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Interview vor Zeitenwende-Podium in Halberstadt „Es kommt auf die Haltung der Deutschen an“

Die „Zeitenwende on tour“ lädt für Dienstag, 28. April, zum Bürgerdialog in den Kulturbahnhof Halberstadt. Im Interview spricht Sicherheitsexperte Nico Lange vorab über den Ukraine-Krieg und die neue Rolle Europas.

Von Alexander Walter 28.04.2025, 16:37
Verteidigungsexperte Nico Lange diskutiert in Halberstadt unter anderem mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm und Wirtschaftsminister Sven Schulze.
Verteidigungsexperte Nico Lange diskutiert in Halberstadt unter anderem mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm und Wirtschaftsminister Sven Schulze. Foto: MSC/Kuhlmann

Magdeburg/Halberstadt - Seit dem 24. Februar 2022 erschüttert der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Europa. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach kurz nach Beginn der Invasion im Bundestag von einer Zeitenwende. Ist nach mehr als drei Jahren Krieg auf Druck der US-Regierung unter Donald Trump jetzt endlich Frieden in Sicht? Wie könnte er aussehen? Und welche Gestaltungsmacht hat Europa dabei? Über Fragen wie diese, aber auch über eine insgesamt veränderte Weltlage und deren Folgen für Deutschland dreht sich am Dienstagabend ein Bürgerdialog der Reihe „Zeitenwende on tour“ im Kulturbahnhof Halberstadt.

Diskutieren werden neben Landeswirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Thomas Kleine-Brockhoff, Direktor der Gesellschaft für Auswärtige Politik, Siegfried Denzel, Koordinator Lokales der Magdeburger Volksstimme sowie der Sicherheitsexperte und Publizist Nico Lange. Die Volksstimme hat im Vorfeld mit Lange, der Senior Fellow – also Verteidigungsexperte – der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist, über die Lage im Ukraine-Krieg gesprochen:

Volksstimme: Herr Lange, viele Menschen in Sachsen-Anhalt wünschen sich ein schnelles Kriegsende in der Ukraine. Sehen Sie nach drei Jahren Krieg Anlass zur Hoffnung?

Es ist Wladimir Putin, der diesen Krieg jederzeit stoppen könnte, wenn er seine Armee nur halten ließe.

Nico Lange, Verteidigungsexperte für die Münchner Sicherheitskonferenz

Nico Lange: Es gibt wohl kaum jemanden, der sich nicht ein baldiges Kriegsende wünschen würde. Das gilt vor allem für die Ukrainer. Ja, zwischen Putin und Trump gibt es aktuell russisch-amerikanische Gespräche. An echten Friedensgesprächen wären die Ukrainer aber auf Augenhöhe zu beteiligen. Das Treffen von Trump mit Selenskyj bei der Beisetzung des Papstes gibt dafür Anlass zur Hoffnung.

Man muss sich einfach die Frage beantworten, wer ist da eigentlich in wessen Land eingedrungen – und wer verteidigt sich? Es ist Wladimir Putin, der diesen Krieg jederzeit stoppen könnte, wenn er seine Armee nur halten ließe. Trotz aller Gesprächssignale Putins bin ich nach wie vor skeptisch, ob er dazu bereit ist.

Deutschland ist der stärkste militärische Unterstützer der Ukraine in Europa. Viele Sachsen-Anhalter haben allerdings die Sorge, dass weitere Waffenlieferungen den Krieg eskalieren lassen könnten und das Sterben doch nur verlängert würde. Was würden Sie ihnen sagen?

Man kann doch nicht sagen: Frieden gibt es nur, wenn die Ukraine Putin erklärt: ,Mach mit uns, was du willst“.

Es ist ein Erfolg der russischen Propaganda, dass sich auch bei uns in Teilen der Bevölkerung die Meinung festgesetzt hat, wer für Waffenlieferungen an die Ukraine ist, wäre für Krieg.

Man kann doch aber nicht sagen: Frieden gibt es nur, wenn die Ukraine Putin erklärt: ,Mach mit uns, was du willst“. Nicht derjenige der einem Angegriffenen hilft, sich zu verteidigen ist der Kriegstreiber, verantwortlich für den Krieg ist der Angreifer – Putin. Man muss sich das auch mal für sich selbst vorstellen: Niemand in Sachsen-Anhalt würde es gut finden, wenn eine Macht von außen kommen und sagen würde: Ihr habt ab sofort dies oder jenes zu tun, müsst euch unterwerfen.

Bürger können  beim Zeitenwende-on-tour-Podium am Dienstag in Halberstadt ihre Fragen stellen.
Bürger können beim Zeitenwende-on-tour-Podium am Dienstag in Halberstadt ihre Fragen stellen.
Foto: MSC/Kuhlmann

Uns wird häufig das Argument berechtigter Sicherheitsinteressen Russlands und die Ausdehnung der Nato nach 1997 genannt. Ist das kein Faktor?

Die Ukraine war vor dem Krieg keine Gefahr für die Atommacht Russland und sie ist es heute nicht. Das Land will einfach in Ruhe gelassen werden.

Die Ukraine war vor dem Krieg keine Gefahr für die Atommacht Russland und sie ist es heute nicht. Das Land will einfach in Ruhe gelassen werden. Übrigens ein Grund, warum Polen und die baltischen Staaten in den 90er Jahren von sich aus den Schutz der Nato gesucht haben. Ich jedenfalls tue mich schwer damit, einem Nachbarn zu diktieren, wie er zu leben und welchem Bündnis er anzugehören hat. So sieht es auch das Völkerrecht.

Die USA haben ihren Druck auf Russland, vor allem aber auf die Ukraine, Frieden zu schließen, zuletzt massiv erhöht. Trump sprach von einem letzten Angebot der USA. Wie bewerten Sie den Vorstoß?

Erstmal ist es gut, wenn jetzt auch in Russland die Bereitschaft zu sprechen besteht und Putin nicht so tun kann, als gäbe es niemanden, mit dem er reden könnte. Entscheidend wird sein, unter welchen Bedingungen das geschieht.

Der Vorschlag der USA sieht unter anderem vor, dass die Ukraine die 2014 annektierte Krim als russisch anerkennt, auch die besetzten Gebiete sollen bis auf Weiteres bei Russland bleiben. Ist das ein Zugeständnis, das die Ukraine bereit sein müsste, zu akzeptieren?

Was nicht akzeptabel ist, wäre eine de-facto- und de-jure-Anerkennung der besetzten Gebiete als Russland.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor seinem Parlament erklärt, dass sein Land bereit wäre, Lösungen zu akzeptieren, bei denen Gebiete zunächst unter russischer Kontrolle blieben. Ähnlich der Situation in Deutschland mit der sowjetischen Besatzung in der DDR. Was aber nicht akzeptabel ist, wäre eine de-facto- und de-jure-Anerkennung der besetzten Gebiete als Russland. Das gab es noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa und es wäre auch gegen unser Interesse.

Die USA schließen in ihrem „Deal“-Vorschlag auch eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Wie aber könnten Sicherheitsgarantien aussehen, die einen erneuten Angriff Russlands verhindern?

Die Europäer müssen entscheiden, sind die Sicherheit der Ukraine und die Europas das Gleiche oder sind es verschiedene Fragen.

In den vergangenen drei Jahren haben sich vor allem die USA und Deutschland gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine positioniert. Insofern ist die Position nichts grundsätzlich Neues. Die Ukraine braucht aber natürlich dauerhafte Sicherheit. Ich glaube, dass Donald Trump hier Recht hat, wenn er sagt: Das ist Aufgabe der Europäer. Und es existiert ja bereits eine Koalition der Willigen unter Führung von Frankreich und Großbritannien. Deutschland muss hier künftig eine größere Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund halte ich es übrigens für einen großen Fehler, dass wir uns für Neuwahlen und Regierungsbildung bei uns so viel Zeit gelassen haben.

Was kann die Rolle der Europäer sein? Bislang sitzen sie nicht mal wirklich am Verhandlungstisch.

Die Europäer müssen entscheiden, sind die Sicherheit der Ukraine und die Europas das Gleiche oder sind es verschiedene Fragen. Polen, Dänemark oder die baltischen Länder haben das längst entschieden – mit der Antwort, dass die Sicherheit der Ukraine gleichbedeutend mit der Europas ist. Hier gibt es aber unterschiedliche Lager, Spanier oder Portugiesen etwa sehen das anders. Auch deshalb kommt es jetzt so sehr auf die Haltung der Deutschen an.

Denkbar wären europäische Friedenstruppen in der Ukraine, die einen Waffenstillstand überwachen könnten. Der Kreml hat aber erklärt, keine Nato-Soldaten auf dem Gebiet der Ukraine zu akzeptieren. Was tun?

Wir müssen bereit sein, auch Dinge zu tun, denen der Kreml nicht zustimmt.

Wir müssen bereit sein, auch Dinge zu tun, denen der Kreml nicht zustimmt. An der Waffenstillstandslinie sollten dabei die Ukrainer selbst stehen – die können das auch am besten. Die Europäer könnten aber im Hinterland unterstützen.

Großbritannien und Frankreich haben sich prinzipiell bereit erklärt, Friedenstruppen zu entsenden – auch wenn London ein wenig zurückgerudert hat. Sollte auch Deutschland das tun?

Für die Beantwortung dieser Frage ist es noch zu früh. In jedem Fall sollte Deutschland sich aber bei der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsgarantien mit seinen Fähigkeiten einbringen.

Der designierte Kanzler der Union, Friedrich Merz (CDU), hat jüngst seine Bereitschaft bekräftigt, der Ukraine Taurus-Raketen zu überlassen, sollte Russland seine Angriffe auf zivile Ziele nicht einstellen. Wie gefährlich wäre der Schritt?

Ich glaube wir brauchen eine Entscheidung zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle, die noch nie Dienst geleistet haben.

Wir sollten uns von Putins Propaganda keine Angst machen lassen. Die gleichen Debatten gab es auch vor der Lieferung von Panzern. Auch wenn es widersprüchlich klingt, Waffenlieferungen an die Ukraine helfen Europa langfristig für die eigene Sicherheit zu sorgen.

Es gibt Stimmen, die vor einer Aufrüstung Russlands und einem Angriff auf Nato-Gebiet in wenigen Jahren warnen. Braucht Deutschland die Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Ich glaube wir brauchen eine Entscheidung zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle, die noch nie Dienst geleistet haben. Die Bundeswehr könnte dabei eine von mehreren Optionen sein. Dann brauchen wir aber auch eine Debatte darüber, wofür wir eigentlich stehen und was es ist, das wir für wert halten, es zu verteidigen. Ich glaube, da gäbe es noch einiges zu klären.

Zu Person und Podium

Nico Lange (50) ist Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Publizist und Politikberater aus Berlin hat mehrere Lehraufträge. Von 2019 bis 2022 war er Chef des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium.

Das Podium im Kulturbahnhof Halberstadt beginnt heute 18.30 Uhr und ist kostenlos. Vorherige Anmeldungen sind aber nötig. Möglich sind diese hier: www.securityconference.org/zot