Fußball Kicken - aber nur mit Pillen
Laut einer Umfrage hat der Amateurfußball ein Schmerzmittelproblem. Ein Spieler aus Sachsen-Anhalt erzählt seine Geschichte.
Magdeburg l Dienstags, donnerstags und samstags oder sonntags – das sind die Tage, an denen Simon Wagner* (*Name von der Redaktion geändert) normalerweise Schmerztabletten einnimmt. Training und Spiele in einer der Kreisoberligen in Sachsen-Anhalt geben den Takt vor. Und das seit knapp acht Jahren. „Ich bin ehrgeizig, will immer einhundert Prozent und Vollgas geben“, sagt Wagner, „und mich von den jungschen Leuten auch nicht abkochen lassen.“
Pharmazeutika wie Ibuprofen, Dolormin oder auch Voltaren gehören deshalb zu seinen ständigen Begleitern. Auch, weil Wagner sich vor Jahren an beiden Hüften operieren lassen musste. „Laut meinen Ärzten dürfte ich überhaupt kein Fußball mehr spielen, nur noch schwimmen und Rad fahren. Für ein Jahr habe ich auch tatsächlich aufgehört – aber ich brauche es einfach. Ich kann zum Fußball nicht Nein sagen“, erzählt der 30-Jährige.
Mittlerweile geht es ihm bei der Medikamenten-Einnahme vorrangig aber gar nicht mehr darum, Schmerzen zu lindern. „Ich denke, dass es bei mir auch zur Kopfsache geworden ist. Bevor ich auf den Platz gehe, haue ich mir die Tablette schon mal vorsichtshalber rein. Ich habe nicht ausprobiert, ob ich auch ohne durchspielen könnte“, sagt Wagner.
Und damit ist er nicht allein. Correctiv und die ARD-Dopingredaktion sind unter Amateurfußballern der Frage nachgegangen, wie weit es bei den Millionen deutschen Freizeitkickern verbreitet ist, mit Schmerztabletten kurz vor Anpfiff zum Beispiel die Nervosität zu senken. 1142 Spieler beteiligten sich an der Umfrage. Das Ergebnis der nicht repräsentativen Online-Erhebung: Etwa die Hälfte der Teilnehmer nehmen mehrmals pro Saison Schmerzmittel, 21 Prozent gar einmal pro Monat oder öfter. Als Grund gaben sie längst nicht nur die Bekämpfung von akuten Schmerzen an.
Fast 42 Prozent der Teilnehmer wollen mit den Pillen Einfluss auf ihre Leistung nehmen. Konkret wollen sie die Belastbarkeit erhöhen. Sie wollen Sicherheit gewinnen und den Kopf frei haben. Einige erklärten in der Befragung auch direkt, ihre Leistung steigern zu wollen. Für den Kölner Dopingforscher Hans Geyer sind Schmerzmittel im Sport Doping.
Der Hoffenheimer Mannschaftsarzt Thomas Frölich sagt mit Blick auf Schmerzmittelkonsum im Sport, Doping sei „eigentlich grundsätzlich so definiert, dass jede Leistungssteigerung auf unnatürliche Weise, also abseits des Trainings oder der normalen Ernährung, als Doping gilt“. Auf der Liste der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) stehen die Tabletten allerdings nicht.
Mit den möglichen Nebenwirkungen der Pillen setzt sich nur jeder dritte Teilnehmer der Befragung auseinander. Dabei können die Mittel bei übermäßigem Konsum durchaus gefährlich sein: Sie können Magen, Herz und Nieren schaden. Einige Amateurspieler schilderten, was sie erlebten. Von „Abhängigkeit“ und „ständigem Verlangen“ schrieben sie, von „Blut im Stuhl“ und „chronischen Entzündungen“, von „Darmbluten“ und „hohem Blutverlust bei offenen Wunden“.
Von solchen Nebenwirkungen ist Wagner bislang verschont geblieben. Er wisse zwar, dass das, was er tut, nicht gesund ist, habe für sich aber einen Mittelweg gefunden. „Ich weiß, wo meine Grenzen sind. Wenn ich zum Beispiel vier bis fünf Tage durchgehend Schmerzmittel nehmen müsste, dann würde ich aufhören. Die Gesundheit ist dann doch wichtiger.“
Kommen genug Spieler seiner Mannschaft zur Partie, „dann bleibe ich auch auf der Bank und lasse die spielen, die gesund sind“, sagt er. Allerdings seien eben oft gerade einmal elf oder zwölf Leute da.
Wer denkt, dass sich solche Szenarien nur bei den Amateuren abspielen, täuscht sich. Der langjährige BVB-Verteidiger Neven Subotic berichtet beispielsweise über seine Erfahrungen aus der Kabine der Profis. „Ibuprofen wird wie Smarties verteilt“, sagt Subotic, der heute für Union Berlin spielt. „Für jedes kleine Aua gibt es quasi pauschal Ibuprofen.“
Subotic, 31, zweimal deutscher Meister mit Borussia Dortmund, sagt auch, die Spieler würden über mögliche Folgen in der Regel nicht informiert. „Es heißt dann immer: ‚Wenn du spielen willst, kannst du das nehmen, dann fühlst du dich gut, und dann spielst du.‘“ Er selbst halte sich, so gut es gehe, fern von den Mitteln.
Der DFB-Präsident Fritz Keller zeigte sich „schockiert“, als ihm das Ergebnis der Befragung gezeigt wurde – und kündigte eine Reaktion an: „Da müssen wir unbedingt an unsere Landesverbände gehen und über Trainer eine Sensibilisierung hinkriegen.“ Der Sport im Amateurbereich, so Deutschlands ranghöchster Fußball-Vertreter, sei „zur Gesunderhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich kaputt macht.“