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Neurochirurg des Magdeburger Universitätsklinikums berichtet über einzigartige Langzeitstudie Kunstimplantate für die Halswirbelsäule

17.01.2013, 01:20

Künstliche Bandscheiben können eine Alternative zu sogenannten Versteifungsoperationen an der Halswirbelsäule sein. Das zeigen zehnjährige Langzeitbeobachtungen von Neurochirurgen am Magdeburger Universitätsklinikum.

Magdeburg (use) l Die Bandscheiben sind die elastischen Puffer zwischen den Wirbelkörpern. Wenn sie sich verlagern oder verrutschen, können sie auf Rückenmark oder austretende Nerven drücken und Schmerzen und Lähmungen auslösen. "Führen die Schmerzen als Folge einer weit fortgeschrittenen Bandscheibendegeneration zur andauernden Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn es zu Lähmungen der Kraft kommt, ist ein chirurgischer Eingriff notwendig", so Professor Raimund Firsching, Direktor der Magdeburger Uniklinik für Neurochirurgie. Zumeist wird dann an der Halswirbelsäule Bandscheibengewebe entfernt und die angrenzenden, knöchernen Wirbelkörper mit Platzhaltern aus Knochenzement, Kunststoff oder anderen Materialien, gegebenenfalls auch mit Platten und Titanschrauben, in der richtigen Lage fest verbunden.

Mehrfacher Einsatz seit 2002

Die Entlastung des Nervengewebes führt schnell zu einer deutlichen Schmerzreduktion, unabhängig von dem Material, das in den Zwischenwirbelraum eingebracht wird. Die Beweglichkeit der gesamten Halswirbelsäule wird durch die Versteifung eines Bewegungssegmentes kaum merklich eingeschränkt, wenn zwei Wirbelgelenke starr verbunden werden. Allerdings werden die Belastungen der benachbarten gesunden Bandscheiben größer. Diese können dann ebenfalls Schaden nehmen. "Nachbeobachtungen über einen Zeitraum von zehn Jahren haben gezeigt, dass etwa zehn Prozent der Patienten an diesen Folgeschäden der Nachbarsegmente der Halswirbelsäule erneut operativ behandelt werden müssen", so Professor Firsching.

Alternativ werden seit etwa drei Jahrzehnten Bandscheibenprothesen erprobt. Diese künstlichen Implantate arbeiten als bewegliche Platzhalter an der Stelle der degenerativ geschädigten und deshalb chirurgisch entfernten natürlichen Wirbelpuffer.

Seit Mai 2002 setzen Mediziner der Magdeburger Universitätsklinik für Neurochirurgie Bandscheibenprothesen an der Halswirbelsäule ein - bislang bereits bei 290 Patienten. Ihre Studienergebnisse haben die Ärzte im Deutschen Zentralblatt für Neurochirurgie veröffentlicht und Ende des vergangenen Jahres auf einer Konferenz in Magdeburg vorgestellt.

Danach sind die künstlichen Bandscheiben im Vergleich zur herkömmlichen Wirbelsäulenversteifung nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden. In der Mehrzahl der Patienten wird die Bewegung der operierten Segmente über Jahre erhalten.

"Es gibt bisher keine vergleichbare prospektive Studie aus einer Einzeleinrichtung im weltweiten Schrifttum mit derart großen Fallzahlen und langen Beobachtungszeiten", sagt Prof. Firsching. "Der Eingriff ist schonend für Gewebe, Bänder, Muskeln und angrenzende Bandscheiben. Der Patient ist schnell wieder auf den Beinen." Die Mehrzahl der Patienten konnte innerhalb von drei Monaten wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden.

Auch zehn Jahre nach ihrer Implantation sind die eingesetzten künstlichen Bandscheiben in der Halswirbelsäule bei fast 80 Prozent der Patienten noch beweglich und die Patienten beschwerdefrei, stellt Prof. Firsching fest. Längerfristige Prognosen zu den Auswirkungen auf benachbarte Wirbelgelenke können die Mediziner derzeit aber noch nicht mit statistischer Genauigkeit machen. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb Bandscheibenprothesen bislang noch nicht als etablierte Standardmethode in die medizinischen Leitlinien zur Behandlung des Bandscheibenvorfalls aufgenommen worden sind.

"Sinnvoll erscheint uns derzeit das Einsetzen von Wirbelsäulenprothesen nur bei den Patienten, bei denen vor der Operation noch eine gute Beweglichkeit der Halswirbelsäule in dem zu operierenden Segment erhalten war", sagt Prof. Firsching. Das sei mit zunehmendem Alter seltener. Daher ist die Prothese eher bei Patienten unter 70 Jahren sinnvoll.

Wenn bereits eine Versteifungsoperation durchgeführt wurde, kann eine künstliche Bandscheibe immer noch in den Nachbarsegmenten eingesetzt werden.

Bei Wirbelsäulenverletzungen, Tumoren oder Infektionen sind Bandscheibenimplantate jedoch nicht angebracht.

Zur Frage, ob in Deutschland unnötige Operationen vorgenommen werden, empfiehlt Prof. Raimund Firsching den Patienten, in Zweifelsfällen eine Zweitmeinung, gegebenenfalls auch Drittmeinung einzuholen. Manche Internetbewertung von Ärzten erscheinen weniger glaubwürdig als Erfahrungsberichte von bereits behandelten Freunden oder Bekannten.