Handball-EM „Krasse Herausforderung“: Handballer vor erster Reifeprüfung
Für die deutschen Handballer geht die Heim-EM mit dem Kracher gegen Frankreich erst richtig los. Das DHB-Team will dabei eine Rechnung aus dem Vorjahr begleichen.
Berlin - Abgeschottet vom Trubel rund um die Bauernproteste in der Hauptstadt stimmten sich die deutschen Handballer um Regisseur Juri Knorr im Team-Hotel auf den Kracher gegen Olympiasieger und Rekord-Weltmeister Frankreich ein.
Im letzten Gruppenduell an diesem Dienstag (20.30 Uhr/ARD und Dyn) in Berlin will das Team von Bundestrainer Alfred Gislason die erste wahre Reifeprüfung bei der Heim-EM bestehen und die Handball-Euphorie im Land nach den beiden Auftaktsiegen weiter anheizen.
„Wir haben bisher nicht viel erreicht, lediglich unsere Hausaufgaben erledigt. Jetzt kommen die Topteams. Das wird heftig und eine krasse Herausforderung. Es wird sich zeigen, wie reif und erwachsen wir sind“, sagte Knorr vor dem Showdown mit dem WM-Zweiten des Vorjahres und fügte mit Blick auf den weiteren Verlauf des Turniers erwartungsvoll hinzu: „Vielleicht können wir es zu dem Wintermärchen machen, das wir uns alle wünschen.“
Darauf hofft auch der Bundestrainer. „Die bisherigen Spiele zählen nicht mehr. Jetzt geht es nur darum, wer die Punkte in die Hauptrunde mitnimmt“, sagte Gislason über die Konstellation. Nur das Ergebnis des Frankreich-Spiels bleibt in der Wertung für die zweite Turnierphase. „Jetzt geht im Prinzip für uns die EM erst richtig los“, befand DHB-Sportvorstand Axel Kromer am Montag.
Deutschland kein Favorit
Anders als bei den überzeugenden Auftritten gegen die Schweiz (27:14) und Nordmazedonien (34:25), bei denen jeweils mehr als sieben Millionen Menschen vor den Fernsehgeräten mitfieberten, ist die DHB-Auswahl dieses Mal der Außenseiter. „Die Franzosen sind neben den Dänen der größte Titelfavorit. Sie sind sehr gut in der Abwehr und im Angriff, laufen die zweite Welle besser als jede andere Mannschaft, haben ein unglaubliches Feuer aus dem Rückraum und sind auch körperlich den meisten Teams überlegen“, zählte Gislason die Qualitäten des hochkarätigen Gegners auf.
Verstecken muss sich die deutsche Mannschaft aber nicht, denn die beiden souveränen Erfolge zum Auftakt haben ihr viel Selbstvertrauen gegeben. „Wir brauchen einen perfekten Tag. Aber natürlich gehen wir ins Spiel, um es zu gewinnen. Der Glaube ist groß, dass wir das schaffen, auch wenn die Experten uns das nicht zutrauen“, sagte Gislason.
DHB-Team hat offene Rechnung mit Frankreich
Nicht nur bei dem 64 Jahre alten Isländer steckt das WM-Viertelfinale vor einem Jahr noch im Hinterkopf. Damals verlor die DHB-Auswahl deutlich mit 28:35, nachdem sie 40 Minuten lang auf Augenhöhe agiert hatte. „Das letzte Duell war wirklich bitter. Jetzt wollen wir die Rechnung begleichen. Es wäre schön, wenn wir uns revanchieren und mit einem optimalen Ergebnis in die Hauptrunde gehen könnten“, sagte Torwart Andreas Wolff.
Auf den Europameister von 2016, der gegen die Schweiz brilliert hatte, und seinen Kollegen David Späth, der gegen Nordmazedonien glänzte, wird es besonders ankommen. „Jetzt sind beide Torhüter im Turnier. Das ist super“, befand Linksaußen Lukas Mertens.
Auch Kapitän Johannes Golla war voll des Lobes. „Wir haben vorher gesagt, dass wir beide brauchen werden, wenn wir im Turnier etwas erreichen wollen. Sie haben geliefert und gezeigt, dass wir uns auf sie verlassen können“, sagte der Kreisläufer. U21-Weltmeister Späth, der jede seiner zahlreichen Paraden gegen Nordmazedonien mit emotionalen Gesten gefeiert hatte, gab die Marschroute vor: „Wir sind auf eine Welle gesprungen, müssen jetzt aber weitermachen. Wir dürfen keine Sekunde nachlassen.“
Regisseur als Trumpf in der Offensive
Der große Hoffnungsträger im Angriff ist Juri Knorr. Der Spielmacher warf sich mit zehn Toren gegen Nordmazedonien für den Kracher am Dienstag warm. „Er hat eine unglaubliche individuelle Qualität und ist unser Dreh- und Angelpunkt“, sagte Linksaußen Rune Dahmke über den 23 Jahre alten Rückraumspieler vom Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen.
Auch Gislason attestiert Knorr „eine zentrale Rolle in unserem Spiel“ und eine Weiterentwicklung gegenüber dem Vorjahr. „Er ist ein sehr guter Spieler geworden. Er ist beweglicher und arbeitet jetzt besser für die anderen Rückraumspieler“, lobte der Bundestrainer.
Knorr selbst sieht sich aber längst nicht auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Entwicklung, geschweige denn auf Augenhöhe mit den Topstars der Franzosen. „Da sind viele Jungs dabei, die für mich Vorbilder und Idole sind. Es wird ein krasses Spiel“, sagte er fast ehrfurchtsvoll. „Es wird darum gehen, nicht zu viel Respekt zu haben und ein besonderes Spiel zu machen.“
Seiner Ansicht nach wird die Partie in erster Linie eine Kopfsache. „Das Taktische wird wichtig sein, aber das Mentale wird es entscheiden“, prophezeite Knorr und appellierte: „Es wird darauf ankommen, wie bereit wir sind und wie emotional wir dagegen stehen können.“