Heimatgeschichte Als Lostau unbedingt eine neue Kirche wollte
Als eng und dunkel empfunden, sollte die Kirche ab 1876 neu gebaut werden. Über 50 Jahre setzten sich Lostauer dafür ein. Heute sind sie froh über die alte Kirche.
Lostau - Kirche, Schule und Pfarrhaus, also „sämtliche geistlichen Institute“ vom alten Dorf nach Neu-Lostau zu verlegen, plante die Königliche Regierung als Inhaberin des Patronats spätestens seit Frühjahr 1876. In Lostau fand dieses Vorhaben große Unterstützung.
Mehrere Gründe waren dafür entscheidend: Bei den regelmäßigen Hochwassern der Elbe wurde immer auch das Gotteshaus in Mitleidenschaft gezogen. Dabei floss das Wasser nie durch die Tür hinein, sondern stieg im Boden hoch. Da verwundert es vielleicht nicht, dass die Kirche zur damaligen Zeit als feucht, kellerartig, eng, düster, unsauber und alt empfunden wurde.
Superintendent Johannes Gloel, gleichzeitig Pfarrer in Körbelitz und Woltersdorf, bedauerte es sehr, dass nach Observanz – dem örtlichen Recht – die Amtseinführung der Pfarrer der Parochie Lostau in der Lostauer Kirche stattzufinden hatte. Als „eng und unschön“ beschrieb er das Gotteshaus, aber wenigstens „festlich bekränzt“ anlässlich der Amtseinführung von August Wahlstab am 1. Advent 1869.
Rückzieher der königlichen Familie
Während die Lostauer, vertreten durch ihren Gemeindekirchenrat, von der Idee, Kirche, Schule und Pfarrhaus nach Neu-Lostau zu verlegen, nicht mehr abrückten, machte die Königliche Regierung bald einen Rückzieher. Das war umso enttäuschender, da sie 1876 schon die Baugenehmigung erteilt hatte, eine Überschwemmung jedoch alle Pläne kurzfristig über den Haufen warf.
Vier Wochen blieb das Wasser, das bis zu den Sitzbrettern der Frauenbänke gereicht habe, damals in der Kirche stehen, berichtete Pfarrer Noth im Frühjahr 1910 an das Konsistorium in Magdeburg. „Von 1840 bis 1900 waren nicht weniger als zehn Hochwasser, welche die Verbindung zwischen Alt- und Neu-Lostau jedes Mal unterbrachen.“
Am Karfreitag 1900 kam Ernst Noth erst so spät am Abend aus seinen Filialen (Gerwisch und Hohenwarthe) zurück, dass er draußen niemanden mehr antraf, der ihn mit dem Kahn hätte übersetzen können, und er bis über die Knie ins Hochwasser steigen musste, um das Pfarrhaus in Alt-Lostau zu erreichen.
Zwar konnte er im Herbst 1902 das neue Pfarrhaus im neuen Dorf beziehen, aber das machte die Sache aus seiner Sicht auch nicht besser. Die räumliche Trennung von Pfarrhaus und Lostauer Kirche sorge nun dafür, dass er es eigentlich mit drei Filialen zu tun habe: Lostau, Gerwisch und Hohenwarthe. Die Klage war berechtigt: Kein Amtsvorgänger, der nicht darauf verwiesen hatte, dass die Amtspflichten des Lostauer Pfarrers nicht zu schaffen wären.
Mehr Amtspflichten als zu schaffen waren
Bis Ende des 18. Jahrhunderts war Hohenwarthe eine Filiale von Glindenberg gewesen. Weil die Elbe nicht mehr so einfach zu überqueren war, bat Hohenwarthe darum, als Filiale nach Lostau verlegt zu werden. Zu oft hatte man vergebens auf den Pfarrer aus Glindenberg gewartet. Dem Wechsel wurde zugestimmt. Allerdings hatte der Lostauer Pfarrer nun sonntags in drei Gemeinden den Gottesdienst abzuhalten – abgesehen von seinen vielen anderen Aufgaben.
Die regelmäßigen Überschwemmungen aufgrund des Elbe-Hochwassers wurden von der Königlichen Regierung nicht länger als Grund akzeptiert, weshalb es einen Kirchenneubau in Lostau geben sollte. Ein Sachverständiger kam 1910 zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung des Deiches und des Geländes um die Kirche nur einen Bruchteil der Kosten verursachen würde.
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Die Lostauer führten noch weitere Gründe für eine Verlegung der Kirche an: Das Gotteshaus im alten Dorf sei deutlich zu klein für das wachsende Dorf, das neue (größere) Dorf sei der viel bessere Standort, und die Entfernung zwischen altem und neuem Dorf wirke sich ungünstig aus. Mit anderen Worten: Bei schlechtem Wetter blieben zu viele Lostauer den Gottesdiensten fern.
Vorgesehen war ursprünglich, die Kirche im alten Dorf abzureißen und die Steine für den Neubau im neuen Dorf wiederzuverwenden. Das sparte doppelt Kosten: Zum einen musste die alte Kirche nicht länger unterhalten werden, zum anderen an Baumaterial.
Konservator untersagte Abriss der alten Kirche
Dagegen hatte jedoch der Konservator der Denkmäler der Provinz Sachsen seinen Einspruch erhoben. Bei einer Besichtigung am 9. Juni 1910 fand er eine „alte Kirche vor, welche sehr schön inmitten des hohen Baumbestandes gelegen ist“.
Die Ausstattung stamme aus der Barockzeit; Decke, Emporen und Gestühl „zeigen eine flotte Bemalung.“ Und überhaupt: „Der ganze noch von der Neuzeit unberührte Innenraum bietet ein schönes, harmonisches Bild.“ Die alte Kirche sei dauerhaft zu erhalten, legte er fest. Das bedeutete, die Gemeinde Lostau hätte für den Unterhalt zweier Kirchen sorgen müssen.
Nur eine Woche vorher war Superintendent Koeppen zur Visitation in Lostau gewesen. Sein Eindruck war ein völlig anderer: „Im Inneren ganz verfallen und als würdiger Gottesdienstraum nicht mehr anzusehen“. Er drängte auf den Neubau.
Der Konservator ließ zwar keinen Abriss zu, aber er konnte sich eine Erweiterung der vorhandenen Kirche vorstellen. Dabei erklärte er nicht, wie das mit dem Erhalt des Denkmalwerts zusammengepasst hätte. Er schlug vor, statt der Eingangshalle auf der Südseite ein Seitenschiff zu errichten. Dorthin würde die Empore verrückt werden. Die Kanzel käme auf die Nordseite. Rund 80 Plätze könnten damit gewonnen werden. Nach dem Anbau würde die Kirche 200 Sitzplätze bieten, „welche das vorhandene kirchliche Bedürfnis befriedigen dürfte“.
Für den Anbau wäre die Patronatsbehörde bereit, „den erforderlichen fiskalischen Beitrag zu leisten“, ließ die Magdeburger Abteilung für Kirchen- und Schulwesen den Gemeindekirchenrat in Lostau wissen. Für den Neubau übernähme man nicht mehr als die Kosten des Anbaus.
Den Anbau wollten die Lostauer aber nicht. Der wäre gar nicht notwendig, hieß es im November 1910, weil der vorhandene Raum „leider dem Bedürfnis genügt“. Mehr Gottesdienstbesucher seien erst in der neuen Kirche im neuen Dorf wieder zu erwarten.
Extrawünsche lassen Neubau endgültig platzen
Auf den Neubau einigten sich alle kirchlichen Körperschaften doch noch im Mai 1912. Allerdings machte der Gemeindekirchenrat ein halbes Jahr später neue Forderungen auf. Um mehr Sitzplätze und eine höhere finanzielle Beteiligung des Fiskus wurde geworben – vergeblich. Nach der Aufkündigung des Kompromisses von Lostauer Seite gab es für den Neubau in Magdeburg kein offenes Ohr mehr. Es dauerte noch bis in die 1930er Jahre, bis die Lostauer Kirche renoviert wurde.
„Heute sind wir dankbar, dass die Kirche im alten Dorf erhalten geblieben ist“, sagte Kirchenälteste Elisabeth Wünsch. Um ein Kleinod handelt es sich bei der romanischen Kirche. Das Hochwasser 2013, das die Kirchenbänke im Schiff zum Schwimmen brachte, erwies sich als Glück im Unglück, da danach eine umfassende Sanierung des Gotteshauses möglich gewesen war.
Ohne diese wäre eines Tages vielleicht sogar das Dach eingestürzt. Während der Sanierung fand auf dem Pastorplatz in Lostau, also dort, wo die neue Kirche hätte gebaut werden sollen, ein Gottesdienst statt.
Weder eng noch düster oder kellerartig erlebt der heutige Besucher die stets mit viel Liebe zum Detail geschmückte Lostauer Kirche, die als offene Kirche nicht zuletzt von Radtouristen auf dem Elberadweg sehr gern besichtigt wird, wie das Gästebuch im Kirchturm zeigt.