Jubiläum Helmut Kurrat wird 60
OSP-Chef Helmut Kurrat hat in Sachsen-Anhalts Sport viele Spuren hinterlassen. Privat erlebte er einen schweren Schicksalsschlag.
Magdeburg l Irgendwann in den kommenden Jahren wird Helmut Kurrat ein Buch schreiben. Darin möchte er die Geschichte einer Handball-Mannschaft erzählen, die Geschichte des Jahrgangs 1988 des Fermersleber SV. Klingt nicht wie ein Bestseller. Doch es ist für Helmut Kurrat, der am Mittwoch seinen 60. Geburtstag feiert, auch eine ganz persönliche Geschichte. Denn auf gewisse Weise steht diese Mannschaft geradezu beispielhaft für ihn – als Sportler und als Mensch.
Der Name Kurrat ist in Sachsen-Anhalts Sport wie ein Markenname. Nimmt man die gesamte Familie von Helmut und seiner Frau Dagmar zusammen, so kommt man auf elf Athleten, die ihre Spuren hinterlassen haben. Etwa Helmut und seine Söhne Michael und Tim im Handball. Oder seine Frau und Tochter Manuela in der Leichtathletik. Aber die Familie brachte auch Schwimmer, Rettungsschwimmer oder Basketballer hervor.
Helmut Kurrat war der erfolgreichste von allen. Meister, Pokalsieger, Europacupsieger 1981 mit dem SC Magdeburg. Später war er ein erfolgreicher Trainer. Und seit zehn Jahren ist er Leiter des Olympiastützpunktes (OSP) und damit der wichtigste Leistungssportfunktionär im Land.
Kurrats 60. Geburtstag heute wird ein Tag, um zurückzublicken. Der OSP hat eingeladen. „Wir können wirklich froh sein, einen Mann wie Helmut Kurrat zu haben“, sagt Andreas Silbersack, der Chef des Landessportbundes. „Sein enormes Engagement und seine herausragende Expertise sind ein echter Glücksfall für uns.“ Und dann schiebt er noch einen ganz persönlichen Satz hinterher: „Für mich ist Helmut Kurrat ein Mensch, den man am besten so beschreibt: harte Schale, weicher Kern.“
Es ist ein Prädikat, das Kurrat wohl selbst unterschreiben würde. „Ich ecke durchaus an“, sagt er über sich selbst. Denn als Funktionär geht er auch gern unbequeme Wege. So kam Kurrat auf die scheinbar krude Idee, die Leichtathletik-Standorte in Magdeburg und Halle für die Sportart Bobfahren, für das Training der Bobanschieber zu öffnen. Trainingsmethodisch schlüssig. Aber: „Ich habe so oft gehört, dass wir doch kein Wintersportland sind“, erinnert sich Kurrat.
Die Anschieber sind heute die größte Medaillenbank des Bundeslandes. Und die meisten Anschieber sind organisiert im Mitteldeutschen SC, in einem Verein, der beispielhaft zeigt, dass der unbequeme Weg eben auch erfolgreich sein kann.
Kurrat unterstützt den MSC aus voller Überzeugung. Und es wäre zu einfach, das darauf zu reduzieren, dass MSC-Vereinschef Hans-Ullrich Riecke zugleich sein Schwager ist, der Bruder seiner Frau Dagmar; dass MSC-Vorzeige-Leichtathletin Lea-Jasmin Riecke seine Nichte ist. Es geht um Grundsätzliches. Kurrat hält nichts davon, den großen Leistungssportvereinen im Land Alleinvertretungsansprüche als Stützpunkte zuzugestehen. Konkurrenz belebt das Geschäft. „Es darf doch nicht um Vereine gehen, im Mittelpunkt muss immer die individuelle Förderung der Sportler stehen.“
Es ist ein Satz, den Kurrat nicht einfach dahersagt. Es ist tatsächlich ein Leitspruch für ihn. Und wer das verstehen will, der sollte eben die Geschichte jener Handball-Mannschaft des Fermersleber SV kennen.
Anfang der 90er Jahre kümmert sich Helmut Kurrat als Landestrainer um den Handball-Nachwuchs von Sachsen-Anhalt, zugleich trainiert er die Herren des FSV, die es damals bis in die zweite Liga schaffen. Später wird er auch noch Junioren-Nationaltrainer, führt den Jahrgang 1984 mit Spielern wie Silvio Heinevetter zu Silber bei der Junioren-EM. „Irgendwann“, so erinnert sich Kurrat, „kam dann meine Frau zu mir und meinte, ich würde mich um so viele Mannschaften kümmern, ich solle doch auch mal etwas für die Mannschaft von Michael tun.“
Michael ist Kurrats älterer Sohn. Eines dieser riesigen Talente im Jahrgang 1988 des Fermersleber SV. Helmut Kurrat übernimmt die Jungs als D-Junioren. Spieler wie Steffen Coßbau, der später Junioren-Weltmeister und Bundesliga-Spieler werden soll. Und er formt den Jahrgang zu einer der besten Nachwuchsmannschaften der Republik.
Was freilich nicht ohne Reibungspunkte mit dem großen Nachbarn abgeht. Mit dem SCM, dessen Selbstverständnis als führendes Leistungszentrum herausgefordert ist. Im Jahr 2002 bilden im 88er Jahrgang zehn Spieler des FSV das Gerüst der Landesauswahl, der SCM stellt nur einen Spieler. Doch es kommt der Tag, an dem sich alles ändert. Die Geschichte dieser Mannschaft. Das Leben ihres Trainers. Der 1. September 2004. Es ist der Tag, an dem Michael Kurrat bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. „Ich habe mich danach komplett zurückgezogen“, erzählt Helmut Kurrat. „Ich konnte nicht mehr in die Halle, nicht mehr in die Kabine.“
Wenn Helmut Kurrat über den Verlust seines Sohnes spricht, werden seine Augen glasig. Die großen Wunden mögen vernarben, aber sie heilen nie. Trotzdem bittet Kurrat sogar darum, dass in einer Geschichte über ihn sein Sohn einen Platz bekommt. „Es ist ein Teil meines Lebens, wenn auch der schmerzhafteste.“ Und deshalb erzählt er darüber. Zum Beispiel, wie er kurz vor dem Unfall über seine Drähte im DHB erfahren hatte, dass sein Sohn zur Junioren-Nationalmannschaft eingeladen werden würde. „Es sollte noch geheim bleiben, wir sollten es Michael noch nicht sagen“, erinnert sich Helmut Kurrat. „Aber meine Frau hat es ihm dann doch erzählt. Und heute bin ich sehr froh, dass er es damals noch erfahren hat.“
Der Weg zurück ins Leben, zurück in den Sport braucht seine Zeit. Doch Helmut Kurrat kommt wieder, wird später Jugendkoordinator beim SC Magdeburg, trainiert in der Saison 2007/08 interimsweise die Bundesliga-Mannschaft – gemeinsam mit Vereinsikone Stefan Kretzschmar. 2009 folgt der Wechsel in die Sportpolitik, zum OSP, den er bis heute leitet.
Den Olympiastützpunkt entwickelt Helmut Kurrat zu einem zentralen Dienstleister für den Leistungssport. Der OSP beschäftigt heute Trainingswissenschaftler, stellt diese für die Sportarten ab, er hat eine medizinische Abteilung aufgebaut, eine kleine Leistungsdiagnostik. Und oft unterschätzt: Der OSP betreibt die Laufbahnberatung für die Athleten, die sich neben dem Leistungssport ja auch um ihre Ausbildung kümmern müssen. „Es gab einige schwierigere Fälle, aber wir haben in den letzten Jahren alle im Beruf unterbekommen“, sagt Kurrat stolz.
Kurrat sieht den OSP trotzdem noch in der Entwicklung. Er träumt von einem Neubau, um die wissenschaftliche Unterstützung des Leistungssports noch weiter zu verbessern. Es gibt, davon ist Helmut Kurrat überzeugt, noch ganz große Potenziale in Sachsen-Anhalt.
Und weil es die zu heben gilt, muss auch das Buch über seine FSV-Jungs noch ein bisschen warten. Etwa die Geschichte von Steffen Coßbau, der 2007 Bundesliga-Spieler wurde – beim SCM unter Kurrat. „Ich glaube“, sagt Helmut Kurrat, „dass es das so nie gegeben hat, dass Spieler von den D-Junioren bis hinein in die Bundesliga nur einen Trainer hatten.“
Irgendwann also in den kommenden Jahren wird Helmut Kurrat dieses Buch schreiben. Die Geschichte einer Handball-Mannschaft, die auch seine ganz persönliche Geschichte ist.