AfD-Klagen Karlsruhe hinterfragt Merkel-Äußerungen zur Thüringen-Wahl
Vor eineinhalb Jahren verhilft die AfD erstmals einem Ministerpräsidenten ins Amt, die Kanzlerin nennt den Vorgang auf einer Südafrika-Reise „unverzeihlich“. Durfte sie so etwas sagen?
Karlsruhe - Im Februar 2020 nannte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Wahl eines Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen in Thüringen „unverzeihlich“ - nun entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob sie damit eine rote Linie überschritten hat.
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) rechtfertigte in der Karlsruher Verhandlung am Mittwoch, dass sich Merkel damals bei einem Staatsempfang in Südafrika zu Wort gemeldet hatte. Die mitreisenden Journalisten und vor allem der Koalitionspartner hätten eine Positionierung gewollt. Es sei auch um das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gegangen.
Die klagende AfD wertete die Äußerungen dagegen als direkten Angriff. „Wir meinen, dass so ein Angriff, zumal bei einem offiziellen Staatsbesuch unter dem Logo Bundeskanzler/Bundeskanzlerin, nicht verfassungsgemäß ist und Frau Merkel damit gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen hat“, sagte der Vize-Vorsitzende Stephan Brandner vor Beginn der Verhandlung. Parteichef Jörg Meuthen sagte: „Sie hat versucht, eine Landtagswahl zu delegitimieren, und zwar in Ausübung ihres Amtes als Bundeskanzlerin.“
In Karlsruhe will die Partei feststellen lassen, dass ihr Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt worden sei. Das Urteil wird erfahrungsgemäß in einigen Monaten verkündet.
Eigentlich hatte sich am 5. Februar 2020 Bodo Ramelow (Linke) im Landtag in Erfurt erneut zum Regierungschef wählen lassen wollen. In den ersten beiden Wahlgängen bekam er nicht genug Stimmen. Im dritten Wahlgang hatte ihn dann völlig überraschend der FDP-Politiker Thomas Kemmerich um eine Stimme geschlagen - mitgewählt von CDU und AfD. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt verhalf. Drei Tage später war Kemmerich unter Druck zurückgetreten, die Amtsgeschäfte hatte er ohne Regierung noch bis März geführt.
Merkel, die gerade auf Reisen war, hatte sich einen Tag nach der Wahl zu Wort gemeldet und ihrer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa eine „Vorbemerkung“ „aus innenpolitischen Gründen“ vorausgeschickt. Das Ergebnis müsse „rückgängig gemacht werden“, sagte sie, zumindest die CDU dürfe sich nicht an dieser Regierung beteiligen. Und: „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“ Eine Mitschrift der Pressekonferenz stand zwischenzeitlich auf bundeskanzlerin.de und bundesregierung.de.
Braun sagte dazu, Pressekonferenzen würden grundsätzlich wortlautgetreu und vollständig dokumentiert, es werde nichts gestrichen. Darauf würden sich Journalisten verlassen.
Die AfD hat in Karlsruhe schon erfolgreich gegen Innenminister Horst Seehofer (CSU) geklagt, weil ein Interview mit AfD-kritischen Passagen auf seiner Ministeriumsseite stand. Und Johanna Wanka (CDU) wurde in ihrer Zeit als Bildungsministerin dafür gerügt, dass sie in einer Ministeriumsmitteilung die „Rote Karte“ für die AfD gefordert hatte. Nach diesen Urteilen dürfen Politiker zwar öffentlich Kritik an der AfD üben. Sie müssen aber das Gebot staatlicher Neutralität wahren, wenn sie sich in ihrer Rolle als Regierungsmitglied äußern.
Auch diesmal stellten die Verfassungsrichterinnen und -richter etliche kritische Fragen: Sei es nicht guter Brauch, dass im Ausland grundsätzlich nicht über Innenpolitik gesprochen werde? Warum habe Merkel nicht klarer gemacht, dass sie sich als Parteipolitikerin äußere? Und hätte sie das nicht im Anschluss an die Pressekonferenz tun können? So seien ihre Worte sehr prominent platziert gewesen.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer verteidigte das Vorgehen: Bei Auslandsreisen habe der Gast wenig Spielraum für Programmänderungen. Eine „Vorbemerkung“ sei in so einem Fall üblich, um dem eigentlichen Thema mehr Gewicht zu verleihen.
Zum Auftakt der Verhandlung am Mittwoch hatten die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats ein vor knapp zwei Wochen eingereichtes Ablehnungsgesuch der AfD zurückgewiesen. Die AfD hatte dies mit einem Besuch einer Delegation des Gerichts im Bundeskanzleramt mit gemeinsamem Abendessen am 30. Juni begründet.
Vizegerichtspräsidentin Doris König sagte, wenn diese regelmäßigen Treffen Zweifel an der Unvoreingenommenheit begründen würden, wäre ein Austausch der obersten Verfassungsorgane unmöglich. „Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht“, teilte das Gericht parallel mit.