Filmfabrik Wolfen Vor 80 Jahren entstand der erste Farbfilm
Am 17. Oktober vor 80 Jahren wurde in Wolfen der erste Mehrschichtfarbfilm der Welt präsentiert.
Wolfen l Wie kann man drei Flüssigkeiten übereinander gießen, aber deren Vermischung verhindern? Jahrelang grübelten die drei Chemiker Wilhelm Schneider, Gustav Wilmanns und Alfred Fröhlich aus der Forschungsabteilung der Agfa Filmfabrik Wolfen darüber nach. 1936 hatten sie die Lösung gefunden. Am 17. Oktober vor 80 Jahren präsentierten sie der Öffentlichkeit den ersten Mehrschichtfarbfilm der Welt.
Farbfilme für Fotoapparat und Kamera gab es bereits früher. „Dabei liefen aber die drei Farbschichten, also blau, rot und gelb, nebeneinander“, erklärt Manfred Gill vom Filmmuseum Wolfen. Die Apparate seien gigantisch und nicht für den Handgebrauch nutzbar gewesen. „Mit dem neuen Farbfilm konnten auch Amateure farbig fotografieren und Schmalfilme drehen – und zwar mit ihren auf schwarz-weiß eingestellten Apparaten.“
Zu diesem Zeitpunkt war die 1909 gegründete Agfa Filmfabrik nach Kodak in den USA der zweitgrößte Filmhersteller der Welt. Man riss den Wolfenern ihre Entwicklung, mit der das Leben plötzlich einfach und schnell kunterbunt abgelichtet werden konnte, förmlich aus den Händen. Auf der Weltausstellung 1937 in Paris heimste „Agfacolor-Neu“ einen Grand Prix ein.
Seine Fangemeinde fand der Farbfilm dann vor allem bei den Kinogängern. Fast genau fünf Jahre nach der Präsentation des ersten Farbfilms hatte am 31. Oktober 1941 der erste deutsche Spielfilm in Farbe Premiere – „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ mit Marika Rökk und Willy Fritsch in den Hauptrollen.
1939 waren die Forschungsarbeiten zum Agfacolor-Kinofilm-Verfahren so weit fortgeschritten, dass die Dreharbeiten beginnen konnte. Doch während der Produktion zeigte sich, dass der Film vor allem bei Studioaufnahmen noch nicht den Anforderungen entsprach. Speziell die Empfindlichkeit von etwa ISO 10 nach heutiger Norm erforderte viel Licht und führte zu hohen Belastungen für die Schauspieler. Marika Rökk schrieb in ihren Erinnerungen: „Wir wurden ausgeleuchtet wie eine Burgruine zur touristischen Hochsaison.“ „Licht, Licht und nochmals Licht brauchte dieser Schöpfungsakt“, heißt es weiter. Wilhelm Schneider, der „Vater“ des Agfacolor-Verfahrens, der bei den Dreharbeiten zeitweise anwesend war, erfuhr in einer Drehpause vom Filmstar in deutsch-ungarischem Akzent, dass ihr „schlächt“ wurde.
Die Szenen wurden mit verbessertem Material laufend wiederholt. Die sich hinziehenden Dreharbeiten kommentierte Marika Rökk mit den Worten: „Wir nannten ihn den Film, der nie zu Ende geht.“ Nicht nur die Empfindlichkeit, auch die Farbwiedergabe und die Tonqualität ließen zu wünschen übrig. Bei den Tanzszenen vor dem Babelsberger Schloss war der Rasen mal grün, mal gelb bis schwarz.
Bei der Uraufführung von „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ vor 75 Jahren im Capitol am Zoo in Berlin sahen die Besucher den Film schließlich doch in akzeptabler Bild- und Tonqualität. Der gute Ton wurde allerdings nur durch einen technischen Trick möglich. Er kam von einem Schwarz-Weiß-Film, der parallel zum Farbfilm mitlief. Bei den bis Ende 1941 gefertigten 50 Kopien war dieser Vorführtrick nicht zu realisieren, und so mussten die Besucher in anderen deutschen Kinos mit einem deutlich höheren Rauschpegel leben.
Durch die vielen Wiederholungen der Dreharbeiten mit immer besserem Filmmaterial explodierten die Produktionskosten von geplanten 1,45 Millionen Reichsmark auf 3,8 Millionen Reichsmark. Er wurde trotzdem ein kommerzieller Erfolg – bis Ende 1944 spielte der Film 7,9 Millionen Reichsmark ein. Er ging als erster deutscher Spielfilm in Farbe, auch Farbengroßfilm genannt, in die Geschichte ein und löste in den Folgejahren das komplizierte und kostenaufwendige amerikanische Technicolor-Verfahren („Vom Winde verweht“) ab.
Bis 1945 kamen insgesamt neun Farbspielfilme in die Kinos, darunter „Münchhausen“ mit Hans Albers auf der Kanonenkugel. Nach dem Krieg dauerte es fünf Jahre, ehe wieder deutsche Farbfilme gezeigt werden konnten: „Schwarzwaldmädel“ (7. 9. 1950) in der Bundesrepublik und „Das kalte Herz“ (8. 12. 1950) in der DDR. Der erste auf Orwocolor gedrehte Spielfilm war 1964 die Komödie „Geliebte Weiße Maus“ mit dem Magdeburger Rolf Herricht in der Titelrolle.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten amerikanische Truppen das Patent des Farbfilms und übergaben es dem US-Konzern Kodak. Mit dem Besatzerwechsel am 1. Juli 1945 kamen die Sowjets und demontierten die Hälfte der Maschinen. Doch die Filmfabrik blühte wieder auf. Nach einem Namensstreit mit Agfa in Leverkusen nannten die Wolfener 1964 ihre Marke in Orwo (Original Wolfen) um. Zu diesem Zeitpunkt war es die größte Filmfabrik Europas – und mit 8000 weiblichen von insgesamt 14 500 Beschäftigten größter Frauenbetrieb der DDR. Der Farbfilm machte aus dem Dorf Wolfen eine Stadt.
Bis zur Wende wurde in 85 Ländern der Erde mit Orwo-Farbfilmen fotografiert und gefilmt, 90 Prozent der Wolfener Produktion ging ins Ausland. In den 80er Jahren zog sich die Entwicklung eines neuen, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähigen Produkts so lange hin, dass 1990 der Untergang des Giganten nicht mehr aufzuhalten war.
Heute ist das Gelände Teil des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen mit 11 000 Beschäftigten in 300 Firmen. Das Warenzeichen Orwo wird noch genutzt vom Fotodienstleister Orwo Net und der Firma FilmoTec, die Spezialfilme fertigt, zum Beispiel für Zielfotografien im Sport.