Snowboarding Weltspitze auf eigene Kosten: Nörl und das Snowboard-Problem
Martin Nörl will der beste Snowboardcrosser der Welt bleiben. Im Sommer zahlt er dafür Tausende Euro für ein Trainingslager aus eigener Tasche. Er ist frustriert - das Problem ist strukturell.
München - Martin Nörl ist der beste Snowboardcrosser der Welt. Zweimal gewann der Sportler aus Niederbayern zuletzt den Gesamtweltcup, im vorigen Winter jubelte er über WM-Silber.
Der Routinier geht als Favorit in die am Wochenende beginnende Saison, Olympia 2026 in Italien peilt er als Fernziel an. Nörls Erfolge beeindrucken vor allem deshalb, weil die Rahmenbedingungen für jemanden wie ihn in Sport-Deutschland weit entfernt sind von Weltklasse. Das erlebte der 30-Jährige in diesem Sommer am eigenen Leib - und im eigenen Portemonnaie.
Um konkurrenzfähig zu bleiben, flog er zusammen mit Teamkollegin Jana Fischer zu einem dreiwöchigen Trainingslager nach Australien. Nörl ahnte, dass die Schneesituation in den Alpen in diesem Herbst kompliziert sein dürfte; also sammelte er am anderen Ende der Welt wichtige Trainingstage. Das war nicht billig. „Der Verband hat mich ein bisschen unterstützt, aber den absolut größten Teil habe ich selbst getragen“, erzählt der Vizeweltmeister.
Nörl und Deutschland im Nachteil
Den genauen Betrag, den er für Hotel und Trainingscamp in Mount Hothem zwischen Melbourne und Sydney aufbringen musste, will Nörl nicht verraten. Mehrere Tausend Euro dürften es gewesen sein, die der Familienvater privat investierte. Oder investieren musste. „Wenn man so etwas nicht macht, dann hat man einen Nachteil gegenüber anderen Nationen“, erklärt der Wintersportler vom DJK-SV Adlkofen in der Nähe von Landshut.
Schon seit Jahren beklagen vor allem kleinere Fachverbände in Deutschland, dass sie finanziell mit anderen Nationen nicht mithalten können. Während Nörl und Fischer auf eigene Faust nach Australien reisten, schickte die Schweiz ein komplettes Team mit acht Athleten, zwei Trainern und zwei Serviceleuten nach Down Under, erinnert sich Nörl.
„Es ist wahnsinnig frustrierend“, resümiert der Sportler. In den vergangenen Jahren habe er noch gehofft, dass mehr Geld rausspringt, wenn er Erfolge einfahre. Die Siege, Medaillen und Kristallkugeln kamen in den vorigen Wintern. „Aber im Moment haben wir Athleten nicht das Gefühl, dass es besser wird.“
Budget seit 2019 gleich
Immerhin die Flüge der zwei Deutschen ans andere Ende der Welt wurden vom Verband übernommen. Stefan Knirsch, der Management- und Finanzdirektor von Snowboard Germany, kann Nörls Frust verstehen. Im jährlichen Ringen mit dem Bundesinnenministerium sei aber nicht mehr rauszuholen, erläutert er im dpa-Gespräch. Das Budget sei seit 2019 auf dem Papier gleichgeblieben - bei der generellen Teuerung komme das aber einer faktischen Budgetkürzung gleich.
Gravierend sei die Situation bei Trainern und Betreuern. „Es kann doch nicht sein, dass unsere Trainerinnen und Trainer seit drei Jahren keine Gehaltserhöhungen mehr bekommen“, klagte Snowboard-Germany-Präsident Hanns Michael Hölz jüngst. „Ihr müsst euch mal vorstellen, was das im Hinblick auf die Inflation bedeutet!“
Finanzdirektor Knirsch berichtet, dass wegen dieser Entwicklung bereits zwei Trainer vor der Saison 2022/23 in die Schweiz wechselten, wo mehr bezahlt wird. Das sei menschlich jeweils verständlich, für den Sportstandort Deutschland aber „natürlich übel“. Der Verband wolle „den besten Athleten das bestmögliche Setup“ zur Verfügung stellen. Zugleich solle aber auch die Nachwuchsförderung nicht leiden. „Um das Optimale zu schaffen, fehlt das Geld“, resümiert Knirsch. Und das bei einem Verband, der in den vergangenen drei Wintern 16 Weltcup-Siege und vier WM-Medaillen inklusive einmal Gold bejubeln konnte.
„Kampf mit ungleichen Mitteln“
Auch Martin Nörl sieht im internationalen Vergleich einen „Kampf mit ungleichen Mitteln“ und ein strukturelles Problem im deutschen Sport. „Man will zwar überall Weltspitze sein, aber dafür nicht die notwendigen Mittel bereitstellen.“
Über seine Reise nach Australien habe er lange gegrübelt. „Bis vor Kurzem war ich Alleinverdiener, meine Frau war zu Hause und hat auf zwei Kinder aufgepasst. Da sitzt die Kohle natürlich auch nicht so locker. Da muss man sich schon zusammensetzen und gucken, ob man das macht“, schildert der Sportsoldat. „Und dann sind natürlich andere Sachen auch gestrichen.“
Mit einem Lächeln schickt der Snowboarder hinterher, dass seine kleinen Töchter natürlich dennoch nicht auf Spielzeug verzichten müssen. Er selbst will mit Preisgeldern etwas von den Australien-Reisekosten wieder reinholen. Beim Weltcup-Start von Freitag bis Sonntag in Les Deux Alpes (Frankreich) kann er damit noch pünktlich vor Weihnachten anfangen.