Handball So denkt Ex-Bundestrainer Dagur Sigurdsson über die EM, die deutschen Chancen und den SC Magdeburg
Dagur Sigurdsson hat die deutschen Handballer 2016 sensationell zum EM-Triumph geführt und coacht seit 2017 das japanische Nationalteam, mit dem er sich im Herbst schon für die Olympischen Spiele qualifizieren konnte. Wie der 50-jährige Isländer über die EM 2024 denkt, was er dem DHB-Team und seinen Landsleuten zutraut, verriet er im Interview mit Volksstimme-Redakteur René Miller.
Magdeburg - Bei der Frage nach dem Europameister-Tipp müssen Sie bestimmt nicht lange überlegen?
Dagur Sigurdsson: „Nein, denn es ist schwer, etwas anderes als Dänemark zu sagen. Wie stark sie sind und was für ein qualitativ großer Kader ihnen zur Verfügung steht, haben sie ja schon bei den letzten Turnieren gezeigt. Auch Frankreich und Schweden gehören zum engeren Favoritenkreis.“
Und Deutschland? Ist eine ähnliche Überraschung wie 2016 drin, als das DHB-Team mit Ihnen als Bundestrainer den Titel holte?
Dagur Sigurdsson: „Wenn die Mannschaft gut in das Turnier kommt und sich in einen Flow spielt, ist mit dem Heimvorteil natürlich alles drin. Das Team verfügt über eine gute Abwehr und gute Torhüter. Da ist auch das Halbfinale möglich. Als Nachteil sehe ich aber, dass sie auch aufgrund der verletzungsbedingten Ausfälle als Mannschaft nicht so oft zusammengespielt haben und dadurch Erfahrung fehlt.“
Beim Triumph 2016 waren aber auch viele unerfahrene Spieler dabei, die vorher noch nicht so viele Länderspiele bestritten hatten …
Dagur Sigurdsson: „Die Anzahl der Länderspiele meine ich bei Erfahrung nicht. Denn wenn man in der Bundesliga spielt, sammelt man genug Erfahrung. Das ist nicht das Problem. Ich meine damit, dass die Erfahrung als Mannschaft fehlt. Andere Teams sind besser eingespielt. Und bei einer EM darf man sich keine Ausrutscher erlauben. Da ist eigentlich jedes Spiel ein Finale.“
Zum Auftakt gegen die Schweiz wird der Druck besonders groß sein. Was halten Sie vom Spektakel vor 50.000 Zuschauern, obwohl Handball ja eher von der engen Hallenatmosphäre lebt?
Dagur Sigurdsson: „So ein Auftaktspiel vor so vielen Fans ist eine Riesen-Werbung für unseren Sport. Das hat Wirkung und rückt die EM dadurch noch einmal besonders in den Vordergrund. Da schauen viele Leute drauf. Deshalb ist der Auftakt in Düsseldorf eher eine Symbolsache und soll weniger den Einnahmen dienen.“
Halbleere Hallen sind in Deutschland ja wohl ohnehin nicht zu befürchten. Was erwarten Sie da an Stimmung?
Dagur Sigurdsson: „Die deutschen Fans sind sehr handballbegeistert und haben Lust auf gute Spiele. Deshalb gehe ich von vollen Hallen aus. Weil aus allen Ländern viele Spieler in der Bundesliga aktiv sind, sieht man ja viele bekannte Gesichter. Aber auch aus den anderen Ländern werden viele Fans nach Deutschland kommen – auf jeden Fall sehr viele Isländer nach München.“
Mit Gisli Kristjansson, Omar Ingi Magnusson und Janus Smarason stehen ja gleich drei Magdeburger im isländischen Kader. Was ist Ihrem Heimatland zuzutrauen?
Dagur Sigurdsson: „Island hat einen starken Kader zusammen und kann eine gute Rolle spielen. Die Mischung im Team stimmt und die Leistungsträger sind alle im besten Alter. So eine Generation kommt alle zehn Jahre zusammen. Die Erwartungen in der Heimat sind deshalb sehr hoch.“
Werden Sie bei der EM in Deutschland sein und sich die Spiele anschauen?
Dagur Sigurdsson: „Leider nicht. Ich bin mit Japan bei der Asienmeisterschaft, die fast zeitgleich mit der EM in Bahrain stattfindet.“
Aber die Bundesliga verfolgen Sie doch noch regelmäßig?
Dagur Sigurdsson: „Natürlich! Im Herbst konnte ich als Experte beim Sender Dyn auch ein paar Mal live die Spiele in den Hallen verfolgen. Das tat richtig gut, wieder mal da zu sein und tollen Handball genießen zu können.“
Der ja seit einigen Jahren sehr erfolgreich vom SC Magdeburg gespielt wird. Was sagen Sie zum SCM und dessen Handball-Philosophie?
Dagur Sigurdsson: „Der SCM hat eine super Entwicklung hingelegt. Bennet Wiegert macht da einen sehr guten Job. Die Spieler passen alle gut ins System. Hinzu kommt die große Tradition in Magdeburg und eine super Halle. Was den Spiel-Stil betrifft, setzen ja inzwischen auch andere Teams und Länder auf den schnellen Handball. Aber der SCM macht das am besten. Und das nicht nur beim Tempo, sondern auch mit der Art und Weise, wie die Mannschaft zusammensteht und immer wieder auch die engen Spiele mit einer gewissen Selbstsicherheit gewinnt.“