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Das Sommer-Open-Air feierte auf dem Magdeburger Domplatz Premiere Schöne Evita: Halb Heilige, halb hurenhafter Vamp

Von Liane Bornholdt 07.06.2010, 05:21

Das Musical "Evita" von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice ist in diesem Jahr das Sommer-Open-Air des Theaters Magdeburg. Mit Rainer Roos (Musikalische Leitung), Matthias Davids (Regie) und Knut Hetzer (Bühne) feierte die aufwändige Inzenierung am Freitag auf dem Domplatz Premiere.

Magdeburg. Das Musical "Evita" entstand zwischen 1974 und 1978. Es war nach "Jesus Christ Superstar" (1971) das zweite gemeinsame Musical der beiden Autoren Webber und Rice. Die Magdeburger Aufführung beginnt auf einer großen leeren Bühne: Es ist der 26. Juni 1952, und es wird verkündet, dass Eva Duarte de Perón gestorben ist.

Die Bühne füllt sich bald mit dem klagenden Volk von Argentinien. Sie wird beweint wie eine Heilige und in der Musik klingt das eine große Lied an: "Wein nicht um mich, Argentinien". Einzig Ché (Drew Sarich) durchbricht die Züge der Trauernden. Er mahnt sie, auch alles zu bedenken, was der Perónismus, Evita insbesondere, Furchtbares getan und geduldet haben, er hält eine ätzende, sarkastische Leichenrede. Er wird die Lebensgeschichte der Evita erzählen, die schillernd war und sehr widersprüchlich.

Bereits hier wird eindrucksvoll deutlich, was dem gesamten Musical in der Inszenierung von Matthias Davids Leben und Struktur geben wird: Die Spannung zwischen den einzelnen Akteuren und immer wieder den Massen, Opernchor und Singakademie, Ballett und Statisterie des Theater Magdeburg. Knut Hetzer hat ein Bühnenbild entworfen, das für die Massen gedacht ist, ein großes Dreieck, dessen hintere Spitze auf die Magdeburger Machtzentren, die Barockfassaden von Landtag und Staatskanzlei weist, begrenzt durch mächtige Türme, die der abstrakten Spielfläche eine Aura von Gewaltigkeit verleihen. Hier schon zeigen sich Spannungen und Widersprüche. Sie stehen über dem jubelnden oder demonstrierenden Volk genauso wie über dem Militär, das zwischen ihnen hervormarschiert und seine Herrschaft demonstriert.

Kein Musical, das eine nette Lovestory erzählt

"Evita" ist kein Musical, das eine nette Love-Story erzählt. Wenn es auch nicht ganz authentisch die Biografie Eva Peróns erzählt, so vollzieht es doch deren märchengleichen Aufstieg von der Näherinnentochter aus der Provinz zur First Lady und Heldin der Argentinier sowie auch deren Abstieg, Krankheit und frühen Tod nach und zeigt all diese Etappen als politische Ereignisse.

Dabei zu bleiben und dennoch nicht auf den Glanz und Schwung zu verzichten, welches das Genre verlangt, ist schon eine große Kunst, und die ist dem Regieteam und den Akteuren durchaus gelungen.

Den größten Anteil daran haben die hervorragenden Darsteller. In der Titelrolle ist Simone Geyer zu erleben, die alle Facetten, das Schillernde, aber auch das Menschliche der Evita zu zeigen verstand. Bis auf einige etwas zu scharf geratene Spitzentöne bei der Premiere sang sie wunderbar, und sie spielte und tanzte perfekt. Natürlich erwartete jedermann vor allem die berühmte Balkonszene, in der Evita, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, sich in einer bewegenden Rede an das Volk wandte. Sie erscheint in einer unglaublich schönen Robe – diese authentisch nachempfunden derjenigen, die die historische Evita am 24. Februar 1946 bei ihrer wirklichen Balkonrede trug (Kostüme: Judith Peter), und sie singt die berühmte Hymne. Zauberhafter Höhepunkt im ersten Dunkel des ersten Sommertages.

Drew Sarich als Ché hat die umfangreichsten Aufgaben. Als Erzähler greift er immer wieder ins Geschehen ein, oftmals muss er a-capella mit seinen Rezitativen beginnen, bevor die Stütze des Orchesters ihn trägt, und er ist fast ununterbrochen präsent auf der Bühne. Dies alles meistert er brillant, und es gelingt ihm sogar, die eigene Widersprüchlichkeit zu zeigen. Er ist zwar der schärfste Kritiker des Machtspiels, aber auch er bleibt nicht unbeeindruckt von Evita.

Die Verzauberung auf der etwas kargen, abstrakten Bühne wird nun im zweiten Akt dadurch erreicht, dass dämonische und auch sogar romantische Lichtspiele die Kühle des Bühnenplatzes beleben. Das Beleuchtungsteam um Norbert Robel hat Großes geleistet. Im ersten, noch lichtdurchfluteten Akt bestimmten zauberhafte, spannungsvolle Spiele der Evita etwa mit dem Tangosänger Agustín Magaldi – hinreißend Iago Ramos - und natürlich mit Juan Perón – Ethan Freeman, auch er ausgezeichnet, sehr variabel in Spiel und Gesang – immer im Wechsel mit großen, hervorragend choreografierten Massenszenen das Geschehen.

In Europa auch Skepsis und Ablehnung

Für Evita aber sind nun die glänzenden Auftritte vorbei. Sie durchreist Europa auf ihrer legendären Regenbogentour 1947 und trifft zum ersten Mal auf Skepsis und Ablehnung. Man mag den Mussolini-Freund und Asylgeber für entflohene Faschisten Perón und auch dessen Abgesandte im Nachkriegseuropa nicht. Und Evita spürt auch zum ersten Mal die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte.

Den Abstieg Evitas und ihren frühen Tod, sie stirbt bereits mit 33 Jahren, im Musical zu spielen und zu besingen, ist von der Sache her schwierig, und ein irgendwie gearteter abschließender Höhepunkt gelingt der Inszenierung auch nicht. Dennoch bleibt dieses Ende auch eindrucksvoll.

Es ist alles stimmig, es ist auch Musical gerecht, und noch einmal erklingt, von der sehr gut aufgelegten Magdeburgischen Philharmonie unter Rainer Roos hervorragend gespielt und einer ausgezeichneten Tontechnik (Clemens von Witte) wirklich perfekt vermittelt, die wunderbare Hymne des Stückes "Wein nicht um mich…".