Kreml will Türkei für Abschuss bestrafen
Nach dem Abschuss eines Kampfjets durch das Nato-Land Türkei will die Atommacht Russland nicht militärisch antworten. Aber politisch und wirtschaftlich stellt Moskau alle Zusammenarbeit mit Ankara auf den Prüfstand. Wie stark trifft es den Tourismus?
Moskau/Ankara (dpa) - Russlands geballte Wut nach dem Abschuss des Kampfjets durch die Türkei lässt nicht lange auf sich warten. Mit Steinen attackieren Demonstranten die türkische Botschaft in Moskau und werfen Fensterscheiben ein.
Reiseveranstalter stornieren nur Stunden nach dem Zwischenfall im syrischen Grenzgebiet vorerst alle Touren in das beliebte Urlaubsland Türkei, zudem stellen russische Unternehmer ihre Zusammenarbeit mit türkischen Investoren auf den Prüfstand. Russische Fußballclubs annullieren ihre Winterlager in dem warmen Land. Von Vergeltung will Außenminister Sergej Lawrow aber nichts wissen. Das ist keine Rache - bloß Vorsicht, sagt er.
Mit der Zerstörung des Suchoi-Bombers stürzt das bereits belastete türkisch-russische Verhältnis in eine Eiszeit. Nein, es gebe vorerst keine militärische Zusammenarbeit mit der Türkei mehr, betont Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit Nachdruck. Der Abschuss ist auch ein schwerer Schlag im Ringen um eine internationale Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) - kurz vor dem mit Spannung erwarteten Besuch des französischen Präsidenten François Hollande bei Kremlchef Wladimir Putin an diesem Donnerstag. Die Türkei hätte ein Herzstück dieser Koalition sein können. Aber das ist schon Geschichte, schreibt die russische Zeitung Kommersant.
Geschichte ist vorerst auch der russische Touristenstrom in die Türkei. Dort stellen Russen mittlerweile die größte Gruppe, nach den Deutschen. Allein 2014 besuchten mindestens 3,3 Millionen Russen die Türkei - das Land ist im Riesenreich unter anderem beliebt, weil sie kein Visum brauchen. Zuletzt war die Zahl trotz Rubelkrise sogar gestiegen, weil Russland alle Flüge nach Ägypten eingestellt hat. Grund ist der Terroranschlag auf ein russisches Passagierflugzeug, das in Scharm el Scheich am Roten Meer gestartet war. Zehntausende Russen buchten ihren Winterurlaub daraufhin von Ägypten in die Türkei um - und bleiben nun mit Frust auf gepackten Koffern sitzen.
Dabei können Urlauber an der türkischen Riviera gar im Kreml übernachten. Eine Art Nachbau des Amtssitzes des russischen Präsidenten steht in Antalya wenige Kilometer vom Meer entfernt. Inmitten einer Grünanlage mit Swimmingpool ragen bunte Dächer hervor. Zwar schneiden nicht alle türkischen Hotels ihr Angebot so sehr auf Russland-Urlauber zu, doch Reisende aus dem größten Land der Erde sind wichtig für die Türkei - gerade in Antalya. Auch Putin war vor kurzem da: beim G20-Gipfel in Belek bei Antalya.
Doch alle Hoffnungen türkischer Reiseunternehmer, der Besuch Putins könne weitere russische Urlauber an die türkische Riviera locken, sind nach dem Abschuss des Kampfjets wohl vergebens. Mit scharfen Worten geißelt Lawrow die Attacke. Russland habe genügend Informationen, dass der Abschuss geplant gewesen sei, sagt der Außenminister. Dies war ganz offensichtlich ein Hinterhalt: Sie warteten, beobachteten und haben einen Vorwand gesucht.
In seiner Brandrede prangert Lawrow auch einen wunden Punkt an: Die Terrorgefahr sei in der Türkei nicht niedriger als in Ägypten, sagt er. Türkische Reiseunternehmer befürchten schon seit einem Anschlag mit 34 Toten im Juli in Suruc, dass sich die schwierige Sicherheitslage geschäftsschädigend auswirken könnte. Das Image eines unsicheren Reiselandes wollen die Unternehmer unbedingt vermeiden. Nun treffen die politischen Folgen des Abschusses sie mit Wucht.
Russland stellt nun fast alles auf den Prüfstand. Wie im Fall Ägypten gilt ein Stopp aller Flüge in die Türkei als möglich. Das wäre auch ein harter Schlag etwa für Russlands Marktführer Aeroflot, der pro Woche 35 Verbindungen in die Türkei anbietet. Auch ein ehrgeiziges Kraftwerksprojekt im Gesamtwert von 22 Milliarden US-Dollar steht Kremlsprecher Dmitri Peskow zufolge auf der Kippe. Nur von der geplanten Gaspipeline Turkish Stream, einer wichtigen geostrategischen Initiative des Kremls, ist bisher nicht die Rede - zumindest offiziell. Auf Protestplakaten vor der Botschaft in Moskau ist aber bereits zu lesen: Kein Gas für die Türkei.
Vereinigung türkischer Reiseagenturen (Türsab)