Krisenmodus Vertrauen in Bundesregierung ist gering
Sonntag vor einem Jahr wurde die aktuelle Bundesregierung in Deutschland um Angela Merkel gewählt - das Vertrauen in sie ist gering
Berlin (dpa) l Rechtspopulismus, Hass und eine Bundesregierung im Krisenmodus: Ein Jahr nach der Bundestagswahl gibt es viel Anlass für Verunsicherung in Deutschland.
Selbst die Staatsspitzen zeigen sich 2018 besorgt. „Aus meiner Sicht darf nichts ins Rutschen kommen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August im ARD-Sommerinterview. Es ging dabei um Kritik auch von Politikern an Gerichtsurteilen im Fall des unrechtmäßig nach Tunesien abgeschobenen islamistischen Gefährders Sami A. Merkel stellte klar: „Demokratie ist Minderheitenschutz, Pressefreiheit, Demonstrationsmöglichkeiten.“ Die Kanzlerin hielt es für nötig, zu betonen: Auch unabhängige Gerichte gehörten dazu.
Etwas kommt ins Rutschen – diese Formulierung ist in Mode gekommen, wenn es um Unbehagen mit aktuellen Verhältnissen geht. „Wir alle spüren, dass etwas ins Rutschen geraten ist in den liberalen Demokratien“, mahnte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Jahrestag der Unterzeichnung des Grundgesetzes im Mai. Gerade viele Junge hätten Vertrauen in Institutionen verloren. Gabi Engelhardt sagt es drastischer. „Wir laufen im Schnellschritt auf eine Situation wie in den 30er Jahren zu“, meinte die Chemnitzer Aktivistin im Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“,
Dass die Folgen von Chemnitz fast zum Koalitionsbruch im Bund geführt hätten, konnte da noch niemand ahnen. Doch ein Streit um Äußerungen von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zu Chemnitz löste die aktuell anhaltende Regierungskrise um ihn und seine Beförderung zum Innenstaatssekretär aus. Bis zur Regierungsbildung nach der Wahl hatten Union und SPD eine Rekordzeit gebraucht. Ob sie bis zum nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2021 miteinander durchhalten, erscheint immer wieder offen.
Es ist ja nicht nur Chemnitz. Bereits 2015 gingen für das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis in Dresden bis zu 25 000 Anhänger auf die Straße. Heute mobilisiert die Neonazi-Szene durch soziale Netzwerke wie lange nicht mehr. Befindet sich Deutschland tatsächlich auf dem Weg zurück in die 30er Jahre?
Der renommierte Münchener Historiker Andreas Wirsching stellte schon vor einem Jahr fest: „Berlin ist (.) weit davon entfernt, Weimar zu sein.“ Für ein Projekt des Bayerischen Rundfunks und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Thema zählte Wirsching die Unterschiede auf: Etwa die Schwäche des Parlamentarismus in der Weimarer Republik. Der Reichspräsident wurde direkt gewählt, Volksentscheide auf Reichsebene sollten das Parlament einhegen.
Und: „Für allzu viele Menschen hatte seit 1914 der Sturm von Krieg und Nachkrieg, Inflation und Weltwirtschaftskrise eine soziale Abwärtsbewegung in Gang gesetzt.“ Heute herrscht dagegen Rekordbeschäftigung. „Der entscheidende Unterschied zu Weimar besteht bisher in der Abwesenheit parlamentarisch bedeutsamer, extremistischer Antisystemparteien“, schrieb Wirsching. Das war allerdings drei Tage vor der Bundestagswahl 2017, bei der es zur Zäsur kam und die AfD mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft wurde. Derzeit liegt sie bei Umfragen sogar zwischen 13 und 18 Prozent bundesweit. Laut jüngstem ARD-Deutschlandtrend wäre die AfD erstmals zweitstärkste Kraft nach der Union. In den neuen Ländern liegt sie bei 21 bis 23,9 Prozent. Trotzdem zeigen die aktuellen Umfragen: Alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien liegen in der Wählergunst zusammen bei rund 80 Prozent.
Der AfD-Aufstieg hat laut dem Leipziger Soziologen Holger Lengfeld tieferliegende Gründe. Er sieht darin die Folge einer Spaltung in Deutschland. Und zwar nicht zwischen Arm und Reich, sondern zwischen zwei Weltbildern. Die einen, er nennt sie die Mehrheit der Kosmopoliten. Die anderen hielten daran fest, dass Gleichheit und Gerechtigkeit nur für bestimmte Gemeinschaften gelte.
Wirtschaftlich ist die Stimmung nämlich nicht schlecht. „Diese stabile Wirtschaftslage in Deutschland trägt einen Gutteil zur Beruhigung bei“, sagte der Magdeburger Soziologe Jan Delhey auf einem Fachkongress. Auch bei den Ostdeutschen sei die Zufriedenheit mit dem eignen Leben seit der Wiedervereinigung noch nie so groß gewesen wie heute.
Und der Hass, die Wut und die Angst? Der Sozialpsychologe Harald Welzer meint, nur ein kleiner Teil der Bevölkerung sei so eingestellt. Besser wäre es, die Mehrheit würde die Themen setzen. „Hass kann man nicht stoppen, aber leerlaufen lassen.“