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Kunst Polaroids und Vinyl

Der Magdeburger Christoph Bouet ist Freiluft-Maler. Im Sommer zieht es ihn mit Tuben und Leinwand ins Grüne, im Winter macht er Musik.

Von Grit Warnat 21.01.2021, 00:01

Magdeburg l Im Regal im Atelier in Magdeburg stehen die Bücher wohlsortiert bis unter die Decke. Jede Menge Bildbände und Literatur über Kunst und Malerei, vor allem Renoir, Monet und all die anderen Impressionisten, die einst mit Staffelei und Leinwand ins Grüne zogen. Auch Christoph Bouet lässt sich unter freiem Himmel von Landschaften, Luft, Geräuschen inspirieren. Seine Mal-Saison ist die warme Jahreszeit. Bouet, gebürtiger Hallenser, ist Pleinair-Maler. "Sobald die Magnolien blühen, bin ich draußen", sagt er. Das ist im April, Mai.

Das Regal ist auch Heimstatt für Langspielplatten, vier eigene LPs darunter. Eine feine Plattenreihe. Wenn die kalte Jahreszeit anbricht, begibt sich Bouet, der an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein bei Professor Ronald Paris lernte, in andere Gefilde.

Er schreibt Songs, macht seit mehr als zehn Jahren schon Musik. Da ist er Autodidakt, erweist sich als multi-einsatzfähig: Gitarre, Mundharmonika, Piano. Auf seinem neuesten Album "Traces", am Schlagzeug hat er "Hausfreund Semanski", gibt es auch seine für ihn so typischen Landschaftsbilder, nur dass die musikalisch geprägt sind und nicht in den überbordenden Garten der Mutter führen, sondern nach Amerika. Ein Album voller Country und Folk im Soundgewand der 1970er. Er selbst spricht von zehn Geschichten vom Festhalten und Loslassen, von Zweisamkeit und Verlassenheit.

"Der Mix stammt von Hannes Bieger und Rainer Maillard. Gemastert und geschnitten wurde im Emil Berliner Studio von Rainer Maillard", erzählt Bouet. Maillard ist kein Unbekannter. Er hat mehrere Grammys gewonnen und zeichnete verantwortlich bei Produktionen mit Anna Netrebko, Max Raabe und Thomas Quasthoff.

Das Album, erschien in 500er Auflage in mehreren limitierten Editionen, ist durchkomponiert wie seine Ölbilder. In der Musik wie in der Malerei, so sagt der 47-Jährige, sei er auf der Suche nach einer stimmigen Sprache. Die hat er gefunden. Das Klapp-Cover erinnert wie die von ihm gespielte Mundharmonika an verflossenes Amerika-Flair. Es ist ein Motiv seiner Serie "American Polaroids". Von den quadratischen Fotos hat Bouet eine Vielzahl gemacht. Auch da sind wieder seine Landschaften, denen er treu bleibt.

Doch hier arbeitet er so ganz anders als in seiner Malerei, in der das Auge gefordert ist bei den satten Farben. Bouet drückt sie aus Tuben auf die Leinwände und türmt sie zu kleinen Gebirgen auf. Bei ihm rollt das Meer himmelblau an den Strand, spielen Birken mit Schatten und Licht, ist die Blumenpracht im Garten der Mutter überbordend. Bouet liebt die expressive Farbigkeit und den dicken Farbauftrag.

Die Polaroids hingegen, dem Album beigelegt in einem kunstvoll gedruckten Booklet, sind wie aus einer verblassten Zeit, meist trist und trüb und in einer gewollten Unschärfe. Vergreiste Häuserblöcke, Telefonmasten in der Einöde, alte Autos, eine Amerika-Fahne an einem marode aussehenden Haus. Kein Mensch weit und breit. Man fühlt sich aber selbst auf eine der Veranden mit kleinem Vorgarten katapultiert, wenn Bouet singt und Mundharmonika spielt. Da schwingt ein gesundes Maß melancholische Stimmung mit, passend zu den Fotos. Alles ist zum Zurücklehnen.

"Ich bin der Karl May der Fotografie", hat das Musikmagazin "Schall" in einem Beitrag den Magdeburger zitiert. Karl May, der Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand, hat in seinen Romanen wunderbar fremde Orte aufleben lassen, ohne je dagewesen zu sein. Ähnlich imaginär ging es bei Bouet mit seinen Polaroids zu. Er erzählt mit einem Schmunzeln, dass er nie in Amerika gewesen sei. Und die Fotos? An jene Orte, die er da im Quadrat-Format habe, sei er nur mit Google Street View gereist und habe Screenshots gemacht. Was sich nach verrückter Idee anhört, liegt nun in einem Bilderkasten. Ein großer Stapel verwaschener Amerika-Polaroids.

Bouet sagt, er will sich selber zum Träumen bringen. Mit Musik, mit Malerei. In der Malerei nur geht es weniger imaginär und farbintensiver zu.

Längst hat sich Bouet als Maler einen Namen gemacht, die traditionsreiche Galerie Berlin gibt ihm die für Künstler so wichtige Öffentlichkeit. Hasso Plattner, der Potsdamer Barberini-Mäzen, kaufte Arbeiten, ebenso die Sammlung Würth, der Deutsche Bundestag. Das Kunstmuseum Ahrenshoop hat sich mittlerweile einen Bouet zugelegt. Der Magdeburger, wie kann es für einen Pleinair-Maler anders sein, liebt die legendäre Künstlerkolonie, deren Strände, Meer, Küste und Bauerngärten.

Ein Stück Italien, wohin er mehrfach reiste, hängt in seinem Atelier. Die Amalfiküste, karibikblau das Wasser. Wie bei den von ihm so sehr geschätzten Impressionisten, muss man auch dieses Bild mit einigen Metern Abstand betrachten. Tritt man zurück, löst sich die ungebändigt erscheinende Farbmasse auf und die Landschaft entsteht wie neu.

Vor zwei Jahren malte er den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck für die Ehrenbürgergalerie im Abgeordnetenhaus Berlin. Der Auftrag wich von seiner Arbeitsweise ab. Der bis 2017 erste Mann im Staat stand nicht Modell, Boet nutzte digitale Quellen, ein Video von Youtube. Damals hat er seine Staffelei erstmals vor einem großen Bildschirm aufgestellt.

Jetzt wartet er darauf, wieder nach draußen zu ziehen. Mit Leinwand und Tuben voller Farben, um die Natur auf seine Art festzuhalten. Dass mehrere Musikmagazine, darunter auch "Stereo", positive Kritiken über sein "Traces" veröffentlichten, lässt ihn auch schon über den Sommer hinaus nach vorne blicken. Album fünf ist gedanklich in Arbeit.