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Jetzt ist Pilzzeit, die Wälder und Wiesen sind voll davon / Legende auf den Grund gegangen Was ist dran: Essen die Russen wirklich Fliegenpilze?

Werden die Tage kürzer, die Blätter bunt und die Nächte kühler, dann ist
es Herbst. Eine Zeit einzigartiger Naturspektakel-Stürme,
Nebelschwaden, Farbenspiele. Und es ist Pilzzeit.

Von Thomas Linßner 14.10.2013, 03:15

Glinde/Sachsendorf l Weil das Wetter mitspielt, erlebten die Kiefernwälder des Flämings, der Letzlinger Heide oder die Fichten des Harzes in den vergangenen Tagen einen wahren Ansturm. An den Straßenrändern parkten wieder jede Menge Autos, potenzielle Pilzsucher ausspuckend. Auch im Raum Plötzky stellte man den Maronen nach oder schlenderte über die Elbwiesen zwischen Lödderitz und Glinde, um den Edelpilz Champignon zu finden. Der weiße Wiesenkobold, mit dem sehr aromatischen Geruch, schmeckt deutlich besser, als sein gezüchteter Kollege aus dem finsteren Keller.

Volker Lerch, einziger Pilzsachverständiger des Altkreises Schönebeck, kennt seine Reviere ganz genau. "Ich fahre lieber in die Wälder zwischen Aken und Dessau", verrät er. Die Heide bei ihm vor der Tür sei nicht sonderlich ergiebig, meint der Sachsendorfer. Im Juni kam er zum Einsatz, als eine Nienburgerin mit einer Pilzvergiftung in das Bernburger Krankenhaus eingeliefert wurde. Volker Lerch konstatierte den Ziegelroten Risspilz, der ein sehr unangenehmer Vertreter seiner Art ist. Die Frau konnte gerettet werden.

Viele Menschen interessieren sich besonders in diesen Tagen für die Auswirkung der Pilze auf die Gesundheit. Zum einen sind Pilze seit Jahrtausenden fester Bestandteil des Speiseplanes vieler Völker, zum anderen ist die Giftigkeit einzelner Arten für einige Volksgruppen (wie beispielsweise die Engländer) der Anlass, den Pilzen generell skeptisch gegenüber zu stehen.

Dafür besteht jedoch kein Grund. Von den über 5000 bekannten mitteleuropäischen Arten sind nur etwa 150 als Giftpilze identifiziert. Davon wiederum wirkt nur eine gute Handvoll teilweise tödlich. So ist der Grüne Knollenblätterpilz für 90 Prozent der Vergiftungen mit Todesfolge verantwortlich.

Während Anfang des 20. Jahrhunderts noch nahezu jede Vergiftung den sicheren Tod bedeutete, ist heute dank Früherkennung und Intensivtherapie die Sterberate auf etwa 10 bis 15 Prozent gesunken. Schnelles Handeln ist hierbei besonders wichtig, da die ersten Symptome erst nach 8 bis 24 Stunden auftreten und dann das Gift sein tödliches Werk schon fast vollendet hat.

Ein anderer, ebenfalls sehr gefährlicher Giftpilz macht sich erst 2 bis 17 Tagen nach der verhängnisvollen Mahlzeit bemerkbar, so dass oftmals der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Pilzgericht nicht einfach herzustellen ist. Es handelt sich hierbei um den Orangefuchsigen Schleierling und Verwandte, dessen lebensgefährliche Giftigkeit erst 1957 entdeckt wurde, als es in Polen zu einer rätselhaften Massenerkrankung mit vielen Toten kam. Das Gift zerstört die Nieren, weshalb heute durch eine eventuelle Transplantation das Leben des Patienten gerettet werden kann.

"Die giftigen Arten werden aber durch die Vielzahl der guten Speisepilze mehr als aufgewogen."

Auch Volker Lerch kennt die launige Überlieferung aus DDR-Zeiten, die den Besatzern unterstellte: Die Russen essen Fliegenpilze und vertragen sie sogar. Worin ein Körnchen Wahrheit steckt. Der Fliegenpilz wurde und wird in manchen Kulturen als Rauschmittel verwendet. Seit Jahrtausenden sammeln ihn die Schamanen einiger sibirischer Völker wegen seiner Ekstase auslösenden Eigenschaft. Da brauchte die Rote Armee keinen Wodka ...

Manche der Pilzgifte haben merkwürdige Eigenschaften. So wirkt das Gift des Faltentintlings nur in Verbindung mit Alkohol: Wird zur Mahlzeit oder bis zu drei Tagen danach Alkohol getrunken, so stellen sich Vergiftungssymptome wie Herzrasen, Übelkeit und Kopfschmerzen ein. Einige Pilze enthalten Rauschgift ähnliche Substanzen. Beispielsweise wirkt das in einigen Psilocybe-Arten vorkommende Psilocybin ähnlich wie LSD und wurde in Mexiko zu religiösen Zwecken benutzt.

"Die giftigen Arten werden aber durch die Vielzahl der guten Speisepilze mehr als aufgewogen und wer aus Angst vor Vergiftungen auf den Genuss von Wildpilzen verzichtet, dem entgehen ganze Geschmackswelten", ist Volker Lerch überzeugt. Als geschmacklich beste sind zu empfehlen: Parasol, Krause Glucke, Herbsttrompete, Flockenstieliger Hexenröhrling, Schopftintling, Steinpilz, Pfifferling, Semmelstoppelpilz, Reifpilz, Wiesenchampignon. In einigen Arten wurden Cholesterin senkende und das Wachstum von Tumoren hemmende Stoffe nachgewiesen.

In der Regel gilt aber: Finger weg von Arten, die man nicht hundertprozentig kennt. Im Zweifelsfall gibt es ja immer noch die Pilzberatungsstellen.

Einer von sechs Pilzsachverständigen im Salzlandkreis ist Volker Lerch, Rosenburger Weg 2 in Sachsendorf, Telefon: (039295) 27141