Handwerk in Sachsen-Anhalt Nach 90 Jahren: Bäckerei Klinger in Kemberg schließt - Das sind die Gründe
90 Jahre Tradition enden: Die letzte Handwerksbäckerei in Kemberg macht dicht. Steigende Rohstoffpreise und fehlender Nachwuchs erschweren Axel Klinger die Arbeit. Ein Abschied.
Kemberg/MZ. - Die Arbeit ist routiniert, die Abläufe sind eingespielt – doch dieses Mal fühlt es sich für den Bäckermeister anders an. Die Tage der Kemberger Bäckerei und Konditorei Klinger sind gezählt.
Es ist noch dunkel draußen, als Axel Klinger in seiner Backstube die ersten Bleche vorbereitet. Der Duft von frischen Weihnachtsstollen erfüllt den Raum, der Ofen brummt gleichmäßig. Seit drei Uhr morgens steht der 69-Jährige an den Backtischen, knetet Teig, füllt Speckkuchen, formt süßes Gebäck. Wie so oft in den vergangenen Jahren beginnt der Tag für ihn und seine Frau Petra früh.
Nach mehr als drei Jahrzehnten wird die Bäckerei in der ersten Januarwoche endgültig schließen. „Wir mussten diese Entscheidung treffen. Es geht einfach nicht mehr“, sagt Klinger. Die Worte fallen dem Kemberger schwer. Den Abschied will er gedanklich nicht an sich heranlassen.
„Die Rohstoffpreise sind stark gestiegen“, benennt Klinger einen Grund für Schließung. Für Butter, Mehl und Zucker zahlt er ungefähr 46 Prozent mehr als noch im Jahr 2020. Und auch die Industriebäcker würden die kleinen Handwerksbetriebe zunehmend unter Druck setzen. Eine entscheidende Rolle, einen Schlussstrich zu ziehen, spielt auch das Alter. Die Eheleute haben das Rentenalter erreicht. Die Arbeit – ein Knochenjob. Klinger: „Wir müssen dann erstmal lernen, wie man richtig schläft.“ Bisher war 18 Uhr Schlafenszeit; der Wecker meldete sich halb drei.
Bäckerei in dritter Generation
Die Geschichte der kleinen Bäckerei Klinger beginnt im Jahr 1930, als Klingers Großvater den Betrieb in Kemberg neben der Stadtkirche gründete. Damals erwarb er das heutige Gebäude, nachdem er zuvor kurze Zeit eine Bäckerei in Seegrehna betrieben hatte.
In den schwierigen Jahren des Zweiten Weltkriegs hielt die Familie zusammen: Axel Klingers Vater, ein gelernter Autoelektriker, der nach der Umsiedlung aus dem Sudetenland in Kemberg sesshaft wurde, unterstützte die Backstube. „Damals brachten die Kunden sogar ihren eigenen Teig, weil die Bäcker kein Mehl hatten“, erzählt der Bäckermeister. „Das war normal, heute kaum vorstellbar.“ Im Jahr 1952 übernahm sein Vater die Bäckerei und führte sie etliche Jahre durch die Nachkriegszeit. Doch in den 1990er-Jahren, nach der Wende, musste die Bäckerei schließen – die erste von vielen in der Region. Ein Jahr lang war der Laden verwaist, bevor Axel Klinger und seine Frau Petra ihn wieder eröffneten. „Wir wollten es probieren“, erinnert sich seine Frau, die damals als Quereinsteigerin in das Handwerk einstieg. „Ich hatte das Bäckerhandwerk nicht gelernt, aber Axel hat als Konditor so viel Erfahrung mitgebracht, dass wir zusammen ein gutes Team wurden.“ Gelernt hatte der Kemberger damals bei der Wittenberger Bäckerei „Jäger“, seine Ausbildung schloss er im Bauhaus Dessau ab. Das Paar baute die Bäckerei wieder auf – mit frischen Ideen und viel Engagement. Das Geschäft lief gut. Die Bäckerei Klinger wurde schnell zu einem festen Bestandteil des Dorflebens. Besonders bekannt war der Betrieb für seinen Speckkuchen, der weit über die Ortsgrenzen hinaus beliebt war. „Wir haben den das ganze Jahr über gebacken.“
Aktiv als Trainer und Fußballspieler in Kemberg und Rakith
Neben seiner Arbeit als Bäcker war Klinger auch sportlich sehr aktiv. Über viele Jahre hinweg spielte er regelmäßig Fußball in Kemberg und engagierte sich zusätzlich als Trainer. 15 Jahre lang betreute er die Teams in Kemberg und im benachbarten Rackith. „Das war eine tolle Zeit, in der ich viele Bekanntschaften geschlossen habe“, erzählt er. „Sport verbindet einfach.“ Auch heute noch besucht er die Spiele seiner ehemaligen Mannschaften als Zuschauer und bleibt mit dem Vereinsleben verbunden – zumindest von der Tribüne aus.
Die Arbeit in der Bäckerei beschreibt Axel Klinger als anstrengend, aber auch als erfüllend. Vor allem in den Anfangsjahren bildete er bei sich fünf Lehrlinge aus, später ließ die Nachfrage aber rapide nach. „Keiner wollte den Job mehr machen“, sagt Klinger. Die Gründe sind für ihn klar: das geringe Gehalt, die harten Arbeitszeiten und die körperlich belastende Arbeit. „Man muss wirklich mit Leidenschaft dabei sein, sonst hält man es in diesem Beruf nicht aus“, erklärt er – und er muss es wissen.
Bis zuletzt belieferte die Bäckerei Klinger Veranstaltungen in der Region und unterstützte die Dorfgemeinschaft mit ihrem Engagement. Der jährliche Höhepunkt war der XXL-Stollen, den die Bäckerei auf dem Kemberger Weihnachtsmarkt für den guten Zweck bereitstellte. „Das war immer ein Highlight“, erinnert sich der Mann. „Wir haben uns immer bemüht, für die Menschen da zu sein.“ Auch die einen oder anderen Sonderwünsche sind erfüllt worden, erzählt er.
Handwerk wird aussterben
Mit der Schließung der Bäckerei Klinger am 3. Januar verliert Kemberg seinen letzten traditionellen Bäcker. „Als ich Kind war, gab es im Kemberger Stadtgebiet zwölf Bäckereien, später waren es nur noch sechs“, erinnert sich Klinger. Diese Entwicklung bereitet ihm Sorgen. „Das Bäckerhandwerk wird aussterben, da bin ich mir sicher“, meint der zweifache Vater. Es gebe kaum noch junge Leute, die den Beruf ergreifen wollen.
„Wir möchten uns bei allen bedanken, die uns in den letzten Jahrzehnten begleitet haben“, sagt der Bäcker. „Ohne unsere Kunden und Mitarbeiter hätten wir es nicht geschafft.“ Wie es mit den Räumlichkeiten weitergeht, ist unklar. Fest steht aber: Auch wenn der Ofen aus bleibt – der Name Klinger wird vielen in guter Erinnerung bleiben.