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Sommerspiele in Tokio Isabel Gose und Lukas Märtens: Die Stunde der Debütanten

Isabel Gose und Lukas Märtens geben in Tokio ihr Olympia-Debüt. Als Schwimmer des SC Magdeburg, als Paar. Ihr gemeinsames Ziel: ein Finale.

Von Daniel Hübner Aktualisiert: 23.07.2021, 14:34
Lukas Märtens und Isa Gose.
Lukas Märtens und Isa Gose. Foto: Jo Kleindl

Tokio/Magdeburg - Isabel Gose und Lukas Märtens sind gestern aus dem Trainingslager in Kumamoto nach Tokio gereist, haben sich in ihrem jeweiligen Zimmer im Olympischen Dorf eingerichtet – und blicken nun ihren Starts im Tokyo Aquatics Centre entgegen. Sie sind die ersten Athleten des SC Magdeburg, die sich in die Fluten des Beckens stürzen. Und sie wollen nicht als Letzte rauskommen. Gose und Märtens, auch privat ein Paar, wollen vielmehr ein Finale erreichen. Und dazu haben beide viele Chancen – präzise: jeweils vier.

Isabel Gose

„Yoi tsuitachi“ ist japanisch und heißt: Guten Tag! Ob sich Isabel Gose diese Begrüßungsformel im Land der aufgehenden Sonne merken kann, kann sie nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen, aber sie kann sagen, dass mit jedem Tag, an dem sie ihren ersten Olympischen Spielen in Tokio näherkommt, ihre „schöne Anspannung steigt“. Ein bisschen Lampenfieber darf es sein bei der 19-Jährigen. Aber vor allem darf sie ihre Premiere, die sie mit ihrem ersten Start über die 400 Meter Freistil am 25. Juli ab 13.39 Uhr mitteleuropäischer Zeit gibt, in jeglicher Hinsicht genießen: jeden Herzschlag auf dem Startblock, jeden Armzug und Beinschlag im Becken, jeden Anschlag an der Zielkachel. Und was soll letztlich dabei herauskommen? „Ich möchte das Gefühl haben, wirklich mein Bestes gegeben zu haben“, sagt sie.

Mit den eigenen Erwartungen ist es ja so eine Sache. „Als Sportlerin an sich Erwartungen zu stellen, finde ich schwierig, weil man sich selbst nicht unter Druck setzen möchte“, sagt sie. Erst recht nicht zu den ersten Spielen ihrer noch jungen Karriere. „Der Druck kommt automatisch.“ Aber gut, es gibt Wünsche, es gibt Träume, es gibt Ziele: „Es wäre natürlich schön, wenn ich das Finale in der Staffel und in einem Einzelwettbewerb erreichen könnte“, erklärt Gose. Sie hat ja durchaus Chancen, viele Chancen, sogar sehr viele Chancen.

Ihr Programm deutet nämlich auf eine anstrengende Zeit im Tokyo Aquatics Centre hin. Gose startet über 200, 400, 800 und 4x200 Meter Freistil. „Grundsätzlich bin ich es gewohnt, viele Strecken bei einer Veranstaltung zu schwimmen“, sagt Gose. „Bernd hätte mich nicht für alle Starts gemeldet, wenn er mir das nicht zutrauen würde, wenn er kein Vertrauen hätte“, betont der Schützling von Trainer Bernd Berkhahn. Der 50-Jährige bestätigt seine Athletin und ergänzt: „Ich denke, dass häufige Starts für sie positiv sind, sie bleibt fokussiert im Wettkampf.“ Aber noch wichtiger ist: „Ich selbst traue es mir zu“, betont Isabel Gose.

Für mich sind Katie Ledecky und Ariarne Titmus unschlagbar.

Isabel Gose

Dieses Vertrauen hat sie sich im Laufe der vergangenen 14 Monate, seit ihrem Wechsel aus Heidelberg nach Magdeburg, erarbeitet. Hart erarbeitet. „Ich habe mich in jedem Fall in der Grundlagen-Ausdauer verbessert, bin athletisch viel stärker geworden“, berichtet sie. Auch technisch haben Berkhahn und Gose einiges verändert, was grundsätzlich gut funktioniert.

„Aber gerade wenn das Rennen schnell wird, fehlt mir noch die Routine, die Technik auch umzusetzen“, erklärt die Osterburgerin. Die Routine wird kommen, selbst „wenn ich dafür noch ein oder zwei Jahre benötige“. Jetzt kommen die Spiele. Und da schwimmt ganz viel Routine in der Konkurrenz mit: „Für mich sind Katie Ledecky und Ariarne Titmus unschlagbar“, sagt sie mit Verweis auf die Zeiten der US-Amerikanerin und der Australierin, die zumindest auf dem Papier dem Rest der Welt einiges voraus sind. Und zwar über alle Strecken, über die auch Gose startet.

Zum Beispiel über die 400 Meter: Titmus führt das Jahresranking mit 3:56,90 Minuten an. Ledecky folgt mit 3:59,25 Minuten. Dahinter tummelt sich ab Rang drei mit Li Bingjie (China/4:02,36) die weitere Weltspitze innerhalb von vier Sekunden in der Liste. Und Isabel Gose folgt mit 4:05,15 Minuten, ihrer persönlichen Bestzeit aus dem April, auf Rang elf. Nichts ist in Tokio deshalb vorhersehbar, vieles wird über die Tagesform entschieden.

Sicher ist: Isabel Gose wird in Hochform nach Japan reisen, sie wird in Hochform starten. Und sie möchte mit vielen Erfahrungen nach ihrem letzten Rennen – vielleicht ist es das Finale über 800 Meter Freistil am 31. Juli – und mit einem zufriedenen Lächeln sagen können: „Sayonara“. Das ist japanisch und heißt: Auf Wiedersehen!

Lukas Märtens

Lukas Märtens hat im Vorfeld der Spiele nicht verraten, ob diese Bilder einem van Gogh, einem Rembrandt oder einem Matisse gleichen. Und wenn er über seine Bilder im Kopf gesprochen hat, dann hat das sogar recht nüchtern geklungen: Er sah nämlich Hochhäuser, er sah einen Park, er sah einen strahlend blauen Himmel, er sah eben Tokio und ein olympisches Dorf, wie es wohl aus dem Lehrbuch über olympische Dörfer nachgezeichnet wurde. So ließ er seiner Fantasie freien Lauf. Viele Läufe durch das Tokyo Aquatics Centre werden mit seinem ersten Start am 24. Juli über die 400 Meter Freistil ab 12.48 Uhr mitteleuropäischer Zeit folgen.

Die Zeit ist also gekommen für Märtens, diesen unbeschwerten 19-Jährigen, der soeben sein Abitur mit der Note 2,7 abgelegt hat, der sich nicht darum sorgt, in Tokio über die 200, 400, 1500 Meter und in der langen Freistilstaffel an den Start zu gehen. „Je mehr Rennen ich habe, desto besser läuft es auch für mich“, ist er sich aus Erfahrung sicher. „Und Bernd hat mir in jeder Einheit gesagt, dass ich das schaffen werde“, berichtet Märtens über den Zuspruch von Coach Berkhahn.

Märtens will dabei versuchen, eines seiner wenigen Defizite besser in den Griff zu bekommen, als er es in der Vergangenheit in den Griff bekommen hat. „Er hat viele Möglichkeiten, seinen Startsprung in Tokio zu üben“, hat Berkhahn mit einem Augenzwinkern erklärt. Jener Trainer, der den Startsprung durchaus schon mit der berüchtigten „Arschbombe“ verglichen hat, wie Märtens lächelnd berichtet. Tatsächlich sprang er in der Vergangenheit vom Block zu weit nach oben statt weit nach vorne ab. „Das sieht dann immer so aus, als würde ich ins Becken reinfallen.“

Ich kann mich in jedem Endspurt steigern.

Lukas Märtens

Das andere kleine Defizit war die Wende, man fragt sich heute noch, wie er bei der Olympia-Qualifikation eine neue Bestzeit von 3:44,86 Minuten über 400 Meter aufstellen konnte. Im April in Berlin war er dort vor allem beim letzten Richtungswechsel kurzzeitig und quasi stehengeblieben. Aber nun: Es zeugt von einer großen Geschwindigkeit, dass er dennoch zu jener Leistung imstande war. Und das ist wiederum die große Stärke des Lukas Märtens. Zudem: „Wir haben nach dem Höhentrainingslager in der Sierra Nevada noch zwei Wochen in Andorra trainiert, dort gab es nur ein 25-Meter-Becken, da konnte ich die Wenden gut üben“, erklärt er über den letzten längeren Trainingsaufenthalt in Europa, bevor es nach einer Woche im heimischen Magdeburg weiter nach Kumamoto in Japan ging.

Es lohnt sich gar nicht, bei Lukas Märtens einen Vergleich mit der internationalen Konkurrenz anzustreben. Wenngleich eine Platzierung im Jahresranking der Welt hervorsticht: Fünfter Rang über 1500 Meter mit 14:49,26 Minuten. Über Platzierungen denkt Märtens nicht nach. „Ich würde mir wünschen, vielleicht ein Finale zu erreichen, ich möchte auf jeden Fall Bestzeiten schwimmen“, sagt er stattdessen. Das wäre viel. Aber dafür hat er auch viel getan. „Ich habe in jedem Fall meine Grundlagen-Ausdauer verbessert, weshalb ich mich in jedem Endspurt steigern kann.“ Und er hat vor allem eines geschafft, was ihm in der Vergangenheit oft genug nicht gelungen ist: „Ich hatte nur sehr wenige krankheitsbedingte Ausfälle.“

Viel Zeit, um neue und gemeinsame Interessen mit seiner Freundin zu entdecken, ist ihm dennoch nicht geblieben. Nicht mal im anstrengenden Corona-Jahr, in dem es beinahe monoton die Trainingsbahn hoch und runter ging, in dem sich die Athleten nur bei wenigen Wettbewerben präsentieren konnten. Aber Isabel und er werden sich „nach Olympia Zeit dafür nehmen“, verspricht Märtens. Wenn sie wieder entspannt sind, wenn sie regeneriert haben. Bilder vom Urlaub schwirren ihm natürlich noch nicht durch den Kopf. Zunächst malt er sich die Olympischen Spiele – live und in Farbe. Es muss auch kein van Gogh oder Rembrandt oder Matisse sein. Ein schöner Märtens reicht voll und ganz.