1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Wenn die Wohnung zum Gefängnis wird

Wernigeröder Rollstuhlfahrer sucht Unterstützung, um sein Haus zu verlassen Wenn die Wohnung zum Gefängnis wird

Von Ivonne Sielaff 13.08.2013, 03:08

Wernigerode l Die Krankheit hat Werner Siebel (Name von der Redaktion geändert) wie ein Schlag getroffen, hat sein Leben von einer Sekunde auf die nächste komplett verändert. Wochenlang lag er im Krankenhaus, dann folgte die Reha. Seit Mai lebt der Wernigeröder wieder zu Hause, ist halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen.

Um das Haus zu verlassen, muss der Rentner insgesamt 43 Treppenstufen bewältigen. Unmöglich für ihn allein - ohne fremde Hilfe geht es nicht. "Wir wollten kürzlich die Abschlussveranstaltung des Brahms-Chorfestivals besuchen", sagt seine Frau Ursula. "Wir haben in den vergangenen Jahren immer daran teilgenommen und wollten es auch diesmal nicht missen."

Sie habe bei den Taxi-Unternehmen in Wernigerode nachgefragt, ob es möglich sei, ihren Mann mit dem Rollstuhl von der Wohnungstür abzuholen und die Treppe herunterzutragen. "Alle Unternehmen, die ich kontaktiert hatte, lehnten ab." Zwar gibt es Rollstuhltaxis. "Die Rollstuhlfahrer müssten aber vor dem Haus warten", hieß es immer wieder. Erst bei einem Fahrdienst von außerhalb hatte sie Glück. Allerdings kostete schon allein die Anfahrt nach Wernigerode immens viel Geld.

Tatsächlich gilt die Beförderungspflicht für Taxifahrer erst ab dem Bordstein. Sabine Kabis bestätigt das gegenüber der Volksstimme. "Wir dürfen die Leute gar nicht die Treppe hinuntertragen", sagt die Chefin eines Wernigeröder Taxi-Unternehmens. "Wenn dabei etwas passiert - wer zahlt dann? Wir sind dafür nicht versichert."

Lutz Trümmel leitet in Quedlinburg einen Behindertenfahrdienst. "Selbstverständlich holen wir unsere Kunden von der Wohnungstür ab, sind für den Treppentransport natürlich versichert", sagt er. Die Nachfrage sei sehr hoch. "Allein für private Fahrten haben wir täglich ein bis zwei Anfragen - und das aus dem ganzen Kreis." Doch leider seien die Anfahrtskosten dann oft sehr hoch.

"Ich möchte so gern, dass es meinem Mann wieder besser geht, würde gern viel mehr mit ihm unternehmen", sagt Ursula Siebel. Aber sie könnte nicht jedes Mal für viel Geld den Quedlinburger Fahrdienst bestellen.

Zwar besitzt Familie Siebel ein Treppensteigegerät. "Ich selbst kann dieses Gerät aber nicht bedienen", so die Rentnerin. "Und unsere Kinder müssen unter der Woche arbeiten." Sie habe deshalb beim Sozialamt, beim Studierendenrat und beim Freiwilligendienst um Hilfe gebeten. "Wir wünschen uns einfach jemanden, der uns unterstützt, der meinen Mann ab und zu ins Freie bringt. Aber es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen."

17.550 Schwerbehinderte leben derzeit im Landkreis Harz

17.550 Schwerbehinderte gibt es im Harzkreis, informiert Silvia Illas als Behindertenbeauftragte der Kreisverwaltung. 8990 Menschen seien gehbehindert - 1167 davon gelten als "außergewöhnlich gehbehindert". Viele würden sich mit Problemen an sie wenden. Familie Siebel rät Silvia Illas, die Krankenkasse zu kontaktieren. "Vielleicht gibt es Möglichkeiten, dass solche Leistungen übernommen werden."

Auch der DRK-Kreisverband in Wernigerode bietet Krankentransporte an. "Hauptsächlich sind das Touren für Behinderteneinrichtungen und Fahrten zur Schule", sagt Geschäftsführer Erich Goedecke auf Volksstimme-Nachfrage. Dafür gebe es langfristige Verträge mit dem Jugendamt. Die Nachfrage nach privaten Rollstuhltransporten sei dagegen verschwindend gering. "Wenn es gewünscht wird, spricht allerdings nichts dagegen - auch nicht gegen einen Transport durch das Treppenhaus", so Goedecke.