Energiewende Windräder spalten die Gemüter
Einige Gemeinden in Sachsen-Anhalt sanieren dank Windparks Straßen, andere beklagen Lärm und Vogelmord.
Magdeburg l In Borne ist die Windkraft-Welt noch in Ordnung. Seit 20 Jahren hat das 1200-Einwohner-Dorf bei Staßfurt einen der größten Windparks Sachsen-Anhalts. 39 Mühlen drehen sich hier. Die größten sind mehr als 200 Meter hoch. Die Gemeinde lebt gut davon. Der Betreiber, die Oldenburger Firma MDP, hat für mehr als 1,5 Millionen Euro Straßen ausgebaut. Die Gemeindekasse verbucht steigende Gewerbesteuer-Einnahmen. Und heimische Ackerbesitzer, auf deren Grund die Mühlen stehen, bekommen vom Betreiber Pacht. Jedes Windrad steht mindestens 1000 Meter vom nächsten Haus entfernt. „Definitiv“, sagt Bürgermeister Sven Rosomkiewicz. „Und trotzdem ist genug Fläche für die Windkraft da.“ Der Bürgermeister mit CDU-Parteibuch versteht den Streit darum nicht. Schließlich ist Sachsen-Anhalt meist dünn besiedelt. „Da gibt es genug Potenzial – trotz der 1000 Meter.“
Der Abstand-Streit nahm erneut Fahrt auf, nachdem der Windmühlen-Riese Enercon am 8. November das Aus für die heimische Rotorblattproduktion verkündete. Allein in Magdeburg verlieren bis zu 1500 Menschen ihren Arbeitsplatz.
Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne) will nun die starren 1000-Meter-Vorgaben abschaffen, um mehr Areale für Windstrom zu sichern. Die CDU gibt schon Kontra. Der Streit hat das Zeug für einen Koalitionskrach. Und bringt noch mehr Anwohner auf die Zinne.
„Dass eine grüne Ministerin so etwas vorhat, ist eine Katastrophe“, sagt Enrico Lehnemann von der Bürgerinitiative (BI) „Pro Jeetzetal“. In dem kleinen Dorf Siedenlangenbeck (Altmark) wollte Enercon ursprünglich Windkraftanlagen errichten. Nach einem jahrelangen Genehmigungsverfahren und Protest der Initiative wurde das Projekt Ende 2018 endgültig für gescheitert erklärt. Seit 2014 hatten sich Lehnemann und seine Mitstreiter mit Petitionen und Experten-Gutachten gegen die Errichtung der Industrieanlagen gewehrt – letztendlich mit Erfolg.
Die Gründe für den Widerstand sind vielfältig. „Die Schallbelastung ist enorm und gesundheitsgefährdend, vor allem aber müssen wir unsere vielen Vogelarten schützen“, sagt Lehnemann. Es gebe noch Baulücken in dem Ortsteil, „aber neben einem Windrad will niemand bauen“. Die Argumente der Wind-Befürworter kann er nicht nachvollziehen. „Es ist nicht möglich, mit Windkraft in der Menge Strom zu speichern, wie wir sie benötigen.“ Stattdessen seien Politiker gerade dabei eine funktionierende Stromerzeugung zu zerstören. Deshalb bezeichnet die Initiaitve den Rückzug Enercons auch nur als „Teilerfolg“. Lehnemann und seine Mitstreiter wollen nun, dass das Windvorranggebiet aus dem Teilplan Wind herausgenommen wird. „Erst dann geben wir Ruhe.“
Ähnlich hartnäckig agiert die Bürgerinitiative in Derenburg im Harz. Fünf Ortschaften liegen in unmittelbarer Nähe zum geplanten Windpark einer privaten Initiative. Der Abstand beträgt teilweise weniger als einen Kilometer. „Das ist kalte Enteignung“, sagt Jörg Schade, einer der Initiatoren. Der Verkehrswert umliegender Grundstücke würde bei Errichtung des Windparks rapide sinken. Der 50-Jährige ist sich sicher: „Als kurzfristige Lösung kommen wir um Atomkraftwerke nicht umhin.“ Und langfristig? „Müssen wir Windkraft speicherbar machen und das wird nur mit Power-to-Gas-Anlagen gehen.“ In Aussagen wie die von Grünen-Chefin Anna Baerbock, die in einem viel diskutierten Interview mit dem „Deutschlandfunk“ 2018 das Stromnetz als Speicher anpries, „erkenne man die Inkompetenz führender Politiker“, meint Jörg Schade.
Solche Proteste gibt es bundesweit. Bereits 1100 Bürgerinitiativen geben Kontra. 1308 Anlagen werden beklagt. Nicht allein Anwohner, vor allem Naturschutzverbände sind zudem juristisch aktiv. Auch sie wachen über Abstände. Etwa für den Rotmilan. So klagte der Naturschutzbund Nabu 2018 erfolgreich gegen die Pläne für einen Windpark in Wegenstedt (Landkreis Börde).
Ein wichtiger Punkt im Gerichtsurteil von 2018: Ist der Abstand zwischen Rotmilanhorst und Windmühle kleiner als 1000 Meter, besteht erhöhtes Kollisionsrisiko. Rückendeckung bekam der Nabu jetzt vom Dachverband Deutscher Avifaunisten. Der fand heraus: In Landkreisen mit hoher Windraddichte gehen die Rotmilanbestände zurück, während sie anderswo zunehmen. Die Branche hat schon kapituliert. „Wenn ein Rotmilan-Nest in der Nähe ist, kann man die Planung am besten gleich beerdigen“, sagt Hans-Helmut Kutzeer, Chef des Projektierers und Betreibers MDP.
Es gibt weitere Gründe für die Flaute. Die Strompreise. Die kletterten in Sachsen-Anhalt seit 2007 im Mittel um 40 Prozent. Ein vierköpfiger Haushalt zahlt im Jahr schon mehr als 1100 Euro. Ein großer Treiber ist die EEG-Umlage. Alle deutschen Kunden überweisen mit ihrer Stromrechnung den Windmüllern, Solardachbesitzern und Biogasbetreibern jährlich einen Zuschuss von stolzen 26 Milliarden Euro. Um den Preis-Galopp zu bremsen, limitierte die Bundesregierung den Ökostromausbau.
Hinzu kommt: Die Genehmigungszeit hat sich auf drei Jahre verdreifacht. Dieses Jahr sank die Zahl der Genehmigungen um 80 Prozent. „Die Behörden sind personell überlastet und gehen restriktiver als früher mit den Vorgaben um“, sagt Christoph Zipf, Sprecher vom Bundesverband Windenergie.
Beispiel Flugverkehr. Um den Funk nicht zu stören, dürfen drei Kilometer um einen Flugplatz keine Windräder stehen. Im Einzelfall sind auch 15 Kilometer für das „Drehfunkfeuer“ nötig. Behörden gehen zunehmend auf Nummer sicher und verlangen den größeren Abstand. Der Bau von 1140 Anlagen ist in Deutschland deswegen blockiert – darunter sind 41 in Sachsen-Anhalt. Künftig könnte ein weiteres hinzukommen: in Borne. Die Gemeinde will ihren Windpark erweitern. In der Nähe liegt der kleine Flugplatz Zackmünde mit Graspiste. Und Bornes neuer Park läge größtenteils genau in der 15-Kilometer-Zone.