1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. 75. Internationale Filmfestspiele Berlin: Am Ende gewinnen die Frauen

Bundestagswahl 2025

75. Internationale Filmfestspiele Berlin Am Ende gewinnen die Frauen

Feierabend! Die Berlinale ist vorbei, die Stars sind weg und die Preise vergeben. Über welche Filme man noch lange sprechen wird und worin die Stärke des Erzählkinos liegt.

Von Astrid Mathis 24.02.2025, 03:45
Die Jury schreitet ein letztes Mal über den roten Teppich. Diesmal mit Schleppe.
Die Jury schreitet ein letztes Mal über den roten Teppich. Diesmal mit Schleppe. Foto: Astrid Mathis

Berlin. - Schon oft erlebt, diesmal zu Recht. Der Goldene Bär der Berlinale geht an einen Film, in dem Frauen die Hauptrolle spielen: den norwegischen Spielfilm „Träume“: Wie Johanne von einem Buch ins Verliebtsein gezogen wird, erliegt der Zuschauer dem Charme dieser Geschichte. Johanne ist 17 und fasziniert von ihrer neuen Lehrerin. Mehr als das. Sie sehnt sich danach, mit ihr zusammen zu sein. Was sie fühlt, versucht sie, in einem Text zu verarbeiten und vor allem festzuhalten. Damit fängt es an. Johanne gibt das Buch ihrer Oma zu lesen, die selbst Autorin ist. Anfangs geschockt, kann diese sich dem Sog des Geschriebenen nicht entziehen und sieht sofort literarisches Talent aufblitzen. Davon erzählt sie wiederum ihrer Tochter, Johannes Mutter. Sollte der Text nicht veröffentlicht werden? Ein interessanter Kreislauf beginnt, Eifersüchteleien wechseln mit Erinnerungen an die erste große Liebe. Und über allem steht die Frage: War was zwischen den beiden?

Gewinner: Der norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud beeindruckt und verzaubert mit seinem Film "Träume" im Wettbewerb.
Gewinner: Der norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud beeindruckt und verzaubert mit seinem Film "Träume" im Wettbewerb.
Foto: Astrid Mathis

Emotional, geheimnisvoll, clever und unterhaltsam kommt dieser Film daher mit einer Kamera, die den Zuschauer verführt. Genauso muss das Buch Mutter und Oma in den Bann gezogen haben. Am Ende ist gar nicht wichtig, was genau passiert ist, sondern nur, dass der Film von Dag Johan Haugerud gewinnt. Der hat nur eine Bitte: „Keep on reading!“ („Hört nicht auf zu lesen!“)

"Was Marielle weiß" im Wettbewerb: Der beste Filmvater "ever" findet Laeni Geiseler.  Felix Kramer freut's.
"Was Marielle weiß" im Wettbewerb: Der beste Filmvater "ever" findet Laeni Geiseler. Felix Kramer freut's.
Foto: Astrid Mathis

Was wäre, wenn...?

Was wäre, wenn man Gedanken lesen könnte? Das Thema ist nicht neu, aber wie es in „Was Marielle weiß“ von dem Regisseur Frédéric Habalek angepackt wird, ist herrlich anzusehen. Marielle hat seit der Ohrfeige ihrer Freundin ein besonderes Talent: Das Mädchen weiß, was ihre Eltern reden und tun. Alles. Man könnte sogar sagen: Marielle hat ein Problem. Denn will man alles über seine Eltern wissen, sie ertappen, wenn sie lügen, sich betrügen, als wäre man dabei gewesen? Der Wettkampf unter den Eltern ist wohl nur für den Zuschauer witzig, denn Marielle wird aus ihrer Kindheit herausgerissen und steht außerdem zwischen den Fronten. Darin liegt die Kunst der Unterhaltung. Vater und Mutter fangen schließlich an, sich auf Französisch zu unterhalten und wollen ihre Tochter mit allen Mitteln überzeugen, „damit“ aufzuhören. Kann oder will sie nicht? Julia Jentsch und Felix Kramer sind als Eltern jedenfalls unwiderstehlich komisch. Ehrlich zu sein, ist nämlich so anstrengend. „Will man etwa so durchsichtig und vorbildlich sein, dass man sein Leben in den sozialen Netzwerken veröffentlichen sehen könnte beziehungsweise möchte?“, fragt Julia Jentsch auf der Pressekonferenz und verneint. Felix Kramer hat ein schönes Bild dafür: „Den Helikopter fliegt jetzt die Tochter.“

"Was Marielle weiß": Der Regisseur Frédéric Hambalek hat mit Julia Jentsch viel Spaß auf der Pressekonferenz.
"Was Marielle weiß": Der Regisseur Frédéric Hambalek hat mit Julia Jentsch viel Spaß auf der Pressekonferenz.
Foto: Astrid Mathis

Und jetzt sei glücklich!

„Ach, hätte ich doch ein Kind!“, sagt sich die erfolgreiche Dirigentin Julia (Marie Leuenberger) und sucht mit ihrem Mann (Hans Löw) eine Wunschklinik auf. „Alles wird gut. Bei mir bekommen Sie ein Kind“, verspricht ihr der Arzt (Claes Baeng) in dem Wettbewerbsbeitrag „Mother’s Baby“ („Mutterglück“) von Johanna Moder. In der Erfüllung von Wünschen liegt ein Zauber – und ein Fluch. Letzteren bekommt die junge Mutter schnell zu spüren.

Der Spielfilm "Mother's Baby" entpuppt sich als Psychothriller. Claes Bang (links) spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Der Spielfilm "Mother's Baby" entpuppt sich als Psychothriller. Claes Bang (links) spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Foto: Astrid Mathis

Nach ihrer traumatischen Erfahrung bei der Geburt könnte sie froh sein, ein Kind in den Armen zu halten. Doch weit gefehlt. Irgendwas stimmt nicht. Mal abgesehen vom Baby selbst. Julia kann sich weder an die Pflichten als Mutter gewöhnen noch Freude empfinden. Immer wieder vergleicht sie ihr Kind mit anderen und fragt in der Klinik nach. An allem zweifelt sie. Zu ihrer Beruhigung besucht sie fortan eine Schwester, die bei der Geburt dabei war, doch das trägt nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Der Zuschauer ahnt, was sich wohl abgespielt hat. Er muss es nicht noch sehen.

Lob für ihre schauspielerische Leistung in ihrem Wettbewerbsbeitrag "Mother's Baby": Marie Leuenberger.
Lob für ihre schauspielerische Leistung in ihrem Wettbewerbsbeitrag "Mother's Baby": Marie Leuenberger.
Foto: Astrid Mathis

Regisseurin Johanna Moder wollte vor allem das Thema aufgreifen, wie schwer es Frauen haben, sich in die Mutterrolle hineinzufinden. „Und jetzt sei glücklich!“, das werde häufig suggeriert, Depressionen werden abgetan, bemerkt sie auf der Pressekonferenz. Hilflos seien auch die Angehörigen, vor allem der Partner selbst, der denkt, mit dem Kind würden sie überglücklich sein.

Ein Kind, ein Kind!

Auch bei den Spielfilmen im 27. Panorama steht der Kinderwunsch ganz oben in einer Geschichte. Das spanische Drama „Sorda“ („Taub“) von Eva Libertad nimmt uns mit auf eine außergewöhnliche Reise. Die gehörlose Ángela und ihr Lebenspartner Héctor erwarten ein Kind. Wird es taub sein oder hören können wie er? Sie wollen sich auf alles vorbereiten und freuen sich auf das Kind. Kaum ist es da, versuchen sie, herauszubekommen, nach wem es kommt und wessen Aufmerksamkeit ihm lieber ist. Das wirkt im ersten Moment lustig und im nächsten traurig. Keiner will ausgeschlossen sein, vor allem nicht Ángela, die sich als gehörlose Mutter zurückgesetzt fühlt. Im Ringen um die Erkenntnis, welchen Weg ihr Kind gehen wird, lernen sie sich und ihre Umwelt neu kennen.

Das politische Filmfest

Als Martina Priessner ihren Preis von Amnesty International für Dokumentation „Die Möllner Briefe“ entgegennimmt, ringt sie um Fassung. Ungeachtet dessen ist die Freude groß, auf der Berlinale Anerkennung für ihr Werk zu bekommen. Zu wichtig sei es, gerade an einem Tag wie diesem, einem Wahltag, politisch Stellung zu beziehen. Zur Geschichte: 1992 starben drei Menschen bei einem rassistischen Brandanschlag in Mölln, drei Mitglieder der Familie Arslan. In Hunderten von Briefen bekunden ihnen Verbundene ihr Mitgefühl. 27 Jahre waren sie im Stadtarchiv verschwunden. Nie hatten diese Solidaritätsbekundungen die Familie erreicht.

Regisseurin Martina Priessner räumte mit ihrer Doku "Die Möllner Briefe" gleich zwei Preise ab: den Panorama-Publikumspreis und den Amnesty International Film Award.
Regisseurin Martina Priessner räumte mit ihrer Doku "Die Möllner Briefe" gleich zwei Preise ab: den Panorama-Publikumspreis und den Amnesty International Film Award.
Foto: Astrid Mathis

Nur durch einen Zufall entdeckte eine Studentin die Zeitzeugnisse auf einem Dachboden des Archivs. Bis zur Bewältigung des Traumas sei es ein langer Weg, betont Priessner. Um so wichtiger ist es ihr, sich für eine Erinnerungskultur einzusetzen. Die Familie hätte mit Hass antworten können, aber sie wählte die Liebe. Der Film bekam außerdem den Publikumspreis für die beste Dokumentation in der Sektion Panorama.

Pressekonferenz Schauspielerin Hanna Schygulla
Pressekonferenz Schauspielerin Hanna Schygulla
Astrid Mathis

Nina Hoss - eine Kämpferin

Nina Hoss nicht im Wettbewerb der Berlinale? Da sind wir anderes gewohnt. In der Regie von Christian Petzold bekam sie für „Yella“ im Jahr 2007 den Silbernen Bären. Damals hatte ihre Figur das brandenburgische Wittenberge und ihren Mann verlassen. Wer gutes Erzählkino zu schätzen weiß, findet Nina Hoss, auch wenn ihr Film in der Sektion Panorama läuft.

Machte auf dem Arte-Empfang für den Film "Zikaden" Werbung: Schauspielerin Nina Hoss.
Machte auf dem Arte-Empfang für den Film "Zikaden" Werbung: Schauspielerin Nina Hoss.
Foto: Astrid Mathis

Isabell hat Stress. Mit ihrem Partner, mit ihren Eltern, mit dem Pflegepersonal. „Zikaden“ von Ina Weisse ist kein bequemer Film. Das soll er auch nicht sein. Wir pendeln zwischen Berlin und Wochenendhaus auf dem Lande bei Berlin. Brandenburg. Auch die junge Nachbarin mit ihrem Kind kann sich vor Problemen nicht retten. Kein Geld, kein Job, keine Perspektiven. Irgendwie kommen die Frauen nicht aneinander vorbei, irgendwie finden sie mal zueinander, mal nicht. Wer kann hier wem noch was recht machen? Macht Isabell nicht schon alles, was sie kann – und das allein? Dass sie Architektin ist und ihrem Vater in dem Beruf nachfolgt, hilft ihr nicht weiter, wenn der Pfleger von einem Tag auf den anderen alles hinschmeißt oder ihr Partner will, dass sie sich um ihn kümmert. Er sei ja auch noch da. Noch. Man stelle sich vor, sie hätte noch ein Kind. Wie ihre Nachbarin.

Nina Hoss kann machen, was sie will. Man sieht ihr gerne zu – wenn sie kämpft, wenn sie lächelt, wenn sie weint, wenn sie scheitert – egal. Ihre Emotionalität packt jeden. Sie überstrahlt diesen Film und bricht einem zugleich das Herz. Dafür hätte sie einen Bären verdient.

Tricia Tuttle hat ihr Debüt als Festivalchefin in Berlin hinter sich.  Zuvor leitete die Amerikanerin das Filmfest in London.
Tricia Tuttle hat ihr Debüt als Festivalchefin in Berlin hinter sich. Zuvor leitete die Amerikanerin das Filmfest in London.
Foto: Astrid Mathis

Everything counts

„See you next time!“ – „Bis zum nächsten Mal!“ So würde es der britische Sänger Dave Gahan sagen. Am 20. Februar 2024 gab er mit Depeche Mode das letzte von drei Konzerten der laufenden Tour – „Memento Mori“ – in Berlin. Damals noch in der Mercedes-Benz-Arena. Während die Berlinale lief, feierte Bassist und Keyboarder Peter Gordeno am Potsdamer Platz seinen Geburtstag. Am Klavier im Hyatt. Dass die Band zu Berlin ein besonderes Verhältnis hat, ist kein Geheimnis.

Berlinalepalast am Potsdamer Platz: Tricia Tuttle begrüßt Jurymitglied Maria Schrader vor der Preisverleihung.
Berlinalepalast am Potsdamer Platz: Tricia Tuttle begrüßt Jurymitglied Maria Schrader vor der Preisverleihung.
Foto: Astrid Mathis

„Everything counts“ ist nicht nur ein politisches Statement. Es könnte ein schöner Titel für eine Filmdoku über Depeche Mode auf der nächsten Berlinale sein.