Expressionismusschau Der Reiz der ersten Begegnung
Die Moritzburg in Halle zeigt die expressionistischen Werke der Maler Alexej von Jawlensky und Georges Rouault.
Halle l Thomas Bauer-Friedrich hat Sinn für effektvolle Inszenierungen. Der Direktor des Landeskunstmuseums Moritzburg in Halle bespielt sein Museum regelmäßig mit großen Ausstellungen, die viele Besucher interessieren und anziehen. In den mittlerweile verpönten Blockbuster-Verdacht kommt er trotzdem nicht, denn die Themen und Künstler, die er aussucht, sind streitbar, wie im Fall der „anthroposophischen Kunst“, sie sind Glücksfälle, wie die Präsentation der momentan heimatlosen Sammlung Hahnloser-Bühler im vergangenen Jahr, oder Entdeckungen, wie im Fall der am Wochenende eröffneten Ausstellung über die kunsthistorischen und thematischen Beziehungen von Alexej von Jawlensky und Georges Rouault.
Jawlensky, bis zum Überdruss geliebt und als Kalendermotiv verkitscht, ist in dieser Ausstellung nicht die Überraschung. Georges Rouault aber kommt einer Entdeckung gleich. Denn der Franzose ist in Deutschland nahezu unbekannt, deutsche Museen kauften ihn fast nie, so dass es auch an zufälligen Begegnungen mangelt. Das letzte Mal konnte man Rouaults Werk 1983 in Köln sehen. Und im Vergleich und Zusammenspiel mit Rouault werden auch Jawlensky und seine allzu oft reproduzierten Gesichterdarstellungen wieder interessant.
Biografisch gibt es, außer Einladungen zu den gleichen Ausstellungen am Beginn des 20. Jahrhunderts, wenige Parallelen. Alexej von Jawlensky wurde 1864 in Russland geboren, ging nach Deutschland, lebte jahrzehntelang mit der Künstlerin Marianne von Werefkin zusammen, die ihn förderte, finanzierte und seinen Weg nach Deutschland, in die Schweiz und wieder nach Deutschland begleitete. Werefkin blieb bei ihm, obwohl er eine Liebesbeziehung zu ihrer Zofe unterhielt. Auch die Künstlerinnen Emmy Schreier und Lisa Kümmel gaben ihre eigenen künstlerischen Ambitionen auf, um Jawlensky und sein Werk zu fördern. Jawlensky starb völlig gelähmt 1941 in Wiesbaden.
George Rouault wird 1871 in Paris geboren und stirbt dort 1958. Dazwischen lagen ein erfolgreiches Malerleben mit zahlreichen Ehrungen und großen Ausstellungen und eine Ehe, aus der vier Kinder hervorgingen.
Diese beiden zeitgleich arbeitenden, doch sehr unterschiedlichen Künstler stellt die Moritzburg nun unter dem Titel „Sehen mit geschlossenen Augen“ gemeinsam-getrennt und getrennt-gemeinsam vor. „Wir zeigen im Prinzip zwei Retrospektiven, die sich an mehreren Stellen berühren“, sagt Bauer-Friedrich, der die Ausstellung zusammen mit der Schweizer Kunsthistorikerin Angelika Affentranger-Kirchrath kuratierte. Praktisch bedeutet das, dass die Ausstellungssäle in zwei Hälften geteilt sind. Auf jeder Seite hängen die Werke eines Künstlers. Verbindungen entstehen durch Blickbeziehungen zwischen den Werken. Am überzeugendsten und effektvollsten zeigt sich das bei den religiösen Bildern. Denn sowohl Jawlensky als auch Rouault waren sehr gläubig und malten Christusköpfe und Heiligenbilder, und beide malten viele mit geschlossenen Augen.
Dass es diese Ähnlichkeiten und Vergleichbarkeiten gibt, liegt nicht nur an der tiefen Religiösität beider Künstler, sondern auch an ihrer Arbeit in Serien. Die führten bei Jawlensky vom expressionistisch-farbstarken Bildnis und Selbstporträt zu den dunklen, stilisierten, auf wenige Striche und wenige Farben reduzierten Gesichtern, die er „Meditation“ nannte und von denen die Moritzburg zwölf sehr reduzierte, sehr dunkle besitzt. Bei Rouault entwickelt sich die religiöse Malerei vom Dunklen ins Farbstarke, Expressive. Auch er arbeitete in Serien, variierte Themen über Jahre.
Insgesamt zeigt die Ausstellung 119 Werke aus 40 europäischen Sammlungen. Darunter ist auch ein Rouault-Werk aus den Vatikanischen Museen, dessen Ausleihe erst nach dem Leitungswechsel Anfang diesen Jahres – erstmals führt eine Frau die Vatikanischen Museen – bewilligt wurde.
Die Chance, so viele Werke beider Künstler in einem Museum vereint zu sehen, wird nicht so schnell wiederkommen, denn vor allem Rouault experimentierte viel mit Farben und Techniken und malte oft auf Papier. Deshalb sind viele seiner Werke sehr fragil und werden nur selten ausgeliehen. Auch eine zweite Station der Ausstellung wird es daher nicht geben. Wer Rouault kennenlernen, Jawlensky wiedersehen und Verbindungen zwischen beiden erkennen will, muss in den nächsten Wochen nach Halle reisen.
Diese Zusammenschau wird von zwei Satellitenausstellungen begleitet und ergänzt. Der Kunstverein Talstrasse zeigt das vielfältige druckgrafische Werk von George Rouault, die Moritzburg stellt im ehemaligen Saal der Sammlung Gerlinger Kunsthandwerk und Fotografien des frühen 20. Jahrhunderts aus dem eigenen Depot vor. Dabei zeigt sich, dass auch die aufwendigste Inszenierung den riesigen Verlust der Gerlinger-Werke, die das Museum so schnöde ziehen ließ, nicht wettmachen kann.
Halle, Kunstmuseum Moritzburg, bis 25. Juni, Katalog (Imhof Verlag): 29,95 Euro