Zirkus Zwischen Schulbank und Manege
Selena Frank wechselt alle paar Wochen die Schule. Denn die sie reist mit einem Zirkus umher, zurzeit ist sie in Magdeburg.
Magdeburg l Wenn Selena in den Sportunterricht kommt, wirft der Lehrer gern mal seine Pläne für die Stunde über Bord. Dann darf sie allen vorführen, wie kunstvoll sie zwei Hula-Hoop-Reifen tanzen lässt. Auch neulich in Magdeburg wieder, da kam ihre Klasse ums Bodenturnen herum. Die 14-Jährige ist eine kleine Attraktion. Denn nach der Schule, wenn andere auf den Bolzplatz gehen oder Klavier üben, steht sie in der Manege. Beim Circus Paul Busch tritt sie mehrmals in der Show auf, seit kurzem auch mit einer großen Nummer: Sie führt mit ihrem Papa die Pferde vor, lässt sie einen Knicks machen oder mit allen Vieren zugleich in die Luft springen.
Selena reist schon von Geburt an mit dem Familienzirkus durch Deutschland. Sie lebte nie in einem Haus, besuchte keine Kita. Und sie ging nicht ein Halbjahr lang in dieselbe Klasse. „Meine Mutter fährt mich in jeder Stadt zu einer Schule, die in der Nähe vom Zirkusplatz ist“, erzählt die Achtklässlerin, während sie auf der Couch ihrer Eltern lümmelt – mit Besuch sitzt man hier schöner als in ihrem eigenen Wohnwagen. An dieser Schule verbringt sie dann die kommenden zwei, drei Unterrichtswochen.
Doch wie kann sie den ganzen Stoff eines Schuljahres lernen, wenn jede Klasse gerade bei einem anderen Thema ist? Die Lösung liegt in einem blauen Ordner. Den hat Selena von ihrer Stammschule im sächsischen Stauchitz bekommen. Er ist gefüllt mit Arbeitsblättern, die sie im Unterricht ausfüllt – unabhängig davon, was die anderen behandeln. Der Lehrer schaut ihr nebenbei über die Schulter und erklärt, was sie nicht versteht. Bevor das Zirkusmädchen weiterreist, füllt er einen Zettel aus: Was hat Selena gemacht? Wo war sie gut? Was muss sie noch üben? „Den Ordner schicken wir dann an meine Stammschule, die gibt mir Noten“, erzählt sie. Zum Teil fließen auch Klausuren ein, die in den Schulen geschrieben wurden – je nachdem, ob sie den abgefragten Stoff schon kannte.
Ihre Noten sind passabel. Selena zählt auf: Deutsch zwei, Mathe drei, Kunst zwei. Dann müsste ihr Schule eigentlich Spaß machen. Da wackelt sie mit dem Kopf: „Ein bisschen schon. Aber Zirkus macht mir mehr Spaß!“ Über den erzählt Selena auch viel lieber. Gelegenheit dazu hat sie ständig, denn in jeder Stadt wird sie in den Pausen von ihren Mitschülern gelöchert. „Sie wollen eigentlich immer wissen, wie es so ist, im Zirkus zu leben.“ Klar, ein Alltag zwischen Clowns, Kamelen, Seiltänzern und Feuerspuckern, den hat man im Reihenhaus eher selten.
Ab und zu kommt doch sicher auch mal eine kritische Frage. Schließlich sind Tiere in Zirkussen umstritten. „Manchmal gibt es das schon, aber nicht oft.“ Sie erzähle dann immer davon, wie sie ihre Pferde auf die Weide führe und mit ihnen ausreite, damit die genügend Bewegung hätten.
Spannender, sagt die 14-Jährige, finden ihre Mitschüler etwas anderes: „Viele sagen, sie könnten sich nie vorstellen, in einem Zirkuswagen zu wohnen. Dafür kann ich mir nicht vorstellen, in einem Haus zu wohnen.“ Und warum? „Hier hat man immer was zu tun. Ich kann zu den Pferden gehen. Oder ich spiele Verstecken.“ Denn Selena ist nicht das einzige Kind im Circus Paul Busch, da wären auch noch Neffe Jordano (3), Cousin Sandro (12) und Cousine Jolina (13).
Irgendwann werden die Vier zu alt sein zum Verstecken. Sandro und Jordano suchen sich dann wohl eine Frau, die mitreist. So laufe das meist bei Zirkusjungen, erzählt Selenas Mama beim Abschied. Die Mädchen hingegen würden manchmal sesshaft, samt gängigem Beruf. Selena hätte mit ihren Noten auch das Zeug dazu, später etwas anderes zu machen. Will sie aber nicht. „Ich könnte mir nie vorstellen, wegzugehen. Schon allein, weil ich meine Pferde vermissen würde.“
Der Circus Paul Busch gastiert noch bis zum 7. Januar in Magdeburg.