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Theater der Altmark Antigone hatte nicht ganz recht

Der Auftakt der neuen Spielzeit am Theater der Altmark ist gemacht. Intendant Alexander Netschajew inszenierte Sophokles‘ Antigone.

Von Birgit Tyllack 03.09.2017, 23:01

Stendal l „Der Staat ist das, was uns erhält“, sagt Kreon, frischgekrönter König von Theben, und meint damit, dass die Rechte des Staats sowohl gegenüber religiösen Geboten als auch den Rechten des einzelnen Bürgers Vorrang haben. Ausnahmslos. Als sich seine Nichte Antigone einer Verordnung Kreons widersetzt, soll auch sie hart bestraft werden.

Antigone kann nicht akzeptieren, dass ihr Bruder Polyneikes, der seine Heimatstadt angegriffen hat und im Kampf mit dem eigenen Zwillingsbruder starb, vor den Toren der Stadt unbegraben liegen bleiben und den Hunden und Vögeln als Fraß dienen soll. Antigone möchte dem göttlichen Gebot nachkommen und ihren Bruder bestatten, damit der Tote ins Totenreich gelangen kann.

So nimmt die Tragödie ihren Lauf: Kreon kann von seinem Wort nicht zurücktreten. Er verrennt sich in dem Gedanken der bedingungslosen Gesetzestreue und vergisst, dass Gesetze für die Bürger gemacht sind. Die öffentliche Meinung, der Wille der Bürger muss in der Politik Gewicht haben, doch Kreon ist zum Tyrann geworden. Die Einsicht kommt, allerdings zu spät. Nämlich dann, als alles verloren ist. Am Ende ist nicht nur Kreons Nichte tot, sondern ebenso sein Sohn Haimon und seine Gattin Eurydike.

Die griechischen Tragödien lassen den heutigen Zuschauer stets ein wenig ratlos zurück. Familien sind über Generationen verflucht, es gibt kein Entrinnen, auch der letzte Spross einer Familie muss sterben. Es ist ein regelrechter „Overkill“ und am Ende steht ein Übriggebliebener mit der Erkenntnis da, dass die Götter auf jeden Fall recht haben, dass der Mensch sein Schicksal nicht selbst bestimmen kann. Der moderne Mensch – auch der religiöse – sieht das natürlich anders.

Regisseur Netschajew lässt in seiner Inszenierung – vielleicht aus diesem Grund heraus – Kreon in einem Schlussmonolog erzählen, was die Götter seiner Familie und insbesondere seinen Söhnen über die Jahre hinweg angetan haben. Er schließt mit der Frage, ob solche Götter wirklich über das Gesetz gestellt werden sollten. Diese Frage fasst das Dilemma Kreons noch einmal zusammen und macht deutlich, dass er nicht gänzlich unrecht hatte. Und damit Antigone auch nicht ganz recht.

Was immer man von griechischen Tragödien halten mag, in der Inszenierung am Theater der Altmark ist der Stoff spannend und eindrucksvoll umgesetzt worden. In einer schlichten, aber eindrucksvollen Kulisse von Mark Späth und in ebenso tollen Kostümen von Sofia Mazzoni wird das Publikum 100 Minuten lang in den Bann gezogen.

Anspielungen auf aktuelle Weltgeschehnisse sind durch Videoeinspielungen im Hintergrund vorhanden, aber ansonsten setzt diese Inszenierung auf die ursprüngliche Wortgewalt. Wirkungsvoll von den Darstellern umgesetzt. Allen voran natürlich Kreon und Antigone. Jochen Gehle ist ein großartiger Kreon. Stark und unerbittlich, zweifelnd und zerstört. Die junge Schauspielerin Caroline Pischel hat mit ihrer Antigone einen fulminanten Einstieg am Theater der Altmark. Sie gibt ihren Charakter ebenso hart und unerschrocken, aber auch zerbrechlich und verzweifelt. Beide Darsteller spiegeln sich wunderbar.

Carsten Faseler spielt den Wächter, der Kreon zu Beginn über die unerlaubte Bestattung unterrichtet. Netschajew lässt diesen Wächter zur lustigen Figur à la Shakespeare werden. Fürs Publikum ein willkommenes Aufatmen in all dem „Heulen und Zähneklappern“ und für Faseler einmal mehr die Gelegenheit, sein Talent für subtil-komische Rollen unter Beweis zu stellen.

Der Chor ist auf zwei Personen reduziert: Angelika Hof­stetter und Andreas Müller. Sie begleiten mit ihren Kommentaren das Geschehen, scheinbar unbewegt. Sie sind Ratgeber und öffentliche Meinung zugleich.

Die Stendaler Inszenierung ist eine gute Gelegenheit, sich mit diesem vielschichtigen Werk Sophokles‘ auseinanderzusetzen. Die Themen sind sorgsam herausgearbeitet: Die Pflicht zum zivilen Ungehorsam, wo Tyrannei herrscht, der Geschlechterkampf, aber auch die Warnung, beim Widerstand nicht in Trotz zu verfallen.

Netschajew lässt dem Zuschauer viel Raum, eigene Interpretationen anzustellen. Das ist wohltuend.

Weitere Vorstellungen: Sonntag, 17. September, 18 Uhr, und Sonnabend, 23. September, 19.30 Uhr.