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Skandal bei der WM Betrug in der Stadion-Loge: Skispringer suchen Schuldige

Anzug aufschneiden, illegal ein Band anbringen, Anzug wieder schließen: Norwegens Skisprung-Betrug hatte Methode. Das Ausmaß des Skandals könnte noch viel größer werden.

Von Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa 10.03.2025, 12:48
Sportdirektor Aalbu beim Goldjubel auf der Normalschanze.
Sportdirektor Aalbu beim Goldjubel auf der Normalschanze. Hendrik Schmidt/dpa

Trondheim - Manipulierte Anzüge, Lügen und eine öffentliche Schlammschlacht: Der Skisprung-Sport steht nach dem WM-Chaos um Gastgeber Norwegen vor der wohl größten Zerreißprobe seiner ruhmreichen Geschichte. Was mit ein paar wackligen Videos in einer unscheinbaren Loge im Fußballstadion von Rosenborg Trondheim begann, droht zu einem der größten Wintersport-Skandale der vergangenen Jahrzehnte zu werden.

Nach einem historischen Wochenende und vor der Fortsetzung der weiteren Saison stellen sich viele Fragen: Welche Tricksereien und Betrugsmaschen kommen noch ans Licht? Werden nach dem Anzug-Chaos Medaillen oder sogar ganze Wettbewerbe annulliert? Und: Wem kann man in dem Wirrwarr um Norwegens Skisprung-Duo Marius Lindvik und Johann André Forfang überhaupt noch glauben?

Anonyme Videos bringen Skandal ins Rollen

Für die deutsche Ikone Sven Hannawald bedroht der Skandal von Trondheim seine geliebte Sportart. „In meinem schlimmsten Alptraum hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt. Ich hoffe, dass alle Entscheidungsträger endlich aufwachen und sich ein rigoroses Reglement überlegen“, sagte Hannawald der „Bild“-Zeitung. „Ansonsten kann man Skispringen in zwei Jahren beerdigen.“

Die Suche nach den Schuldigen rund um die Schanzen hat begonnen. Anonym gefilmte und Medien zugespielte Videos haben den Skandal um vorsätzlich manipulierte Anzüge so richtig ins Rollen gebracht. Die Aufnahmen zeigen, wie das norwegische Team im Beisein von Cheftrainer Magnus Brevig die Wettkampfkleidung auf unzulässige Art und Weise bearbeitet. Lindvik und Forfang wurden im Anschluss für das Großschanzen-Einzel disqualifiziert.

Wellinger fragt sich: Wäre ich Weltmeister?

Anzug auf, stabilisierendes Band rein, Anzug zu: So einfach operierten die Norweger an dem sensiblen Stoff, der im Skispringen so wichtig ist, herum. Seit die heimlich durch ein abgeklebtes Fenster gefilmten Videos den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben, empören sich darüber alle anderen Skisprung-Nationen. 

Deutschlands bester Skispringer Andreas Wellinger trauert in einem Instagram-Video dem verlorenen WM-Gold nach und fragt sich: Ging eine Woche zuvor wirklich alles mit rechten Dingen zu? Wäre ich eigentlich Weltmeister? Der 29-Jährige hatte im Normalschanzen-Einzel Platz zwei hinter Lindvik, der nun wegen der Manipulation disqualifiziert wurde, belegt.

Der böse überrumpelte Weltverband Fis will vollständige Aufklärung leisten, hat es bei der WM aber verpasst, sämtliche Anzüge der Norweger in Trondheim zügig zu konfiszieren. Dass der WM-Gastgeber vollumfänglich kooperiert, darf angezweifelt werden. Sportdirektor Jan Erik Aalbu gestand am Sonntag zwar immerhin, dass die Norweger wissentlich betrogen haben - allerdings nur bei einem einzigen Wettbewerb und nur bei zwei Anzügen.

Lindvik und Forfang beteuern ihr Unwissen

Aalbu, der nach eigenen Angaben selbst nichts von den Praktiken wusste, räumte also nur das ein, wofür sein Team am Vortag schon bestraft wurde. Die teilweise skurrile Runde mit etwa 40 Journalisten gipfelte in einer Aussage Aalbus, wonach man „letzte Nacht festgestellt“ habe, „dass wir betrogen haben“. 

Auch Lindvik und Forfang beteuern, sie hätten nichts von der Betrugsmasche gewusst. Es wird spannend zu sehen sein, wie die sportlichen Rivalen das Duo bei den nächsten Weltcup-Stationen behandeln. Kurioserweise geht es für den Weltcup nach der WM direkt wieder nach Norwegen. Am Donnerstag (17.00 Uhr) steigt in Oslo das erste Einzel nach dem großen Schanzen-Knall.

Die Aussagen der Sportler klingen zumindest mutig, wenn man bedenkt, wie sensibel Skispringer und ihre Wettkampfanzüge verbunden sind. Offenbar hat man sich im norwegischen Verband darauf geeinigt, dem Skandal mit einer Art Wagenburg-Mentalität zu begegnen und nur so viel einzugestehen, wie wirklich offensichtlich ist. Trainer Brevig, der in den Videos klar zu erkennen ist, wird seinen Anteil nicht abstreiten können - und dürfte demnach das einfachste Opfer personeller Konsequenzen werden.

Deutscher Skiverband will „keine Lynchjustiz“

Der Deutsche Skiverband (DSV) sowie die Teams aus Österreich, Slowenien und Polen sind stinksauer und beklagen - schon jetzt - einen gewaltigen Imageschaden für die gesamte Sportart. „Das macht einen schon sprachlos, wenn man sich vor Augen führt, wie hier offensichtlich ohne jegliche Skrupel manipuliert wurde“, teilte Vorstandsmitglied Stefan Schwarzbach auf dpa-Anfrage mit. 

Der DSV fordert von der Fis eine lückenlose Aufklärung, hat sich dem Protest der drei weiteren Nationen aber nicht angeschlossen. Diese forderten am Samstag nicht nur den Ausschluss für das Skisprung-Einzel, sondern die Annullierung aller norwegischen WM-Ergebnisse im Skispringen sowie in der Nordischen Kombination. „Wir wollen keine Lynchjustiz, sondern ein faires und transparentes Vorgehen“, fügte Schwarzbach an.

Zweifel an neuen Kontrollchips

Die Österreicher sind in ihren Aussagen noch deutlich schärfer. Geschäftsführer Christian Scherer schimpfte nach Aalbus Pressekonferenz auf seinen norwegischen Amtskollegen: „Es gab null Einsicht. Das war sehr eigentümlich, arrogant und nicht sehr glaubwürdig. Auf die wesentlichen und offensichtlichsten Fragen hat er keine Antworten gegeben.“ Polens Cheftrainer Thomas Thurnbichler redet gar nicht mehr mit Norwegens Verantwortlichen.

So wie das WM-Einzel von Trondheim zur Nebensache geriet, dürfte auch die restliche sportliche Saison maximal eine Randnotiz bleiben. Stattdessen wird es um die Aufklärung des Skandals und die Schlussfolgerungen der mit einer Kommission ermittelnden Fis gehen. 

Wenn die seit diesem Winter eingeführten Kontrollchips an den Anzügen wirklich so große Sicherheitslücken aufweisen, wie nun im WM-Chaos vermutet wurde, droht dem Weltverband ein Fiasko von ganz anderem Ausmaß. Dann dürfte der Ausgang und die Wertung sämtlicher Springen in dieser Saison auf dem Prüfstand stehen.