die Kinder an, bewusst einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen zu machen. Und sie entdecken auch selbst, zu welchem Geschlecht sie gehören", erklärt Antje Maier.
Auch in den vielen Briefen zeigt sich: Die Kinder glauben ganz genau zu wissen, wie Jungen und Mädchen sich verhalten müssen, was sie können und was sie dürfen. "Wenn ich ein Junge wäre, würde ich als Fußballer mehr Geld verdienen und ich könnte mal so ganz cool auf die Straße spucken", schreibt Pauline. Fraya, Jessica und Cecilia glauben, dass sie als Junge besser in Mathe wären und Mama nicht schimpfen würde, wenn sie mal dreckig nach Haus kommen. Martin glaubt: "Als Mädchen wäre ich bestimmt besser in Musik."
Kinder machen sich früh Gedanken über das Mädchen-Sein oder Junge-Sein, betonen die beiden Pädagogen. "Doch mit dem Grundschulalter beginnen Kinder, auch gewisse Dinge zu hinterfragen und probieren sich auch schon mal aus, wenn man sie lässt", erklärt Antje Maier. Besonders einige Mädchen legen auch Wert darauf, dass sie nicht zu sehr als typisches Mädchen angesehen werden wollen.
"Ich hasse Rosa und Glitzer. Ich spiele lieber Fußball. Mein Bruder dagegen liebt alles, was glitzert. Er wirft sogar seine Bausteine dafür weg. Jeder soll spielen, mit was er will", schreibt Lara. "Wer legt das eigentlich alles fest, wie man als Junge oder Mädchen sein soll?", will Leonie wissen und schreibt von ihrer Begeisterung für Fußball und "Star Wars". Und Clara schreibt: "Ich bin ein richtiger Rowdy, wie mein Papa früher."
"Wenn Mädchen sich im Grundschulalter jungenhaft verhalten, ist das seltener ein Problem", erklärt Antje Maier. "Denn die den in der Regel Männern zugeordneten Charaktereigenschaften wie Stärke, Durchsetzungsvermögen oder Dominanz sind gesellschaftlich höher angesehen." Abenteuerlustige Mädchen sind keine Seltenheit. Schwieriger wird es, wenn sich ein Junge aus seiner Rolle herauswagt. Fabian erzählt dazu: "Viele denken, dass ich kein Junge bin, weil ich etwas von Mode verstehe, gerne tanze und lieber mit Mädchen spiele." Unter seinen Brief hat er ein Prinzessinnenkleid und eine Rakete gemalt. Tony gibt zu: "Ich würde ja mit Barbies spielen, aber die Puppen für Jungen sind andere als die für Mädchen."
Bernd Mitsch merkt dazu an: "Jungen bekommen, anders als Mädchen, viel weniger Spielraum zugesprochen. Jungengruppen sind oft hierarchischer strukturiert. Wer da sensibel oder zurückhaltend ist, wird weniger akzeptiert." Während die Bandbreite an Rollenbildern für Mädchen relativ groß sei, gebe es für Jungen meist nur einseitige Vorbilder, erklärt Mitsch. Sei es durch das direkte Umfeld, wie Elternhaus, Freunde und Schule, oder durch die Medien. Und wer in ein Spielzeuggeschäft geht, sieht: Auch hier herrscht Geschlechtertrennung.
Klar, dass Kinder sich zunächst daran orientieren. Auch, um der eigenen Identität eine gewisse Stabilität zu verleihen. "In den ersten Lebensjahren ist es wichtig, die Gewissheit zu erlangen: Ich bleibe mein ganzes Leben lang ein Junge oder ich bleibe mein ganzes Leben lang ein Mädchen, egal, wie ich mich verhalte oder wie ich bin." Durch diese Sicherheit entsteht schließlich Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit. Hierzu stellt Enya fest: "Ich schminke mich nicht. Trotzdem sehen doch meine Mitschüler, dass ich ein Mädchen bin, obwohl ich mehr Jungssachen mache." Eric findet: "Typisch Mädchen ist doch gar nicht schlimm. Ich koche total gerne und schaue auch mal einen Mädchenfilm." Luise erzählt "Meine Eltern wollten, dass meine Lieblingsfarbe Pink sein soll, dabei mag ich die Farbe gar nicht. Jetzt ist mein ganzes Zimmer pink."
Die Briefe der Kinder verdeutlichen: Zu feste Rollenvorstellung empfinden sie als beengend. "Wenn man Jungen und Mädchen dazu auffordert, über sich Gedanken zu machen, dann zeigt sich auf einmal, dass sie mit den Stereotypen gar nicht so glücklich sind", beschreibt Antje Maier auch ihre Erfahrungen aus der Praxis.
Sie betont, wie wichtig es ist, dass Kindern von klein auf die ganze Bandbreite von Puppen über Autos bis hin zu Baumhaus bauen oder Kochen angeboten werden soll. "Überfordern tut man die Kinder damit keineswegs. Sie suchen sich dann ja schließlich selbst aus, was ihnen gefällt. Sie haben nur nicht das Gefühl dabei, etwas Falsches zu machen."
Daina sieht das genauso. "Man darf keinen Jungen auslachen, weil er Rosa mag." Jonathan wünscht sich mehr Mädchen im Fußballverein, und Jakob erinnert daran, dass alle ja auch viel gemeinsam haben. Alina bringt es mit einem Satz auf den Punkt: "Jedes Kind ist anders, manchmal ist es eben typisch und manchmal eben nicht."