Das Magdeburger Fraunhofer-Institut hat analysiert, wie viel kontinuierliches und zielstrebiges Arbeiten bringt. Von oben: Wie Köthener Kräne in Bestzeit bauen
Um mehr als ein Drittel haben die Köthener Kranbauer ihre Produktion beschleunigt. Das Rezept einfach auf den Punkt gebracht: nichts liegen lassen.
Köthen/Magdeburg l Lärm dröhnt durch die Halle, der dem Maschinenöl eigene Geruch liegt in der Luft, ein Träger wird am Stahlseil in die Höhe gehoben - der Maschinenbau floriert beim Kranbau Köthen. Nebeneinander liegen die stählernen Ausleger, die in Zukunft schwere und schwerste Lasten scheinbar schwerelos in schwindelerregenden Höhen durch die Luft schweben lassen sollen.
Ein paar Tage zuvor ist mit einem aufwändigen Spezialtransport erst ein fertiger Kran zum Krankäufer geliefert worden - der nächste Auftrag nimmt jetzt Gestalt an. Wo vor ein paar Tagen für den Laien noch rätselhafte Bauteile das Bild geprägt haben, fügen sich Hunderte von ihnen nach und nach zu einem Riesen in Rot zusammen - in einem Farbton, den der österreichische Kunde sich genau so wünscht.
Der Kranbau hat seine Nische im weltweiten Geschäft gesichert. Nicht als verlängerte Werkbank eines großen Konzerns, sondern als unabhängiger Mitspieler am Markt. Das Unternehmen ist ein Vorreiter - und das betrifft nicht nur die modernsten Stähle und die raffiniertesten Ideen für die Konstruktionen.
"Um Probleme zu erkennen ist es hilfreich, wenn ein unbeteiligter Beobachter von oben auf ein System schaut."
Das betrifft auch den Ablauf der Produktion. Das Unternehmen hat in Zusammenarbeit mit dem Magdeburger Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung erkundet, wie die Produktion beschleunigt werden kann. Klaus Müller ist Geschäftsführer des Kranbauers und sagt: "Um Probleme zu erkennen ist es immer hilfreich, wenn ein unbeteiligter Beobachter von oben auf ein System schaut."
Dies in diesem Fall nicht abstrakt und im übertragenen Sinn, sondern wortwörtlich in der Realität: Das Team des IFF um den promovierten Maschinenbauer Frank Ryll installierte - in Absprache mit dem Betriebsrat - mehrere Fotokameras unter der Decke. Diese erfassten die gesamte Montagehalle. Ryll: "Zu jedem Schichtwechsel haben wir alle acht Stunden Aufnahmen gemacht. Wir haben dokumentiert, wie es in der Halle aussah und haben geschaut, was sich an welchem Bauteil verändert hat." Müller: "Und ziemlich schnell ist deutlich geworden: An manchen Teilen wurde ein paar Tage intensiv gearbeitet, dann blieben sie lange Zeit unverändert liegen."
Oder noch schlimmer: Große Bauteile werden versetzt, um Platz für andere zu machen, deren Bearbeitung dringender erscheint. Im kleinen Handwerksbetrieb ist das möglicherweise eine Sache von Minuten.
"Es war deshalb eine Fleißarbeit, den Weg der Bauteile genau wie nie zuvor zu dokumentieren und zu analysieren."
Beim Bau von schweren Maschinen hingegen ist das Verrücken von Bauteilen eher eine Sache von Stunden, da müssen oft zig Tonnen Stahl bewegt werden. 200 bis 2000 Tonnen wiegen schließlich die fertigen Kräne, von denen hier am Holländer Weg in der anhaltischen Bachstadt 20 bis 30 pro Jahr gebaut werden. Ein Kran besteht aus 300 bis 400 Baugruppen, in denen Tausende Einzelteile, aus denen ein Kran besteht, zusammengefügt sind. Müller: "Es war deshalb eine echte Fleißarbeit, den Weg der Bauteile genau wie nie zuvor zu dokumentieren und zu analysieren."
Auf Diagrammen wurde am Ende deutlich: Eine kontinuierliche Wertschöpfung ist gleichzusetzen mit einem effektiven Einsatz der Arbeitszeit. Wenn die Wertschöpfung in wilden Zick-Zack-Kurven erfolgt, wird ineffektiv gearbeitet.
Woran es liegt, dass Teile nicht zügig fertiggestellt werden, hat unterschiedliche Ursachen. Frank Ryll: "Das haben wir in Gesprächen mit den Mitarbeitern ergründet." Mal fehlten Zuarbeiten, mal kam ein anderer Auftrag dazwischen. Die Konsequenz: "Zum einen muss natürlich der Produktionsablauf richtig geplant werden", sagt Müller. Dazu gibt es jetzt beispielsweise Teamtafeln, auf denen jeder Mitarbeiter auf einen Blick erkennen kann, welche Aufgaben gerade anliegen. Ryll ergänzt eine weitere Schlussfolgerung: "Auch muss den Mitarbeitern klar sein, welchen Einfluss ihr Handeln auf den gesamten Produktionsprozess hat. Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen."
Am Ende war auch klar: Dieser Kran lässt sich auch in 79 statt in 125 Tagen bauen - also rund ein Drittel schneller als bisher. Unter dem Motto "Zeit ist Geld" kommt eine solche Zeitersparnis einer enormen Effektivitätssteigerung gleich. Klaus Müller macht auf die lange Kette an Folgen aufmerksam: Neue Aufträge können eher angenommen werden, die Produktionszeiten lassen sich besser vorhersehen, die Halle wird besser ausgenutzt.
"Und man darf seine Katze, sollte diese in den Regen gekommen sein, nicht in der Mikrowelle trocknen."
Wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass die eigentliche Arbeit manchmal ein wenig ins Hintertreffen gerät? Klaus Müller: "Heute klagen viele Menschen über unzählige Arbeiten, die sie nebenbei erledigen müssen. Und das ist gar nicht mal abwegig. Denken Sie doch nur mal an die Dokumentationen", sagt der Geschäftsführer und unternimmt zur weiteren Erklärung einen gedanklichen Ausflug in die heimische Küche: "Früher hatte die Bedienungsanleitung eines Haushaltsgerätes drei Seiten. Heute bekommen sie ein Buch." In dem ist dann beispielsweise nachzulesen, dass die Speisen nach dem Erhitzen in der Mikrowelle heiß sind. Müller: "Und man darf seine Katze, sollte diese einmal in den Regen gekommen sein, nicht in der Mikrowelle trocknen. Das sind Erkenntnisse, die bei gesundem Menschenverstand eigentlich klar sein sollten. Trotzdem wird so etwas notiert, weil es heutzutage gefordert ist." Müller: "Die Zeit, in die für das Verfassen von Unterlagen investiert wird, fehlt an anderen Stellen. Und doch ist es wichtig, dass den Mitarbeitern klar ist: So wichtig diese Aufgaben sind - der Produktionsprozess sollte darunter nicht leiden."
Wie geht es weiter mit den Ideen für Köthener Kräne in Bestzeit? "Wir arbeiten jetzt mit den Erkenntnissen weiter", sagt Klaus Müller. Das heißt: Wenn ein Problem beim Abarbeiten einer Aufgabe ansteht, gehen die Mitarbeiter heute eher den Ursachen nach und fangen nicht stattdessen eine neue Aufgabe an. Das A und O einer reibungslosen Arbeit sei, dass die Informationen bestmöglich fließen, ergänzt Ryll. Müller: "Zudem werden wir mit dem IFF in ein paar Monaten noch einmal nachschauen, welche Auswirkungen die Veränderungen auch langfristig gebracht haben werden."
Und was das Fraunhofer-Ins-titut angeht, gibt der Leiter des Fraunhofer IFF, Prof. Michael Schenk, einen Ausblick: "Die Erkenntnisse lassen sich auch auf andere Bereiche übertragen, in denen wie in Köthen keine Massenproduktion stattfindet." Kandidaten für die Ideen, die laut Müller "zugegebenermaßen nicht neu, aber noch nie so konsequent analysiert wurden", sind Unternehmen im Sonderfahrzeugbau oder in der Werftindustrie.
Übrigens ist es nicht allein der Wissenszuwachs, der ein Unternehmen wie den Kranbau Köthen dazu treibt, mit einer Forschungseinrichtung wie dem Fraunhofer-Institut zusammenzuarbeiten. Klaus Müller: "Auf diesem Weg kommen wir auch sehr gut mit dem Nachwuchs ins Gespräch." Und zwar nicht zuletzt ins Gespräch darüber, ob die jungen Ingenieure sich eine berufliche Zukunft in dem Unternehmen vorstellen können. Müller: "Vor wenigen Jahren noch hieß es immer: Es werden keine Experten mehr für die Fertigungsplanung benötigt, die Produktion wird ohnehin mehr und mehr ins Ausland verlagert."
Diese Einschätzung habe sich als falsch erwiesen, inzwischen werden die Fachleute für Fertigung händeringend gesucht. Nicht allein wegen des Wissenszuwachses und verbesserter Produktionsmethoden oder neuer Produkte lohnt sich daher aus Sicht von Müller eine Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Forschung wie im Falle der Kranbauer. "Wir haben tatsächlich schon den einen oder anderen jungen Ingenieur, der hier eine Abschlussarbeit geschrieben oder an einem Projekt mitgearbeitet hat, zu einem Wechsel für eine Arbeit in unserem Unternehmen gewinnen können", sagt Müller.
"Ich möchte alle Unternehmen ermuntern, noch aktiver den Kontakt mit solchen Einrichtungen zu suchen."
Was die Zusammenarbeit mit dem IFF angeht, hat der Geschäftsführer allerdings als Mitglied im Kuratorium des Magdeburger Fraunhofer-Instituts besonders gute Karten. "Ich möchte trotzdem alle Unternehmen ermuntern, noch aktiver den Kontakt mit solchen Einrichtungen zu suchen. Da ist durchaus noch mehr drin."