Verbrechen in der DDR Menschliche Abgründe: Die schrecklichsten Morde im Bezirk Halle - Mit Podcast
In seinem Buch „Leichenpuzzle von Anhalt“ konstruierte Journalist Bernd Kaufholz einst neun DDR-Mordfälle aus dem Süden von Sachsen-Anhalt. Im True Crime Podcast "Verbrechen in Mitteldeutschland" arbeitet er solche Fälle nun als Experte auf.
Halle (Saale). Als man ihr auf die Spur kam, versuchte die Frau den Mord an ihrem Mann als Affekthandlung darzustellen. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen kam aber die ganze Wahrheit ans Licht: Danach hatte Anneliese Senft (dieser und alle anderen Namen sind fiktiv) den Mord an ihrem Gatten geplant, weil sie angeblich dessen Demütigungen nicht mehr ertragen konnte.
Sie mischte Schlafmittel in ein Glas Wein und als dieses wirkte, erschlug sie Hans Senft mit einem Beil. Um die Tat zu verschleiern, zerteilte sie den Leichnam und ließ die Körperfragmente in der Mulde verschwinden. So geschehen im Jahr 1962 in Mühlbeck bei Bitterfeld.
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Das „Leichenpuzzle von Anhalt“ ist nicht nur einer der bizarrsten Morde, die sich im einstigen Bezirk Halle zutrugen, sondern lieh auch dem Buch von Bernd Kaufholz den Titel. Der Journalist, der seit 1999 zahlreiche Bücher über Kapitalverbrechen im früheren Bezirk Magdeburg vorgelegt hat, rekonstruiert in dem Werk neun Altfälle aus dem Süden des heutigen Sachsen-Anhalts.
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Bernd Kaufholz als True Crime Experte im Podcast "Verbrechen in Mitteldeutschland"
Als Redakteur für Kriminalfälle hat sich Bernd Kaufholz in all den Jahren zu einem Experten auf diesem Gebiet entwickelt. Seine Erfahrungen und sein Wissen teilt er im gemeinsamen "True Crime"-Podcast der Mitteldeutschen Zeitung und der Volksstimme "Verbrechen in Mitteldeutschland". In diesem gibt Host Stephan B. Westphal mit seinen Gästen Einblicke in Ermittlungen, Täterprofile und Konsequenzen von realen Kriminalfällen in Mitteldeutschland.
Keine Todesstrafe für Doppelmörderin gefordert
Mit dem Mord an ihrem Ehemann war der Fall von Anneliese Senft aber noch nicht abgeschlossen. Im Lauf der Verhöre gestand sie, bereits im Jahr 1958 ihre Schwiegermutter getötet zu haben. Sie habe der alten Dame erst Schlafmittel und Rattengift eingeflößt und Else Senft dann erdrosselt. Da keine Anzeichen eines gewaltsamen Todes zu erkennen waren, blieb dieser Mord unentdeckt. Dass Anneliese Senft später auch ihren Mann tötete, erklärte sie dann wahrheitsgemäß, dass er drohte, seine Frau wegen des Mordes an seiner Mutter anzeigen zu wollen.
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In der Verhandlung habe das Gericht zunächst erwogen, gegen die Doppelmörderin die Todesstrafe zu verhängen, sich dann aber dagegen entschieden: „Bei den zwei Taten handelt es sich doch letztlich um Verbrechensarten aus der Zeit des verfaulenden und sterbenden Kapitalismus“, erklärte der Richter.
Hintergrund dieser heute seltsam anmutenden Äußerung war der Glaube, dass die entwickelte sozialistische Persönlichkeit ein Mensch neuen Typs sei, dem Verbrechen fremd sind. Bei der Lektüre von Kaufholz’ Buch zeigt sich aber, dass das nur DDR-Propaganda war: „Die Menschen im Kapitalismus waren dieselben wie im Sozialismus - und damit auch die Motive für Mord und Totschlag. Was bedeutet: Man kann die Menschen nicht einfach austauschen“, sagt Kaufholz.
Mordprozesse gingen in der DDR zügig vonstatten
Anneliese Senft wurde nach nur fünf Verhandlungstagen wegen zweifachen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt - und 1985, nach 23 Jahren Haft, entlassen.
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Erstaunlich ist bei diesem wie auch bei den anderen geschilderten Fällen, dass die damit verbundenen Prozesse selten länger als eine Woche dauerten. Das überrascht umso mehr, weil Mordprozesse heute oft Monate und Jahre in Anspruch nehmen.
„Die Ermittlungsverfahren vor den Prozessen wurden in der DDR weitaus akribischer geführt als heute“, sagt Kaufholz. „Heute erlebe ich es dagegen, dass Gerichte bei bereits laufenden Prozessen Nachermittlungsaufträge erteilen. Zu DDR-Zeiten waren Kapitalverbrechen ausermittelt. Auch, weil die DDR-Kripo über mehr Mitarbeiter verfügte als die Polizei im Jahr 2019.“
Aber trotz intensivster Ermittlungen konnte nicht in jedem Fall der Täter gefasst werden. Das zeigt etwa der Mord an einem Polizisten in Bad Bibra im heutigen Burgenlandkreis im Jahr 1948. Zwar konnte der Mörder identifiziert, aber - wohl wegen seiner Flucht in den Westen - nicht dingfest gemacht werden.
Kinder waren in DDR-Verbrechen oftmals das Opfer
Menschliche Abgründe sind besonders tief, wo Kinder die Opfer sind: Im Jahr 1960 hatte ein Ehepaar in Schlaitz bei Bitterfeld seine beiden Kleinkinder vorsätzlich vernachlässigt. Das kleinere der beiden Mädchen starb an Unterernährung, das etwas ältere konnte gerettet werden. Die Mutter wurde wegen Totschlags zu lebenslangem Zuchthaus, der Vater wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt.
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Aufwühlend ist auch der Fall, den Bernd Kaufholz in „Drei Schwestern“ erzählt: Im Mai 1986 kam ein junger Mann, der hier Frank Prenzlau heißt, mit dem Vorsatz in die Wohnung seiner abwesenden Eltern, seine drei Schwestern zu ermorden: Dagmar erlag den Folgen von mehreren Stichverletzungen, Petra überlebte schwer verletzt und Kathrin kam mit dem Schrecken davon. Die Frage, warum er seine Schwestern töten wollte, beantwortete Prenzlau stets mit dem Hinweis, dass sie ihn nicht ernst genommen hätten. Der Täter ist heute in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht.
Wie Bernd Kaufholz sich von den Bildern löst
Ist es nicht schwierig, sich von den Bildern der Verbrechen zu lösen, wenn man sie beschrieben und in Buchform veröffentlicht hat? „Ähnlich wie ein Rechtsmediziner oder auch ein Kriminalist muss man sich nach der Beschäftigung mit Fällen von Mord und Totschlag von diesen freimachen. Wenn sie mich bis in den Schlaf verfolgen würden, dann würde ich mich diesem Thema nicht zuwenden“, sagt Kaufholz.