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Olympische Spiele in Paris Lukas Märtens vom SCM: Der König von Paris

Lukas Märtens gewinnt als erster Deutscher seit 36 Jahren Gold bei Olympia. Und hat noch eine weitere Chance auf eine Medaille.

Von Daniel Hübner Aktualisiert: 31.07.2024, 01:18
Lukas Märten feiert sein erstes Olympia-Gold.
Lukas Märten feiert sein erstes Olympia-Gold. Sven Hoppe/dpa

Paris - In der Dunkelheit und der Stille der La Defense Arena lässt eine Dame ihre Finger über die Saiten einer Harfe gleiten. Diese leisen Töne schleichen sich in die Ohren eines jeden Zuhörers in der mit 17.000 Menschen besetzten Arena. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm wird in diesem Moment neu definiert. Sie lässt womöglich auch Lukas Märtens in den Katakomben noch einmal in sich gehen. Bis er an diesem Abend des 27. Juli 2024 die Olympia-Bühne von Paris betritt. Bis er selbst zum Sturm bläst.

Auf der Tribüne sitzen nicht nur seine Schwester Leonie und die Clubgefährten, dort sitzen auch seine Mama Anja, sein Onkel Thomas Flößel und mit Familie Schatz seine ersten Sponsoren überhaupt, die ihm die ersten Rennhosen und Schwimmbrillen spendeten und die ihm bis heute die Treue halten. Mama Anja hält die Deutschlandfahne in die Hallenluft, Onkel Thomas winkt mit der Flagge des 1. FC Magdeburg. Und sie hoffen und bangen gemeinsam 400 Meter weit und 3:41,78 Minuten lang, bis der emotionale Höhepunkt erreicht ist. Denn Lukas Märtens vom SCM ist der König von Paris. Er ist Olympiasieger. Für immer.

Die Tränen kommen bei der Siegerehrung

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Frau Märtens am Morgen danach. Noch mit heiserer Stimme. Mit akutem Schlafentzug. Aber mit der ersten Tasse Kaffee in der Hand. „Es ist einfach unfassbar.“ Dabei waren es sie und Papa Henning, die ihre Kinder darauf vorbereitet haben, sich im Leben durchzusetzen und in „den schwierigen Momenten stark zu bleiben“, berichtete die ehemalige Leistungssportlerin, der eine Karriere als Fechterin verletzungsbedingt verwehrt blieb.

Nicht nur für die Frau Mama war dieser Sieg unfassbar. Für den Sohn ebenso, der nach dem Zielanschlag vor Elijah Winnington (Australien) und Woomin Kim (Südkorea) im Becken zunächst still verharrte und dann kurz jubelte, der für seine Tränen erst bei der Siegerehrung und während der Nationalhymne alle Schleusen öffnete. Märtens rekonstruierte seinen ersten Gedanken so: „Ich habe auf die Anzeigetafel geschaut und gedacht, das kann nicht wahr sein. Nicht nach dieser Saison.“

Er hatte es einfach nicht verstanden, warum ihm das immer passiert.

Anja Märtens über die Rückschläge ihres Sohnes

Einer Saison mit vielen Leiden. Einer Saison mit wochenlangen, ja monatelangen Trainingsausfällen. Aufgrund einer Nasennebenhöhlen-Entzündung, aufgrund einer Corona-Infektion. „Er hat oft gezweifelt, warum es ihn trotz gesunder Ernährung immer so heftig erwischt. Er hatte es einfach nicht verstanden, warum ihm das immer passiert“, berichtete Anja Märtens. „Aber man hat auch gemerkt: Im Kopf hat er nie aufgegeben.“

Und er hatte eine Sicherheit: „Sein Erfolg basiert auf den Grundlagen, die er sich im vergangenen Olympia-Zyklus erarbeitet hat. Ohne diese Grundlagen hätte er kein Gold gewonnen“, erklärte es sein Trainer Bernd Berkhahn, der ob der Ausfälle den Freistil-Allrounder Märtens zum Sprinter Lukas Märtens umfunktionierte, mehr Intensitäten, weniger Umfänge trainieren ließ. Für Märtens war es die beste Entscheidung seines Lebens. Und die größte Chance.

Nach den zwei, drei Stunden Schlaf habe ich den Tag ganz gut über die Bühne gebracht.

Lukas Märtens vom SCM über seinen Einzug ins 200-Meter-Finale

Anja Märtens hat ihren Kindern außerdem beigebracht, Dinge stets mit ganzem Herzen anzupacken und nie nur mit halber Kraft: „Und sie müssen dann ein Ziel haben.“ Vor 16 Jahren war deshalb natürlich nicht absehbar, dass der kleine Lukas nach erfolgreich absolvierter Seepferdchen-Prüfung in der Olvenstedter Halle eines Tages auch den Olymp besteigen würde. Zumindest hatte ein Trainer namens Ulrich Münch sogleich festgestellt: Der Junge hat Talent.

Vielleicht reicht dieses in Paris, um heute Abend mit einer weiteren Medaille aus dem Becken zu steigen. Denn Märtens ist am Sonntagabend auch ins Montagsfinale über 200 Meter Freistil geschwommen. „Nach den zwei, drei Stunden Schlaf in der letzten Nacht habe ich den Tag gut über die Bühne gebracht“, meinte der 22-Jährige. In jener kurzen Nacht gab es quasi niemanden aus Magdeburg, ob aus der Familie oder dem Freundeskreis, der ihm nicht gratuliert hat zum Gold. Märtens’ Triumph war zugleich der Triumph einer Sportstadt. Einem echten Magdeburger Jung’ ist da Historisches gelungen.

Cool, abgeklärt, souverän.

Weltrekordler Paul Biedermann über den Goldcoup von Lukas Märtens

Erstmals nach 36 Jahren, seit dem 23. September 1988 in Seoul, als Uwe Daßler (DDR) über 400 Meter Freistil zum Sieg anschlug, hat ein deutscher Schwimmer wieder Olympia-Gold über diese Distanz gewonnen. Und erstmals seit 36 Jahren, seit dem 24. September 1988 in Seoul, als Michael Groß (BRD) über 200 Meter Freistil zum Sieg anschlug, hat ein deutscher Schwimmer überhaupt den Olymp bestiegen. Wie Märtens das gemacht hat? „Ich denke, es war ein kontrolliertes und solides Rennen“, sagte er. So hatte es auch Coach Berkhahn gesehen. „Es war relativ emotionslos, cool und souverän. Lukas hat das bestätigt, was er auch schon im Training gezeigt hat: Er hat einfach seine Leistungsfähigkeit abgerufen.“

Dabei waren die „letzten 20 Meter die schwersten und zugleich die schönsten in meiner Karriere“, erklärte Märtens. Der Hallenser Paul Biedermann, der seit 2009 den Weltrekord (3:40,07) über diese Distanz hält, meinte: „Ich bin beeindruckt, wie Lukas dieses olympische Finale geschwommen ist. Cool, abgeklärt und souverän.“ Biedermanns Bestmarke hatte auch Märtens im Blick. Dass er sie am Ende verpasst hat, „das ist mir scheißegal“, sagte er. Bei Olympia ist es noch nie um Zeiten, sondern um die punktuell beste Performance gegangen.

Der Druck war nicht ohne.

Lukas Märtens vom SCM über seine Favoritenrolle

Aber die eigene Bestzeit von 3:40,33 Minuten, mit der er bei den deutschen Meisterschaften im April alle verblüfft hatte, die hatte ihn in den Stand des Goldfavoriten gehoben. In eine völlig neue Rolle also, von der Märtens selbst sagte: „Der Druck war nicht ohne.“ Innerhalb von drei Jahren hat er seine Angst, die ihn 2021 durch das Ringe-Festival in Tokio getragen hatte, besiegt. Mit mentalem Training. Mit Atemübungen. Aber auch mit zwei Bronzemedaillen und einem Silbercoup bei den Weltmeisterschaften seit 2022. Sein Selbstvertrauen? Unerschütterlich.

Mit „Pacific Chill“ zum Sieg

Irgendwann nach seinen Wettbewerben, nach den 200 Metern Freistil und Rücken, nach der langen Freistilstaffel wird er sich nun in ein Pariser Kaufhaus begeben und nach dem richtigen Parfum für die Sommerspiele 2028 suchen. Bei seinem Sieg am Samstagabend umwehte ihn ein Hauch von „Pacific Chill“ von Louis Vuitton. Und irgendwann nach seiner Rückkehr wird er sich mit Jean Hugonet vom FCM treffen müssen.

Als der Club gemeinsam mit der Stadt die Kulturschultüte für Erstklässler herausgegeben hatte, war auch eine Eintrittskarte für den FCM darin zu finden – und fürs Theater. „Aber ins Theater wollte Lukas nicht, deshalb sind wir zum Fußball gegangen. Und seither ist er größter Fan des FCM und versucht, kein Spiel im Stadion zu verpassen. Auch auswärts nicht“, erzählte Anja Märtens.

Die besondere Assoziation

Diese Liebe ist so groß, dass er eine ganz besondere Assoziation zwischen FCM und Paris gefunden hat. „Als die neue Trikot-Kollektion herauskam, hat er sich eines gekauft und es mit Hugonet und der Nummer 24 beflocken lassen.“ Mit dem Namen des Franzosen und dem Jahr seiner zweiten Sommerspiele. Auf diese Idee kommt nur ein echter Fan.

Lukas Märtens sitzt auch nach wie vor am liebsten im Block, unter den Fans – nicht in den VIP-Räumen der Avnet Arena. Er möchte nicht rumgereicht werden, er möchte nur schwimmen oder Fußball schauen. Anja Märtens berichtete: „In unserer kleinen Straße in Diesdorf freuen sie alle, dass Lukas trotz der Erfolge mit ihnen ganz normal umgeht. Dass er einfach bodenständig geblieben ist.“ Lukas Märtens ist zwar der König von Paris, aber er bleibt auch immer ein König wie du und ich.