Parteiverbundenheit Ursula Fischers Heimat ist die CDU
Am 26. Juni 1945 trat die CDU mit ihrem Gründungsaufruf "Deutsches
Volk!" an die Öffentlichkeit. In diesen Tagen feiert die Partei ihren
70. Geburtstag. Während die Union in der Bundesrepublik eine
Führungsrolle einnahm, hatten es in der DDR viele Mitglieder schwer.
Magdeburg l Wer Ursula Fischer besuchen will, muss hoch hinaus. Ihre Köthener Wohnung befindet sich in einem wunderschönen Altbau, zweites Obergeschoss. Die 97-Jährige steht lächelnd in der Tür. "Ja ja, die 51 Stufen gehe ich noch fast jeden Tag hoch und runter", sagt sie und bittet freundlich ins Wohnzimmer. Vor dem bequemen Sofa steht ein robuster Holztisch, den man nach oben kurbeln kann. Darauf liegen alte Fotos. Ursula Fischer hält ihre Erinnerungen lebendig.
Die gebürtige Hamburgerin ist im März 1942 nach Köthen gezogen. Nur ein Jahr später fiel ihr Mann, ein Militärarzt, im Krieg. Plötzlich war die junge Frau mit ihrem Sohn mittellos. Nur der katholische Pfarrer Franz Schulte sorgte damals für sie. Als er 1945 in Köthen eine christliche Partei ins Leben rief, sagte er zu ihr: "Da müssen Sie Mitglied werden." So ist die damals 27-Jährige zur CDU gekommen. Heute ist Ursula Fischer eine von nur zehn Sachsen-Anhaltern, die seit 70 Jahren der Union angehören.
Dabei ging es in den ersten Jahren kaum um Politik. "Ende der 40er Jahre hatten wir keine Kleidung und Hunger. In der CDU haben wir uns geholfen. Der Zusammenhalt war groß", sagt Ursula Fischer. Einmal im Monat kam der Stadtverband in einer Gaststätte zusammen. Bei den Mitgliederversammlungen hat sie viele Jahre lang das Protokoll geführt.
Die 97-Jährige ist pflichtbewusst. In der ersten Reihe aber hat sie nie gestanden. Ursula Fischer hat sich in der CDU um die kleinen Aufgaben gekümmert: Mitglieder besuchen, Spenden sammeln, Veranstaltungen organisieren. Politisches Engagement wäre zu DDR-Zeiten ja eh nahezu vergeblich gewesen, sagt die Köthenerin. "Die SED hat bestimmt, wo es langgeht."
Die Sozialisten haben mehrfach versucht, Ursula Fischer und ihren zweiten Mann Emil - seit 1946 ebenfalls CDU-Mitglied - zum SED-Eintritt zu bewegen. Auch die Staatssicherheit wollte sie werben. "Da haben wir immer klar gesagt: Wir sind Christen und können das aus religiösen Gründen nicht machen", erinnert sich Ursula Fischer. Danach wurde das Ehepaar in Ruhe gelassen - doch von Freunden auch über Jahrzehnte bespitzelt.
Genau wie Franz Stoffel. Der heutige Bernburger hat bis 1996 in Hadmersleben (Landkreis Börde) gelebt und fast 50 Jahre als Lehrer gearbeitet. Auch seine Stasi-Akte ist zentimeterdick. Der 91-Jährige ist drei Monate nach Ursula Fischer, im Dezember 1945, in die CDU eingetreten. "Ich wollte, dass Deutschland aus dieser Scheiße rauskommt", sagt er heute mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg. Alle Klassenkameraden sind gefallen. Franz Stoffel war seit 1938 wegen eines Sportunfalls wehrunfähig. "Das hat mir das Leben gerettet."
Als Katholik war es für Franz Stoffel unvorstellbar, gemeinsame Sache mit den Kommunisten zu machen. Deswegen wurde er Mitglied in der Union. Bei den Christen fand er in Hadmersleben Anschluss. Mit dem Krieg war er aus Böhmen vertrieben worden. "Die CDU hat mir eine Heimat gegeben", sagt der 91-Jährige. "Aber mir war auch klar: Was werden konnte ich damit nicht mehr. Die SED war übermächtig."
Die Sowjets hatten die CDU in den ersten Jahren so stark unter Druck gesetzt, dass sie sich in der DDR an die SED anpasste. Führende Mitglieder wurden unter Vorwänden verhaftet, Partei und Kandidaten nicht zu Wahlen zugelassen. Der demokratisch gewählte Parteivorstand wurde im Dezember 1947 abgesetzt. Selbstbestimmung: Fehlanzeige.
Doch immerhin, sagt Franz Stoffel, bot die CDU als Blockpartei einen gewissen Schutz. Als ihn die SED anwerben wollte, konnte er mit dem Verweis auf die Unions-Mitgliedschaft ablehnen. Seinen ersten Mitgliedsausweis hat er aufgehoben, genauso die kleinen Klebezettel für die Beiträge. 4,40 Mark hat er 1958 gezahlt. Heute als Rentner sind es acht Euro im Monat.
Stoffel wurde in Hadmersleben stellvertretender Ortsverbandschef und war im Kreisvorstand aktiv. Teilweise hat er sogar ein bisschen gegen die SED-Übermacht rebelliert. "Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass Reisen zu Westverwandtschaft möglich sein müssen."
Dieses Problem gibt es heute "zum Glück" nicht mehr, sagt der 91-Jährige erleichtert. Überhaupt hat sich in der CDU einiges verändert. Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre gab es so gut wie keine Frauen, heute stellt die Union sogar die Kanzlerin. "Ich kann ja nicht sagen, ich liebe Angela Merkel. Aber ich schätze sie sehr", sagt Franz Stoffel und lacht. Merkel schaut er sich gern in den Bundestagsdebatten an, die er im Fernsehen häufig live verfolgt. Manchmal applaudiert er aber auch für einen Grünen, wenn der "etwas Gutes" von sich gibt. "Es geht immer um Argumente, um die Sache. Nie um Personen", sagt Franz Stoffel. So sieht er das auch beim Thema Homo-Ehe. Wenn zwei Menschen sich lieben und füreinander sorgen, was solle daran falsch sein?
Dieses Thema spaltet die Union. Die 97-jährige Ursula Fischer tut sich schwer mit der Homo-Ehe. "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Das ist die natürliche Verbindung", sagt die Köthenerin. Auch Adoptionen durch Homosexuelle lehnt sie ab. "Kinder werden von Mann und Frau gezeugt - jedes Kind sollte einen Vater und eine Mutter haben." Das "C" in CDU hat sie immer geschätzt. Nach 70 Jahren Parteimitgliedschaft sagt Ursula Fischer: "Ich könnte das nicht verstehen, wenn sich meine CDU nun davon verabschieden würde."