Kanu Hummelt paddelt auf der Abschiedstour
Seit mehr als 40 Jahren ist Detlef Hummelt Trainer beim SCM. Seinen ersten Olympiastarter führte er 1996 nach Atlanta.
Magdeburg l Detlef Hummelt hat es eilig. Das Gespräch hat lange gedauert, vor der Bootshalle warten Felix Gebhardt und Justus Landt aus seiner Trainingsgruppe auf ihren Einsatz. Es ist kalt, und es ist windig. Und Hummelt ist noch nicht umgezogen. Er verschwindet also im Bürocontainer an der Magdeburger Zollelbe, holt Mütze, Schal und eine dicke Jacke. Er steigt ins Boot. Und nach dem x-ten Anlauf, den Motor anzulassen, dröhnt dieser röhrend auf. „Der ist eine Weile nicht mehr gelaufen“, sagt Hummelt, noch braun gebrannt vom jüngsten dreiwöchigen Trainingslager in Portugal. Nun läuft er aber, das Training kann beginnen.
Seit mehr als 40 Jahren begleitet er auf diese Weise Paddler des SCM über die Elbe, seit 29 Jahren ist er zudem in allen möglichen Funktionen beim Deutschen Kanuverband (DKV) unterwegs, derzeit als leitender Bundestrainer Nachwuchs. Aber der 64-Jährige hat sich nun auf Abschiedstour begeben. In der Vorbereitung auf seine letzten Olympischen Spiele, die in Tokio (Japan/24. Juli bis 9. August) ausgetragen werden.
Der erste Schützling, den Hummelt für Sommerspiele in Form brachte, hieß Patrick Schulze. Der damals 23-Jährige fuhr in Atlanta 1996 im Canadier-Einer über 1000 Meter auf Rang vier. Persönlich anwesend als Trainer bei Olympia war Hummelt 2004 in Athen. Spürt solch ein erfahrener Coach denn überhaupt noch so etwas wie Anspannung? „Die Anspannung ist ziemlich groß“, sagt Hummelt sogar. „Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, die Magdeburger auf ihre Chance für einen Start in Tokio vorzubereiten.“ Die Canadier-Fahrer Yul Oeltze und Michael Müller nämlich.
Oeltzes Chance ist sehr realistisch, Müllers Chance sehr theoretisch. Und trotzdem wollen es Athlet und Trainer angehen. „Von den Trainingsleistungen her zählt Michael Müller zu den besten Kanuten in Deutschland. Sein Problem ist nur, dass er diese Leistungen nicht in einem Wettkampf abrufen kann“, berichtet Hummelt. Das soll sich in diesem Jahr ändern. Darüber haben sie gesprochen.
Hummelt bevorzugt das Einzelgespräch. Mit jedem seiner Schützlinge „habe ich mich irgendwo in Magdeburg zum Essen getroffen, und wir haben über den Plan für die neue Saison gesprochen“.
Bei Oeltze ist es klar: „Er ist für die Olympia-Qualifikation im Zweier mit Peter Kretschmer gesetzt.“ Was heißt: Das Duo, Weltmeister von 2017 und 2018 und Vierter von 2019 über die olympischen 1000 Meter, muss sich mit einem Zweier, der sich bei der nationalen Rangliste im April in Duisburg durchgesetzt hat, beim ersten Weltcup in Poznan (Polen) um den Start in Tokio streiten.
Für Müller gilt bei der Rangliste: „Sein Ziel muss es sein, bester Paddler auf der rechten Schlagseite zu werden“, betont Hummelt. Und ergänzt seine Vermutung, dass der Potsdamer Sebastian Brendel als Linksfahrer den 26-jährigen Müller wohl in seinen C2 holen würde – sollte Brendel wiederum als wenigstens Viertbester auf seiner Seite abschneiden.
Für „Kowalle“, wie Müller genannt wird, ist es das Jahr der letzten großen Chance. Entweder Olympia-Start oder Teilnahme an der Weltmeisterschaft in den nichtolympischen Disziplinen im Juli in Szeged (Ungarn). Letztere sollte in jedem Fall sein Ziel sein. Dass er sich nun ausgerechnet mit Teamgefährte Oeltze auf dem Weg nach Tokio auseinandersetzen muss, „macht die Situation etwas kompliziert“, sagt Hummelt mit einem Lächeln. „Aber deshalb sind beide nicht verfeindet, sie gehen professionell damit um.“ Und sie trainieren dafür zusammen auf der Elbe und in den DKV-Lehrgängen wie in Florida (USA). Von dort sind sie gestern zurückgekehrt.
Hummelt allein hat die Vorbereitung nämlich nicht in der Hand. „Sie trainieren zwölf Wochen hier, in den anderen Wochen in den Verbandslehrgängen“, erklärt er. „Am liebsten würde man seine Athleten natürlich selbst trainieren, aber zum einen kenne ich die DKV-Übungsleiter und ihre Philsophie und wir stehen im Kontakt. Zum anderen sind die Bedingungen in Florida zu dieser Jahreszeit besser als das Schmuddelwetter in Magdeburg.“ Und Hummelt kann über die bisherige Vorbereitung sagen: „Alles läuft optimal.“ Das ist es im vergangenen Jahr nicht.
Nicht für Müller, der bei der Rangliste Nerven gezeigt hatte und dennoch für die WM in Szeged im C1 über die nicht-olympischen 200 Meter starten durfte. „Eigentlich ist ,Kowalle‘ kein Sprinter, deshalb hat er sich in Szeged mit seinem 14. Platz achtbar aus der Affäre gezogen“, betont Hummelt. Nicht so Oeltze, der mit Kretschmer seinen dritten WM-Sieg in Serie angepeilt hatte – und am Ende eben Rang vier belegte.
„So, wie sein Ergebnis danach von außen interpretiert wurde, fand ich es nicht fair. Yul hat in der vergangenen Saison nicht besser und nicht schlechter als in den Jahren zuvor trainiert, es gab andere Dinge, die das Ergebnis vielleicht negativ beeinflusst haben“, erinnert sich der Coach, ohne die Dinge konkret anzusprechen. Hummelt ergänzt: „Ich habe Yuls vierten Platz auch nicht gefeiert, er selbst und ich hatten uns mehr erwartet. Aber Rang vier war auch keine Enttäuschung für mich, eine Enttäuschung wäre es gewesen, wenn sie den Quotenplatz für Olympia nicht geschafft hätten.“ Haben sie aber, und deshalb hat nun auch Müller die Chance auf Tokio.
Hummelt hat auch mit Oeltze das vergangenen Jahr ausgewertet. Sie haben nun „das Training qualitativ verbessert und die Umfänge gesteigert“. Bei allen bisherigen Tests seit dem Vorbereitungbeginn hat der 26-Jährige überzeugt. Und genauso überzeugt ist letztlich auch Detlef Hummelt von seinen Schützlingen.
Man kann hören, wie sehr das Herz für seine Athleten schlägt. Aber für Wehmut auf seiner Abschiedstour hat Hummelt gar keine Zeit. Die hatte er auch nicht fürs Heiraten, berichtet er lachend. Vor 15 Jahren hat er Petra das Ja-Wort gegeben. Hummelt hat einen Sohn Yves (30), er hat eine Enkeltochter Esmée (7). „Ein schmuckes Mädchen“, meint der Opa stolz.
Und irgendwann, wenn er im Mai 2021 seinen Nachfolger als Bundestrainer eingearbeitet hat und er in die wohlverdiente Rente gegangen ist, dann wird er für alle auch mehr Zeit haben. Eine Aussicht, die sogar die Anspannung mit Blick auf Tokio etwas mildert. Denn Hummelt sagt: „Danach weiß ich: Jetzt bin ich durch.“