Segelflug Über Borstel wird „gezachert“
Zwei Wochen sind vorbei, eine liegt noch vor den Studenten aus ganz Deutschland, die in Borstel Segelflugzeuge erforschen.
Stendal l Mensch, die sind aber früh unterwegs. Das wird sich vermutlich so mancher denken, der dieser Tage über dem Borsteler Flugplatz schon um 6 Uhr die ersten Segelflugzeuge in die Luft steigen sieht.
Und er wird sich die nächste Frage stellen: Starten die sonst nicht immer erst gegen Mittag, wenn die Thermik optimal ist? Ja, die „normalen“ Flieger schon, wenn sie zum Beispiel an Meisterschaften teilnehmen, aber die flugbegeisterten Studenten eben nicht.
„Bei der Flugleistungsvermessung ist turbulenzarme Luft wichtig, dann darf es keine Thermik geben“, erklärt Philipp Rosner von der Akademischen Fliegergruppe München. Kai Rohde-Brandenburger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig spricht von einer „Laborluft“.
Bei der Flugleistungsvermessung gehen zwei Segelflugzeuge nebeneinander in die Luft und steigen auf eine Höhe von 3000 Meter. Ein Messflug dauert in der Regel 45 Minuten. Eines der Flugzeuge ist als Referenzflieger dabei, um dessen Werte im Sinkflug mit denen des Fliegers zu vergleichen, an dem die Studenten forschen.
Studenten, die Interesse und Spaß am Flugzeugbau haben – obwohl viele von ihnen nicht Luft- und Raumfahrttechnik studieren, sondern Maschinenbau, Elektrotechnik oder anderes. Sie alle sind organisiert in Akademischen Fliegergruppen, dessen Dachverband die Idaflieg ist (siehe Infokasten).
Und die organisiert in jedem Jahr ein Sommertreffen. Das findet erstmals in Stendal statt, weil der Stammflugplatz in Aalen-Elchingen in Baden-Württemberg wegen einer Meisterschaft nicht zur Verfügung steht.
„Der Platz in Stendal ist super für uns geeignet“, sagt Philipp Rosner. „Uns steht ein großer Platz zur Verfügung und die Zusammenarbeit mit der Flugplatzgesellschaft und dem Aero-Club Stendal klappt hervorragend.“ Idaflieg-Präsident Kai Weber fügt hinzu: „Wir wurden wahnsinnig gut aufgenommen und fühlen uns hier sehr wohl.“
Die Münchener haben zum Sommertreffen wieder ihre Mü-31 mitgebracht, wobei das Mü für München steht und die 31 für die laufende Nummer des Prototyps. Im vorigen Jahr stellte die Aka München dieses Modell erstmals vor.
Die erste Idee dafür gab es schon 1997, im Jahr 2005 wurde mit dem Bau begonnen. Der Prototyp basiert zwar auf Serien-Segelflugzeugen, aber daraus geworden ist ein Schulterdecker (veränderte Position der Tragflächen), bei dem der Flügel-Rumpf-Übergang optimiert worden ist.
Das Ziel: den Strömungswiderstand zu verringern. „Man hält sich besser oben“, beschreibt es der Maschinenbau-Student für den Laien. „Wir sind jetzt in der Flugerprobung, um die Zulassung zu erreichen.“
Die Mü-31 absolviert während des Sommertreffen nicht nur Flugleistungsvermessungen, sondern auch die Tests zur Flugeigenschaftsermittlung. Die Fachleute sprechen vom „Zachern“, denn Hans Zacher hat maßgeblich das Programm zur Flugeigenschaftsvermessung mitentwickelt.
Dabei wird zum Beispiel während des Fluges ermittelt, ob der Flugzeug träge oder empfindlich reagiert, welche Kraftverläufe beim Steuern auftreten oder wie der Trimmbereich bei verschiedenen Schwerpunktlagen ist.
„Diese Art des wissenschaftlichen Fliegens erfordert ein erhöhtes Maß an Konzentration und Übung“, erklärt Kai Weber, der selbst seit vielen Jahren begeisterter Segelflieger ist. Die Sommertreffen seien immer auch dafür da, dass die studentischen Piloten das „Zachern“ lernen, so Weber, der Elektrotechnik studiert und sich auf den Bereich Meßtechnik spezialisiert – auch, weil die Forschungsarbeit an Segelflugzeugen bei ihm das Interesse daran geweckt hat.
Ein dritter Bereich der praktischen Forschung beim Sommertreffen sind die Sondermessungen, unter anderem zur thermischen Beschichtung. Und dann gibt es auch noch Trudeltests, bei denen es unter anderem um die Stabilität des Cockpits geht und darum, wie schnell das Flugzeug in der Vertikalbewegung ist.
Alle Ergebnisse werden später zusammengetragen – vor allem für die weitere Forschungsarbeit in den Akafliegs, zum Teil werden sie auch an Hersteller weitergegeben. „Einige der frühere Akaflieg-Neuerungen sind heute Standard im Segelflugzeugbau“, erklärt der Idaflieg-Präsident.
In den drei Wochen in Stendal – das Treffen endet am 1. September – werden 20 bis 30 Flugzeuge getestet, Serienflugzeuge ebenso wie Prototypen der akademischen Gruppen. Die Flugzeuge werden dafür mit Sensoren, Sonden, Messtechnik und Minicomputern ausgestattet, oder ihnen wird ein Nasenmast angeschraubt, um zum Beispiel die Anströmbedingungen zu erfassen.
Etwa 50 Studenten sind in der Regel vor Ort, zum Bergfest am vergangenen Wochenende waren es 120. Dann kommen auch ehemalige Studenten zum Erfahrungsaustausch und Vertreter von Flugzeugherstellern. Für ein paar Tage waren Studenten der Akaflieg Madrid auf dem Stendaler Platz.
Seit Jahren gibt es eine Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das nutze die Sommertreffen gern für die Messflüge, „weil dann ausreichend Personal dafür zur Verfügung steht“, erklärt Kai Rohde-Brandenburger vom DLR-Standort Braunschweig, der seit Jahren mit den akademischen Fliegergruppen zusammenarbeitet.
Auf der Internetseite www.idaflieg.de gibt es einen Blog, in dem detailliert über die Aktivitäten an jedem Tag berichtet wird.