Handball Musche über Bärte, Bungalows und Berlin
Matthias Musche ist derzeit mittendrin: Er mischt mit dem SC Magdeburg die Bundesliga auf und träumt von der Heim-WM. Ein Gespräch:
Magdeburg l Nudeln mit Wurstgulasch also. Das ist die Mahlzeit, die Matthias Musche vor den Heim-Spieltagen isst. Und zwar meistens in Manuelas Bistro. In dem unscheinbaren, weißen Gebäude an einer Durchfahrtsstraße in Westerhüsen ist der Spieler des SC Magdeburg mehrmals die Woche zu Gast. Musche ist nur wenige Kilometer entfernt aufgewachsen, seine Eltern betreiben in dem Magdeburger Stadtteil ihre Firma. Hinter einer Tafel, an der die Gerichte stehen, klemmt somit passenderweise eine Autogrammkarte von dem Lokalmatador. „Schau, das ist von mir“, sagt Musche und zeigt darauf. „Danke für das leckere Essen“, hat er dazugeschrieben.
Die Karte ist aus der Saison 2013/14, Musche ist noch ohne seinen mittlerweile markanten Bart darauf abgebildet. „Vielleicht kriegen wir ja mal ’ne aktuelle“, sagt Andreas Laufer, der das Bistro mit seiner Frau Manuela führt, und lacht. Musche grinst, nimmt sich eine Cola-Flasche, begrüßt noch zwei Männer am Nebentisch und setzt sich. Das sei eben er, privat, meint der Handballer und zuckt mit den Schultern.
Bodenständig, heimatverbunden – und trotzdem ist der Linksaußen des SC Magdeburg in dieser Saison besonders ins Rampenlicht gerückt. Das liegt zum einen am furiosen Start, den der SCM in der Bundesliga hingelegt hat. Mit sieben Siegen in Folge stellte die Mannschaft einen vereinsinternen Startrekord auf. Das liegt zum anderen aber auch an seiner eigenen Leistung. In 17 Bundesligaspielen erzielte er bislang 152 Tore, 57 davon per Siebenmeter. Im Ranking ist er der unangefochtene Spitzenreiter.
Zum Vergleich: Auf Rang zwei liegt schon abgeschlagen Tim Hornke vom TBV Lemgo Lippe mit 114 Treffern. Er gehört zwar auch zur Musche-Familie, da er mit der Cousine von Matthias verheiratet ist – abgerechnet wird aber trotzdem separat. Und Hornke weiß: „Wenn sich Matthias nicht verletzt, dann wird er sich in dieser Saison ganz bestimmt die Torschützenkrone holen.“
Doch Musche ist mehr als ein beständiger Torjäger mit einprägsamen Nachnamen. Der 26-Jährige hat sich zum Aushängeschild des SCM entwickelt, sein Auftreten auf und neben dem Spielfeld ist authentisch, emotional und immer mit einer Prise Humor versehen. Und er ist ein Eigengewächs des Vereins – in einer Mannschaft mit Spielern aus neun Nationen fällt auch das ins Gewicht.
Außerdem wird der Magdeburger im Januar aller Voraussicht nach mit der Nationalmannschaft die Heim-Weltmeisterschaft, die in Deutschland und Dänemark ausgetragen wird, bestreiten. „Ich mache mir große Hoffnungen, dass ich nominiert werde. Das sage ich so ganz ehrlich“, sagt Musche. Und erhält dabei auch Rückendeckung vom Vizepräsidenten des Deutschen Handball Bundes (DHB), Bob Hanning: „Typen wie Matthias Musche haben durchaus auch das Potenzial, die Menschen zu begeistern. Durch sportliche Leistung, aber eben auch durch ihre Emotionalität und ihr sympathisches, unverstelltes Auftreten“, sagte Hanning kürzlich.
Die Saison 2018/19 scheint einfach die des Matthias Musche zu sein. Warum? „Wenn ich das höre“, sagt er, „ärgert mich das immer ein bisschen. Denn ich bin einfach der Meinung, dass ich auch in den vergangenen drei Jahren schon konstante Leistungen gebracht habe.“ In dieser Saison profitiere er im Verein zudem von dem Ausfall von Lukas Mertens, der wegen eines Kreuzbandrisses pausieren muss. „Deshalb bin ich in jedem Spiel auf Linksaußen gesetzt. In der vergangenen Saison habe ich ja zu Hause zum Beispiel gegen Erlangen oder Ludwigshafen gar nicht gespielt. Weil da Lukas dran war. Jetzt werfe ich in diesen Spielen eben auch meine Tore. Und die Siebenmeter.“
Doch es sind eben Besonderheiten wie 16 Tore im Spiel gegen den Bergischen HC. Oder die bereits fünfte Nominierung für die Mannschaft der Woche, die in der Fachzeitschrift „Handballwoche“ veröffentlicht wird. „Klar, da schauen dann alle noch einmal mehr drauf“, weiß auch Musche. „Ich kann mittlerweile kaum noch anonym irgendwohin gehen“, erzählt er, „das hat sich seit dieser Spielzeit schon verändert. Es ist eben Fluch und Segen zugleich. Manchmal nervt es, wenn man ständig angequatscht wird. Es hat aber definitiv auch seine schönen Seiten.“
In puncto Wiedererkennungswert tun sein blonder Bart- und Haarwuchs ein Übriges. „Ja, den hat in der Bundesliga so keiner“, sagt er, fährt mit der Hand über sein Kinn und lächelt. Zu seinem Markenzeichen will er den Bart eigentlich gar nicht machen, vielmehr ist es einem Spruch seines Ex-Mitspielers Jens Schöngarth geschuldet, dass er ihn überhaupt wieder wachsen ließ. „Als ich angefangen habe, den Bart stehen zu lassen, war meine Freundin Franzine dagegen“, erzählt Musche. Also rasierte er ihn kurzerhand wieder ab. „Aber als ich dann in den Mannschaftsbus gekommen bin, haben alle gelacht. Und Jens Schöngarth meinte: ‚Du siehst aus wie mein Arsch mit acht.‘ Da dachte ich mir: Nee, das gibst du dir nicht noch mal.“ Seither also trägt er den Rauschebart, mit dem er, wenn er auf dem Spielfeld mal einen Schrei rauslässt, wie ein wütender Isländer ausschaut.
Die Freiheit, sich wieder von seinem Merkmal trennen zu können, will er sich aber unbedingt lassen. „Sonst ist es ja so wie beim Ex-Nationalspieler Pascal Hens mit seinem Irokesen-Haarschnitt“, meint er, „den konnte man sich ohne ja gar nicht mehr vorstellen.“ Auch der isländische Torhüter Björgvin Pall Gustavsson, der von 2011 bis 2013 beim SCM im Tor stand, hatte als Markenzeichen seine langen, blonden Haare. Und entwickelte für die perfekt sitzende Frisur sogar ein eigenes Haargel.
„Das gab’s sogar bei uns im Fan-Shop“, erinnert sich Musche und lacht, „vielleicht bringe ich ja ein eigenes Bartöl heraus.“ Pläne für die Zukunft schmiedet er gern. „1000 Ideen“ habe er im Kopf, was er nach seiner Handball-Karriere machen könnte. Naheliegend sind Trainer oder TV-Experte, Landschaftsgärtner ist aber auch eine davon. Seit über einem halben Jahr besitzt Musche einen Schrebergarten, entspannt dort beim Heckeschneiden.
„Das Gute ist, dass ich mich noch gar nicht festlegen muss“, sagt er. Denn die Annahme, dass er mit der Vertragsunterzeichnung bis 2024 beim SCM einen Rentenvertrag unterschrieben habe, weist er vehement zurück. „Wenn der Vertrag ausläuft, bin ich 32 Jahre alt. Da will ich schon noch ein paar Jahre dranhängen“, stellt er klar. Vielleicht sogar im Ausland. „In der Bundesliga könnte ich es mir nur schwer vorstellen, zu einem anderen Verein zu wechseln. Dafür bin ich zu sehr Magdeburger. Aber für ein, zwei Jahre ins Ausland zu gehen, reizt mich schon.“
Nur beim Land will sich Musche noch nicht festlegen. Dabei spiele eben auch das Finanzielle eine Rolle. „In Dänemark und Frankreich zahlen die Vereine ganz gut. Aber vielleicht ändert sich das in sechs Jahren ja auch und Länder wie Japan sind dann vorn – auch wenn das eher unwahrscheinlich ist. Das soll jetzt aber nicht bedeuten, dass ich nur aufs Geld schaue. Dem ist nicht so. Nur sollten die Einnahmen schon höher als die Ausgaben sein.“
Diese Gedankenspiele liegen allerdings noch in weiter Ferne. Gerade sucht er nach einem Grundstück in Ost-Elbien, dort will er einen Bungalow bauen. Zumindest zwei Gründe für das eingeschossige Haus liegen nahe: „Das ist altersgerecht“, sagt Musche, „und wenn mal Kinder da sind, können sie schon nicht die Treppe hinunterfallen.“ Dann fügt er noch an: „Und unser Hund Moritz kann keine Treppen steigen. Er hat einfach Angst davor. Deshalb muss ich ihn immer tragen.“
Mit dem Hausbau würde aber nicht nur für Moritz ein Traum in Erfüllung gehen, sondern auch sein Herrchen stünde ein Stück weit mehr auf eigenen Beinen – mit etwas Abstand zur Familie. „Dann bin ich immerhin rund 20 Minuten von meinen Eltern weg“, scherzt Musche und lacht. Zurzeit wohnt er in einem Mehrgenerationenhaus zusammen mit seiner Oma und der Familie seiner Schwester. Vor wenigen Wochen ist er zudem Onkel geworden. „Das ist also schon ein großer Schritt für mich“, sagt er.
Ein großer Schritt wäre für ihn auch die Teilnahme an der Heim-WM. Die Vorrunde der Deutschen in Berlin ist von Magdeburg nur einen Katzensprung entfernt. „Besser wäre es, wenn wir in der Getec-Arena spielen würden“, merkt Musche verschmitzt an. Mitunter wohl deshalb, weil er dann auch vor den Partien mit dem DHB-Team in Westerhüsen essen könnte.