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Wirtschaft Die Servicewüste Ostdeutschland?

Der renommierte Magdeburger Forscher, Prof. Marko Sarstedt, kritisiert ostdeutsche Unternehmer.

01.12.2019, 15:42

Magdeburg l Prof. Marko Sarstedt von der Universität Magdeburg gehört zu den weltweit einflussreichsten Ökonomen. Einer der wichtigsten Ratschläge, den er Unternehmern geben kann: den Kunden zuhören. Ein Gespräch mit dem 40-Jährigen.

Was bedeutet es Ihnen, einer von insgesamt 113 internationalen Wirtschaftswissenschaftlern zu sein, die es in die renommierte Liste „Highly Cited Researchers 2019“ geschafft haben?
Marko Sarstedt: Es ist natürlich eine große Ehre und auch Auszeichnung für meine Arbeit, aber auch für die Arbeit der Fakultät und der Universität. Es ist eine tolle Bestätigung und zeigt einem Wissenschaftler, dass das, was er macht, auch relevant ist.

Sie sind derzeit ein sehr gefragter Mann, viele Journalisten möchten mit Ihnen sprechen ...
Das hat tatsächlich auch mit dieser Auszeichnung zu tun und erhöht die eigene Sichtbarkeit. Allein heute habe ich zwei Fernseh-Interviews gegeben. Das ist wichtig und macht Spaß, aber kostet natürlich auch Zeit.

Sie forschen aktuell unter anderem daran, Glück oder Zufriedenheit zu messen. Wie soll das gehen? Etwas messen, das nicht messbar ist.
Intelligenz, Zufriedenheit, Glück - das sind alles Dinge, die man nicht direkt beobachten kann. Das macht es kompliziert. Man kann das nur abstrakt erfassen, beispielsweise mit Hilfe von Fragebögen. Zunächst muss man dieses diffuse Konzept, das man messen will, eingrenzen und die Frage stellen: Was ist zum Beispiel Zufriedenheit?

Und was ist Zufriedenheit?
Darunter versteht man, wenn meine eigene Erwartungshaltung erfüllt wird. Um Zufriedenheit zu verstehen, muss man eben die Erwartungen und die wahrgenommene Leistung messen. Die Differenz gibt dann Aufschluss über die Zufriedenheit, zum Beispiel von Kunden.

Warum ist das für die Wirtschaftsforschung wichtig?
Im Marketing geht es sehr viel um Einstellungen, Intentionen, Wahrnehmungen. Alles Dinge, die nicht beobachtbarsind. Die Frage etwa, warum es zur Finanzkrise gekommen ist: Daran sind auch psychologische Prozesse schuld gewesen. Die Panik damals hatte sehr viel mit Psychologie zu tun. Zu verstehen, welche psychologischen Faktoren eine Rolle spielen, kann also für die Finanz- und Wirtschaftswelt sehr wichtig sein.

Forschung wird oft auch nach praktischer Anwendung bewertet. Wie kann Ihre Forschung Unternehmen hierzulande helfen?
Bei Kundenbefragungen zum Beispiel. Unsere Forschung setzt den Grundstein dafür, diese Befragungen wirklich besser zu machen. Aber auch etwa bei der Frage, wie Düfte Konsumverhalten beinflussen.

Wie stark beeinflussen Düfte, was und wie viel ich kaufe?
Genau kann man das natürlich nicht sagen. Wenn Sie einen Gin Tonic trinken, was von beiden macht Sie dann glücklich? Gin oder Tonic? Es geht um das Zusammenspiel von verschiedenen Einflüssen. Es ist nie nur der Preis, die Beleuchtung, der Geruch oder die Werbung. Es geht um die Frage, wie alles zusammenwirkt.

Wenn man sich dieser Tage mit Unternehmern unterhält, hört man verhaltene Prognosen für das kommende Jahr. Wenn viele Firmenchefs negativ auf 2020 blicken, wird das Jahr dann auch schlecht? Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung?
Das kann passieren. Gerade wenn Meinungsführer oder Wirtschaftsinstitute lautstark eine Richtung vorgeben.

Wie wichtig ist es für Unternehmer, positiv zu denken?
Sehr wichtig. Eine positive Grundeinstellung, ohne unrealistisch zu werden, ist zentral. Wer nicht positiv denkt, geht auch viel seltener Risiken ein und agiert defensiv. Das kann dem langfristigen Erfolg abträglich sein.

Wie beurteilen Sie die Mentalität der Unternehmer im Osten?
Die Unternehmer hier sind durchaus positiv gestimmt. Es gibt hier größtenteils eine Anpacker-Mentalität. Leider ist die aber nicht so ausgeprägt wie in anderen Teilen Deutschlands.

Wie meinen Sie das?
Im Osten gibt es eine Tendenz, risikoscheu zu sein. Der Wille, ein notwendiges Risiko einzugehen ist hierzulande gering ausgeprägt - trotz einer positiven Grundeinstellung.

Wie kann Ihre aktuelle Forschung da helfen? Stichworte Zufriedenheit, Depression und Glück.
Tatsächlich haben viele Unternehmer bei der Frage der Kundenorientierung Aufholbedarf. Das Verständnis von Kunden- und Serviceorientierung ist zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, aber auch in anderen Ostländern häufig gering. Das ist ein Hemmnis. Da kann unsere Forschung helfen beim Beantworten der Frage: Was ist mir ein Kunde wert? Sich damit zu beschäftigen, ist wirklich wichtig, fast Standard für Unternehmen einer bestimmten Größe. Das sehe ich in dieser Region aber leider kaum.

Woran könnte das liegen? Will man kein Geld für solche Dinge ausgeben oder sieht dafür einfach keine Notwendigkeit?
Vielleicht beides. Es gibt natürlich strukturelle Probleme, es ist aber ebenso eine Mentalitätsfrage. Die Notwendigkeit zu sagen, der Kunde ist wertvoll und den muss ich hegen und pflegen - das ist hier nicht sehr ausgeprägt, ohne das dramatisieren zu wollen.

Kann man einen Kunden überhaupt wirklich zufriedenstellen?
Das ist ein wenig wie bei einer Silvesterparty. Da geht man mit wirklich großen Erwartungen hin und meistens werden die nicht ganz erfüllt und ich bin unzufrieden. Wogegen die Spontanparty mit Freunden oft ein Gefühl der Zufriedenheit hinterlässt. Erwartungen spielen also eine wichtige Rolle. Es gibt Dinge, die einfach sein müssen: Wenn ich ein Auto kaufe, muss es vier Räder haben und fahren. Damit kann man Leute nicht begeistern. Wenn ich meinen Kunden aber verstehe, dann kann ich ihn auch zufrieden machen.

Wie kann ich das erreichen, meine Kunden zu verstehen?
Sie müssen ihm vor allem zuhören, ohne eine Betriebsblindheit oder Arroganz. Da hilft natürlich manchmal auch ein Blick von außen, mit Marktforschern etwa. Viele Produkte sind austauschbar, dennoch gibt es Präferenzen bei den Kunden. Fragen wir sie also, welche das sind. Eine starke Marke kann das sein. Unternehmen, die sich so von Wettbewerbern abgrenzen, sind in der Regel profitabler und haben langfristig Erfolg am Markt.

Hören Unternehmer Ihnen denn zu, wenn Sie Hinweise geben?
Ja, ich denke schon. Es gab viele Gespräche, die später zu konkreten Veränderungen in den Unternehmen geführt haben. Unsere Forschung etwa, wie Produkte angeboten werden sollten, hat Firmen bewogen, unsere Erkenntnisse zu berücksichtigen. Wir empfehlen beispielsweise drei Angebote oder Servicepakete unterschiedlicher Qualität, natürlich auch mit drei Preisen. Wir haben herausgefunden, dass sich Kunden sehr oft für das mittlere Angebot entscheiden. Das erklärte Ziel eines Unternehmens könnte dann sein, das mittlere Produkt auch wirklich gut zu verkaufen.

Sie haben Preise angesprochen. Nach wie vor gibt es kaum runde Summen, sondern nach dem Komma stehen 99 Cent. Wer lässt sich davon denn noch beeinflussen? Jeder weiß doch, dass 13,99 trotzdem 14 Euro sind.
Das funktioniert schon noch ganz gut. Kunden verbringen im Supermarkt im Schnitt zweieinhalb Sekunden vor dem Regal, bis eine Kaufentscheidung getroffen wird. Da haben wir keine Zeit, genau abzuwägen. Für unser Unterbewusstsein hört sich 13,99 dann immer besser an als 14 Euro.

Wo haben Sie Ihre Weihnachtsgeschenke gekauft? Im Internet oder beim kleinen Händler?
Ganz bewusst im lokalen Einzelhandel, das ist mir wichtig.

Gibt es in 30 Jahren noch kleine Geschäfte in den Innenstädten?
Ich denke schon. Das Haptische wird wieder wichtiger und die Beratung auch. Auch Initiativen wie vom Magdeburger Stadtmarketing mit Stadtgutscheinen oder Heimatsponsor helfen dabei. Aber: Der Service muss stimmen.

Zum Beispiel beim Bezahlen. Ist da der Hinweis, keine EC-Kartenzahlung unter zehn Euro, den es in vielen Läden gibt, nicht kontraproduktiv?
Man sollte den Kunden nicht vorschreiben, wie sie bezahlen sollen. Das Signal ist einfach falsch und verstimmt alle Kunden. Auch diejenigen, die immer über zehn Euro ausgeben.