Polizeiruf 110 Wieder bei null angefangen
In Magdeburg wird derzeit der fünfte Krimi aus der Reihe „Polizeiruf 110“ gedreht. Es geht um Kindesmissbrauch. Ein Besuch am Filmset.
Magdeburg l Scheinwerfer stehen auf der Straße vor der altehrwürdigen Hauptwache und beleuchten die Büros im Inneren des Gebäudes. Sonnenschein aus der Steckdose, wo doch gestern ausnahmsweise mal tatsächlich die Herbstsonne das Set vom „Polizeiruf 110“ ausgeleuchtet hat. Rund um die Hauptwache stehen Fahrzeuge und Busse des Produktionsteams. Blickfang ist ein schicker, silbern glänzender US-Wohnwagen der Kultmarke „Airstream“. Er dient Schauspielern und Technikern als große Kombüse.
Die Magdeburger Passanten, die am Set vorbeieilen, sehen etwas neidvoll auf die zugeparkten Bürgersteige. Wenn nicht gedreht wird, drehen hier normalerweise Politessen ihre Runden. Dem Polizeiruf-Team sind die Magdeburger aber grundsätzlich freundlich gesonnen.
Falls sich einer der „110“-Schauspieler draußen blicken lässt, kommt es nicht selten zu herzlichen Begegnungen, wie Hauptkommissar-Darstellerin Claudia Michelsen in einer Drehpause verrät. „Hier herrschte von Anfang an ein großes Willkommen. Wenn ich erkannt werde, reagieren die Menschen sehr positiv. Das fühlt sich gut an“, schwärmt sie. Von der Stadt selbst habe sie trotz ihrer mittlerweile dreijährigen Dreherfahrung noch nicht viel mitbekommen. „Ich glaube, ich muss mit Matthias mal eine Privatreise nach Magdeburg buchen, um mich hier in aller Ruhe umschauen zu können“, erzählt sie schmunzelnd.
Über ihre Brasch-Figur, die nun an der Seite eines neuen Ermittlers arbeitet, mag sie kaum sprechen. Michelsen: „Das möchte ich nicht erklären. Das muss man sich anschauen.“ Brasch entwickele sich. Es sei eine taffe Frau, aber auch eine weiche Frau, die einen großen Sinn für Gerechtigkeit hat. „Ich fange gerade an, mit der Figur einen neuen Weg zu gehen. Das macht gemeinsam mit meinem neuen Partner großen Spaß. Man kann schon von einer Stunde null in der Serie sprechen.“
Matthias Matschke, der Neue an der Seite von Brasch, schwärmt euphorisch von seiner Partnerin. „Ich habe sie vor Jahren in einer Aufführung an der Berliner Volksbühne erlebt. Dass ich jetzt hier in Magdeburg mit ihr vor der Kamera stehe, finde ich total spannend.“ Er freue sich darauf, die „Stadt mit Geschichten aufzublättern“, sagt er.
Matthias Matschke ist vielen Fernsehzuschauern als Sketch-Partner von Anke Engelke („Ladykracher“) bekannt oder durch seine Auftritte in der „heute-show“. Ob die Ermittlerfigur als Hauptkommissar Dirk Köhler auch heitere Züge tragen wird, will der Schauspieler nicht verraten. „Lassen sie sich überraschen.“
Überraschen würde den Zuschauer vermutlich eher, wenn der Schauspieler seinen Ermittler ganz bierernst anlegen würde. Doch damit ist wohl nicht zu rechnen, wie Produzentin Iris Kiefer am Set andeutet. „Hauptkommissar Dirk Köhler ist ein Familienmensch. Er hat das Gemüt eines Labradors.“ Es gebe aber noch eine zweite Seite seiner Persönlichkeit, die im weiteren Verlauf der Serie entwickelt werden soll. Matschke spiele mit Köhler – und das ist im deutschen Serienfernsehen schon fast eine Sensation – einen heterosexuellen, glücklich verheirateten Familienvater mit Frau und drei Kindern. Und dieses Familienleben nehme er neben seiner Polizeiarbeit auch sehr ernst.
Auch die Figur der Doreen Brasch soll den Zuschauern in der nächsten Folge privat nähergebracht werden. Iris Kiefer: „So wird man zum ersten Mal ihre Wohnung sehen. Und wichtig ist uns auch die Wiederbegegnung mit ihrem Sohn, der aus dem Gefängnis entlassen wird.“ Die Produzentin erzählt, mit welche Sorgfalt diese Mutter-Sohn-Beziehung in der Serie neu aufgenommen wird. „Wir haben dazu in Magdeburg Kontakt zu einer Beratungsstelle aufgenommen, die Jugendliche beim Ausstieg aus der rechten Szene unterstützt. Deren Erfahrungen fließen in die Drehbücher ein.“
Für die Produktion des Magdeburger Polizeirufs ist mit Beginn der Dreharbeiten zur aktuellen Folge die Produktionsfirma „filmpool fiction“ zuständig. Auch eine Stunde null. Die Kölner hatten bei der Ausschreibung durch den MDR bei ihrer Bewerbung mit dem Rostocker Polizeiruf (Charly Hübner) und vor allem dem komödiantischen Tatort aus Münster (Liefers, Prahl) zwei ganz heiße Serieproduktionen im Feuer.
„Es wäre falsch, zu erwarten, dass wir erfolgreiche Konzepte aus anderen Produktionen einfach in Magdeburg übernehmen würden“, stellt Iris Kiefer klar. Der Polizeiruf aus Sachsen-Anhalt solle über das Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller eine ganz eigene Stilsprache entwickeln.
„Die Schauspieler beziehen wir dazu sehr langfristig mit ein. So haben beide Hauptdarsteller schon Monate vor Drehbeginn in die Drehbuchfertigung Einblick für Anregungen bekommen“, so die Produzentin. Andererseits erhalten künftige Drehbuchautoren zur Inspiration schon früh Einsicht in das abgedrehte Material der Vorgängerfolgen. An der übernächsten Polizeiruf-Folge arbeite bereits ein Autorenduo. Kiefer lächelt: „Das ist ein Ehepaar. Und er kommt aus Halle.“ Zwei Folgen werden 2016 gedreht.
Die Stadt Magdeburg hat die Produzentin inzwischen etwas kennengelernt. Die Produktionsbedingungen seien wirklich gut. Und ihr erster Gedanke bei „Magdeburg“? „Ich komme aus Köln. Auch dieser Stadt hängt wie Magdeburg der Ruf an, ohne richtiges Zentrum und auch etwas gesichtslos zu sein. Ich weiß damit umzugehen.“ Ihre Erfahrung sei, dass sich die Menschen gerade in solchen Städten mit großer Warmherzigkeit und einer besonderen Art von Loyalität begegnen. „Diese Erfahrung hat sich in Magdeburg wieder bestätigt.“
Eine kleine Anekdote hat sie auch schon zu berichten: „Wir mussten für den Dreh in leeren Räumen eine komplette Wäscherei aufbauen. Es hat nur einen Tag gedauert, da stand der erste vor der Tür und wollte seine Wäsche abgeben.“
Ein Filmset ist halt etwas Besonderes. Das dachte sich wohl auch der siebenjährige Jesse Seltmann aus Magdeburg, als er sich für die Rolle des Sebastian beworben hat – das ist der Sohn vom neue Kommissar Köhler. Tapfer wartet Jesse mit seinem echten Papa Klaus in der Mittagsonne auf seinen Auftritt. „Schon cool hier. Den anderen in meiner Klasse habe ich nicht erzählt, dass ich hier mitspiele“, erzählt er. Sein Auftritt im Film ist kurz, aber wichtig.
Gleich am ersten Arbeitstag muss er in der Rolle des Sebastian an der Hand von Film-Papa Matthias Matschke mit zur Arbeit, weil dieser familienbedingt zwei Stunden auf ihn aufpassen muss. So nimmt der Kleine notgedrungen mit einer Handvoll Buntstifte in der Mordkommission Platz und beschäftigt sich.
Die Polizei ganz familiär. Das geht ja gut los.